Sexuelle Gewalt in Indien Das gefährlichste Land für Frauen
Mehr als 100 Vergewaltigungen pro Tag - Indien ist für Frauen das gefährlichste Land der Welt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie. Doch auch in den USA leben Frauen gefährlich.
Es ist erst ein paar Tage her, dass eine besonders grausame Nachricht ganz Indien aufschreckte: Fünf Aktivistinnen gegen Menschenhandel wurden am helllichten Tag im ostindischen Bundesstaat Jharkhand von bewaffneten Männern entführt, in einen Wald verschleppt und stundenlang vergewaltigt. Doch Fälle wie dieser sind nur die Spitze des Eisbergs.
Jeden Tag werden in Indien mehr als 100 Vergewaltigungen bei der Polizei angezeigt. In den Jahren von 2007 bis 2016 ist die Zahl um 83 Prozent gestiegen. Die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen. Damit hält Indien auf diesem Gebiet einen traurigen Weltrekord - und deshalb schneidet das Land in der Thomson-Reuters-Studie so schlecht ab. Für diese Erhebung wurden weltweit 548 Expertinnen und Experten befragt, darunter Regierungsvertreter, Wissenschaftler, Entwicklungshelfer, Mediziner und Journalisten.
Deutlicher Männerüberschuss
"Die Zahlen sind schlimm", sagt auch Manasi Mishra vom Center for Social Research of India. Die Frauenrechtlerin beschäftigt sich seit Jahren mit dem Gewaltproblem. Als einen der Gründe für die vielen Vergewaltigungen nennt sie den Männerüberschuss in der indischen Gesellschaft. "Auf 1000 Jungen kommen lediglich 800 Mädchen. Das liegt daran, dass noch immer viel zu viele Eltern Mädchen abtreiben lassen. Sie gelten als minderwertig und drohender Kostenfaktor, weil die Brauteltern die extrem teuren Hochzeiten bezahlen müssen."
Immer wieder protestieren Frauen in Indien gegen die Frauenverachtung in ihrer Gesellschaft.
Wenn junge Männer aber wegen des krassen Missverhältnisses der Geschlechter keine Frauen fänden, entlade sich der aufgestaute Frust häufig in sexueller Gewalt. Die indische Regierung hat in den vergangenen Jahren einiges versucht, um das Problem in den Griff zu bekommen. Ärzten ist es verboten, schwangeren Frauen das Geschlecht des Kindes zu nennen. Auch die Strafe für Vergewaltigung wurde drastisch erhöht. Seit April dieses Jahres droht Männern, die Kinder unter zwölf Jahren vergewaltigen, sogar die Todesstrafe.
Verändertes Anzeigeverhalten
Dennoch findet es Mishra ungerecht, Indien als das gefährlichste Land für Frauen zu bezeichnen. "Die Frauen in Indien werden immer selbstbewusster und das gesellschaftliche Klima verbessert sich." Selbst die hohe Steigerung der offiziellen Vergewaltigungszahlen führt sie darauf zurück. "Mittlerweile zeigen deutlich mehr Frauen die Taten an. Auch das ist Teil der Wahrheit. Denn die Opfer wissen, dass die Täter bestraft werden."
Anders dagegen in Afghanistan und Syrien, den Ländern, die in der Thomson-Reuters-Studie auf den Plätzen zwei und drei folgen. Hier sind es vor allem kriegsbedingte Gewalttaten, die das Leben für Frauen so gefährlich machen. In Afghanistan verschlechtert sich die Situation vor allem in den Landesteilen, die von den Taliban beherrscht werden. "Mittlerweile sind Selbstmordattentate und sogenannte Kollateralschäden bei Kampfhandlungen die dritthäufigste Todesursache für Frauen", zitiert die Studie den afghanischen Gesundheitsminister Ferozuddin Feroz. So sei das Land gezwungen, das knappe Gesundheitsbudget für Behandlung von Kriegsverletzungen auszugeben, anstatt in Programme für Müttergesundheit zu investieren.
Jeden Tag werden mehr als 100 Vergewaltigungen angezeigt in Indien. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen.
Frauen in den USA leben gefährlich
Eine Überraschung ist sicherlich, dass die USA als einziges westliches Land auf der Liste der gefährlichsten Länder für Frauen aufgeführt werden - auf Platz zehn, direkt hinter Nigeria und dem Jemen. Die Autoren der Studie begründen das mit der #metoo Bewegung. Sie habe gezeigt, dass es auch in sozial und wirtschaftlich hochentwickelten Ländern Diskriminierung und sexuelle Gewalt gebe, heißt es.
Ein Satz, den auch die indische Frauenrechtlerin Manasi Mishra unterschreiben würde. "Es ist insgesamt eine Herkulesaufgabe, die Welt für Frauen sicherer zu machen. Und das betrifft eben nicht nur uns hier in Indien", sagt sie.