Türkei-Korrespondent Baumgarten Heimat als Gemütszustand
Enge, Kontrolle, Verbohrtheit: Das verband Reinhard Baumgarten lange mit dem Begriff Heimat. Mit dem Wegzug aus Deutschland in die Türkei wandelte sich das. Heimat ist heute für ihn kein geografischer Ort mehr - sondern ein Gefühl.
Die Erinnerung an meine geografische Heimat verblasst. Die Berge meiner Kindheit sind zu unscheinbaren Hügeln verflacht. Die Heimat von einst ist ganz winzig geworden. Der allgegenwärtige Stallgeruch hat das kleine oberhessische Bauerndorf mit den letzten Kühen verlassen.
In meiner Erinnerung wirken die Gerüche meiner heimatlichen Kindheit und Jugend nach und rühren mich an: Kuhmist, Heu, gemähtes Gras, kalter Weihrauch, Holzfeuer im Backhaus. Der Begriff Heimat wurde in meiner Kindheit geprägt von den Liedern der Vertriebenen.
Egerländer und Oberkrainer besangen ihre verlorene Heimat und Drei Weißen Birken. Heimat - das war auch ganz viel Muff: Das war soziale Kontrolle, der Zwang zum sonntäglichen Kirchgang, die vorherrschende Abneigung gegen lange Haare und neue Ideen. Heimat war Enge, Kontrolle, Verbohrtheit.
Nicht durch Fachwerkhäuser geprägt
Lange konnte ich mit dem Begriff Heimat nicht viel anfangen. Entdeckt habe ich Heimat neu nach der Gründung meiner eigenen Familie, und im Ausland. Heimat ist heute für mich kein geografisch bestimmbarer Ort. Es ist ein Gemütszustand. Heimat wird nicht geprägt durch Fachwerkhäuser, Brücken, Türme oder Weiße Birken. Heimat ist verstehen und verstanden werden. Heimat ist Ruhe, Besinnung, Vertrautheit. Das mag wohlfeil klingen. Ist es aber nicht.
Ich lebe derzeit in Istanbul und zeitweise in Teheran. Beide Städte sind faszinierende, anstrengende und ruhelose Monster. Vorher habe ich mit Familie in Kairo gelebt - der Mutter aller monströsen Städte. Ich bin viel gereist, habe viel über Krieg, Terror und Flüchtlinge berichtet; über Menschen, die alles verloren haben, die weder äußeren noch inneren Frieden kennen, deren Heimat zerstört ist.
Deutschland kommt Vorstellung von Heimat am nächsten
Ich habe aus und über Länder berichtet, wo Freiheit nicht mehr als eine vage Hoffnung ist. Heute weiß ich, Deutschland ist das Land, das meiner Vorstellung von Heimat am nächsten kommt. Hier leben meine Frau und meine Kinder, hier können Ideen und Ideale noch von vielen Menschen gelebt werden.
Gut möglich, dass viele darüber die Stirn runzeln. Vor 30 Jahren hab ich das auch gemacht. Seitdem habe ich einen Teil der Welt kennen- und mein Herkunftsland mit seinen Werten, Prinzipien und Grundsätzen schätzen gelernt.