Grande-Marlaska
Interview

Minister zur Spanien-Wahl "Absolute Mehrheiten sind frommer Wunsch"

Stand: 10.11.2019 00:30 Uhr

Spaniens Innenminister Grande-Marlaska gibt sich realistisch. Es laufe wohl auf eine Minderheitsregierung hinaus, sagt er im ARD-Interview. Die aber könne handlungsfähig sein. Auch der Katalonien-Konflikt beeinflusse die Wahl.

ARD-Studio Madrid: Diese Parlamentswahl wird die zweite in diesem Jahr sein. Welche Regierung werden wir anschließend haben?

Fernando Grande-Marlaska: Ich hoffe und bin auch davon überzeugt, dass es eine sozialdemokratische Regierung sein wird. Eine Regierung, der erneut Pedro Sanchez vorsteht. Bei der letzten Wahl am 28. April haben die Spanier mehrheitlich die sozialistische Partei gewählt.

Es war die Blockade der rechten Parteien und der Linkspartei Unidas Podemos, die diese Neuwahl nötig hat werden lassen - durch ihr Nein zu einer fortschrittlichen Regierung unter Pedro Sanchez. Die sozialistische Partei war am wenigsten daran interessiert, dass es soweit kommt.

Zur Person
Der Jurist Fernando Grande-Marlaska ist seit Juni 2018 spanischer Innenminister in der Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez. Zuvor war er Untersuchungsrichter am Nationalen Gerichtshof.

"Wir Spanier sind verantwortungsbewusst"

ARD-Studio Madrid: Für Deutschland ist es wichtig, eine stabile Regierung in Spanien zu haben, einen stabilen Partner. Wird Deutschland den bekommen? Die Regierungsbildung dürfte ja mindestens so kompliziert werden wie nach der letzten Wahl.

Grande-Marlaska: Wir Spanier sind verantwortungsbewusst. Ich hoffe, dass allen Parteien im Parlament klar ist, dass Spanien eine stabile Regierung braucht. Eine Regierung, die mit allen Mitteln die Herausforderungen angehen kann. Deutschland hat ebenfalls Herausforderungen zu meistern, wie die ganze Europäische Union. Natürlich braucht Deutschland stabile Regierungen in Europa. Und wir brauchen ein starkes Deutschland. 

Grande-Marlaska

Spaniens Innenminister Grande-Marlaska : "Wir brauchen ein starkes Deutschland."

"Minderheitsregierung kann handeln"

ARD-Studio Madrid: Wird es wieder eine Minderheitsregierung sein?

Grande-Marlaska: Eine Minderheitsregierung, die aber ausreichend parlamentarische Unterstützung hat. Es ist klar, dass absolute Mehrheiten heutzutage ein frommer Wunsch sind. Etwas, das kaum mehr möglich ist mit fünf größeren Parteien im Parlament. Die Stimmen verteilen sich entsprechend.

Aber bei der Wahl im April ist es uns gelungen, unsere Stimmen zu verdoppeln. Wir kamen auf 123 Parlamentssitze, nach dem Misstrauensvotum im Juni vergangenen Jahres waren es nur 84. Und dennoch haben wir in der Minderheit wichtige politische Projekte umgesetzt: Wir haben den Mindestlohn erhöht, Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit ergriffen, um vor allem jungen Menschen Jobs zu verschaffen.

Eine Minderheitsregierung mit einem fortschrittlichen Programm kann also handeln - auch mit Blick auf die Herausforderungen, die anstehen: Brexit, ein möglicher Wirtschaftsabschwung, der territoriale Zusammenhalt in Spanien. Wir brauchen im Parlament zwar Allianzen, aber das ist nicht schwierig. Das haben wir in den vergangenen 16 Monaten gezeigt.

"Unsere Regierung hat viel bewegt"

ARD-Studio Madrid: Aber Sie konnten politisch nicht so agieren, wie Sie es gerne wollten. Regierungschef Sánchez bekam seinen Haushalt nicht durchs Parlament. Spanien erlebte in vielen Bereichen einen Stillstand: Etliche Infrastrukturprojekte lagen brach, der Bau von Eisenbahn-Hochgeschwindkeitsstrecken zum Beispiel. Was bedeutet das für das Land?

