Experte zu den neuen Kämpfen "Libyer sind den Bürgerkrieg leid"
Seit Beginn der von General Haftar geführten Offensive eskalieren die Kämpfe in Libyen. Aber die Lage ist sehr unübersichtlich. Libyen-Experte Dittmann erklärt im Interview mit tagesschau24 die Hintergründe.
tagesschau24: Aus unserer Sicht ist die Situation in Libyen mehr als unübersichtlich. Wie ist denn die Gemengelage im Augenblick - wer kämpft da gegen wen?
Andreas Dittmann: Das wird in der Tat von Tag zu Tag unübersichtlicher. Man hatte ja nach Beginn der Kämpfe 2011 gehofft, dass man sich irgendwie zusammenrauft und dass die Liste der unterschiedlichen Akteure im Bürgerkrieg weniger wird, aber das Gegenteil ist der Fall: Es werden immer mehr. Zu den nationalen Akteuren kommen jetzt auch internationale Konkurrenten dazu, die in Libyen ihren eigenen Kampf kämpfen.
tagesschau24: Eine zentrale Figur ist General Haftar, der Kommandeur der LNA, der sogenannten Libyschen Nationalarmee. Wer steht hinter ihm?
Dittmann: Das ist ebenfalls undurchsichtig. Sehr wahrscheinlich wird er aber von und über Ägypten unterstützt. Sowohl logistisch, militärisch als auch nachschubtechnisch könnte er gar nicht vom Osten Libyens aus - der eine relativ schwache Infrastruktur hat - allein agieren. Es geht für ihn nicht ohne das strategisch wichtige Hinterland Ägypten.
Auch in der Vergangenheit hat es verschiedene Angriffe - vor allem Luftschläge - gegeben, die seine eigentlich gar nicht existierende Luftwaffe nicht hätte durchführen können, sondern die möglicherweise mit Flugzeugen ausgeführt wurden, die aus Ägypten kamen. Am stärksten unterstützt wird Haftar also von Ägypten aus, aber es gibt noch weitere internationale Akteure, die in Libyen mitmischen.
"Libyer sind den Bürgerkrieg leid"
tagesschau24: Wie groß sind denn seine Erfolgsaussichten?
Dittmann: Die sind im Moment deshalb größer als in der Vergangenheit, weil viele Libyer den Bürgerkrieg eigentlich leid sind. Seit 2011 gibt es ununterbrochen Kämpfe. Man sehnt sich jetzt nach Ruhe, nach Chancen auf ein Wachstum des Landes - vor allen Dingen sehnt man sich nach wirtschaftlichem Wachstum. Denn Libyen ist aufgrund seiner Erdölreserven nicht nur das reichste Land Afrikas, sondern eines der reichsten Länder in der Region überhaupt. Libyen könnte wachsen und prosperieren. Dazu braucht es aber eine relative Ruhe und ein Ende der Kämpfe.
tagesschau24: Sie haben den Begriff "Bürgerkrieg" gewählt. Können wir in Libyen bereits von einem Bürgerkrieg sprechen?
Dittmann: Ja, bereits seit 2011. Der Bürgerkrieg ist dort immer wieder stärker geworden, hat sich dann wieder abgeschwächt, aber es hat eigentlich nie eine dauerhafte Befriedung gegeben, weil die unterschiedlichsten Akteure versuchen über Waffengewalt ihre politischen Ziele durchzusetzen.
Man darf dabei nicht vergessen, dass Libyen wahrscheinlich eines der am stärksten bewaffneten Länder Afrikas überhaupt ist. Das schließt die Zivilbevölkerung mit ein. Seit dem Sturz Gaddafis haben immer wieder vor allem auch externe Akteure Waffen in das Land hineingepumpt. Hinzu kommt, dass die vorher prall gefüllten libyschen Waffenlager geplündert wurden. Jeder Libyer, der eine Waffe tragen kann, ist bewaffnet.
EU sucht Partner für einen Flüchtlingsdeal
tagesschau24: Die Europäische Union hat die Parteien aufgefordert, die Kämpfe einzustellen und zur Besonnenheit gemahnt. Welche Möglichkeiten hat denn die EU, außer dass sie einen Appell loswird?
Dittmann: Wir würden zwar lieber anderes hören, aber außer dem Erteilen von Ratschlägen hat die Europäische Union in Libyen eigentlich keinen Einfluss. Allenfalls hat sie einen ideellen Einfluss insofern sich gewisse Ziele der EU mit den von der UN verlautbarten Zielen decken. Aber insgesamt fehlen der EU die Mittel, um sich konkreter und direkter in Libyen Gehör zu verschaffen.
Die Interessen der Europäischen Union sind auch nicht auf die Ressourcen gerichtet, die alle anderen Akteure von Libyen wollen. Für die EU steht im Vordergrund, sich einen Partner zu schaffen, der Ansprechpartner für einen Flüchtlingsdeal sein kann.
tagesschau24: Was bedeutet der bewaffnete Konflikt für die Flüchtlingsströme im Land?
Dittmann: Er bedeutet zunächst, dass die Flüchtlinge, die bisher im Westen und Süden des Landes unkontrolliert Libyen erreichten und die Hoffnung hatten, den kürzesten Weg zum Mittelmeer und nach Europa zu finden, auch weiterhin nicht kontrolliert werden.
Der libysche Reststaat - sofern man überhaupt von einem Staat Libyen im herkömmlichen Sinn noch sprechen kann - hat die Kontrolle über weite Teile seines Gebiets längst verloren. Das Gebiet, auf das sich die Kämpfe jetzt zu konzentrieren scheinen, also südlich und östlich von Tripolis, das ist ausgerechnet das Gebiet, das die meisten Flüchtlinge anstreben. Dort besteht auch ohne Kämpfe schon genug Chaos.
Zwischen der Hauptstadt Tripolis und der tunesischen Grenze starten die Boote derjenigen, die hoffen, dass sie den Schengenraum erreichen. Dort konzentrieren sich die, die mit Flüchtlingselend Geld verdienen. Auf diese Region konzentrieren sich jetzt auch die Aktivitäten von General Haftar selbst und derjenigen, die versuchen Haftar zurückzuschlagen.
Ein Land - zwei Regierungen
tagesschau24: In der kommenden Woche ist mal wieder eine Libyen-Konferenz anberaumt worden. Welchen Sinn hat diese Konferenz?
Dittmann: Die Konferenz hat nur dann Sinn, wenn der Verhandlungspartner auf der anderen Seite ein einziger Verhandlungspartner ist. Aber es sind ja jeweils viele verschiedene. Die besondere ungünstige Situation von Libyen drückt sich darin aus, dass es zwei Regierungen in einem Land gibt.
Das Interview führte Jan Hofer, tagesschau24.