Grande-Marlaska: Wir verlieren Zeit, Sie haben recht. Wir würden uns gerne gut aufstellen mit Blick auf den möglichen Wirtschaftsabschwung und unsere Aufgaben innerhalb der Europäischen Union. Doch dafür ist es unerlässlich, einen Haushalt zu haben. Das ist die Basis, die die politische Arbeit einer Regierung definiert. Unser Haushalt wurde von den rechten Parteien und den Separatisten abgelehnt. Das war das große Handicap. Aber unsere Regierung hat viel bewegt im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Katalanen demonstrieren erneut auf Barcelonas Straßen

Mehrfach sind zuletzt die Unabhängigkeitsbefürworter Kataloniens auf die Straße gegangen - teilweise kam es auch zu Zusammenstößen mit der Polizei.

ARD-Studio Madrid: Wie beeinflusst die Lage in Katalonien diese Parlamentswahl?

Grande-Marlaska: Es wäre verrückt zu behaupten, dass die Szenen in Katalonien, die wir in den vergangenen Wochen gesehen haben, die Wahl nicht beeinflussen würden, die rechtswidrigen Handlungen und die schwere Gewalt dort. Aber nicht nur das. Auch die politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre haben Einfluss - auf die Entwicklungen der sozialen Rechte, die Gleichheit der Menschen, das Wirtschaftswachstum. Um all diese Dinge geht es für die Regierung dieses Landes. Und genau darüber kann jede Spanierin, jeder Spanier am Sonntag mit ihrer und seiner Stimme entscheiden.

"Alle Wahllokale werden geöffnet sein"

ARD-Studio Madrid: Wie will der spanische Staat garantieren, dass alle Katalanen am Sonntag ihre Stimme abgeben können, wenn radikale Separatisten Wahllokale blockieren wollen, wie sie es androhen?

Grande-Marlaska: Wir werden es garantieren. Alle Wahllokale werden geöffnet sein. Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen für den Fall, dass so etwas passiert. Aber ich will hoffen, dass es nicht dazu kommt, dass niemand jemanden mit Gewalt daran hindern will, seine Stimme abzugeben. Das ist eines der wichtigsten Rechte einer Demokratie. Und wir werden das Wahlrecht garantieren, wie in den vergangenen 40 Jahren auch, seitdem wir eine Demokratie sind.

ARD-Studio Madrid: Heißt das: mehr Polizei in Katalonien?

Grande-Marlaska: Mit den nötigen Mitteln, sodass die Menschen die Ruhe wählen können. Wir bereiten uns für einige Szenarien vor. Der Rechtsstaat, die Demokratie hat viele Mittel und ist sehr stark.

ARD-Studio Madrid: Was will der spanische Staat unternehmen, um die aufgeheizte Lage in Katalonien zu beruhigen?

Grande-Marlaska: Die radikalen, gewalttätigen Separatisten in Katalonien machen nur eine Minderheit aus, das muss man klar feststellen. Die große Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter ist friedlich. Die spanische Regierung arbeitet eng mit der katalanischen Regionalregierung zusammen, die in erster Linie für die öffentliche Sicherheit dort zuständig ist. Und zwar mit dem Ziel, dass die Gesellschaft ihre Rechte und Freiheiten ausleben kann.

Im Rahmen der Gesetze setzen wir die Gespräche mit der katalanischen Regionalregierung fort. Die spanische Regierung unter Pedro Sanchez hatte immer eine klare Position zu Katalonien. Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Bevölkerung dort pluralistisch ist, sehr unterschiedlich denkt.

Die Katalanen sind nicht nur Unabhängigkeitsbefürworter, diese Bewegung macht nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung aus. Wir müssen eine Lösung des Konflikts suchen - im Rahmen der Gesetze und der Verfassung -, mit der die Mehrheit der Bevölkerung dort einverstanden ist.

Das Interview führte Oliver Neuroth, ARD-Studio Madrid.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 10. November 2019 um 04:55 Uhr.