Interview zu Whistleblower "Snowden in Moskau am falschen Platz"
Der Whistleblower Snowden hat ein Buch über seine Geschichte geschrieben. Im Interview erklärt Georg Mascolo, was man darin Neues über den Ex-Geheimdienstler erfährt - und was die Tragik seines Lebens ist.
NDR Info: Was ist denn für Sie die Botschaft, die Edward Snowden mit diesem Buch transportieren will?
Georg Mascolo: Ich glaube, er hat sich dazu entschlossen, nachdem er lange Zeit gedacht hat, es reicht ja völlig, wenn ich die technischen Dinge erkläre - die Art und Weise, wie Geheimdienste vorgehen. Er dachte, dass die Menschen sich nicht für den Boten interessieren, sondern eigentlich nur für die Nachricht selbst. Und das hat er dann im Laufe der Jahre doch noch einmal anders entschieden und gesagt: Es ist auch wichtig, dass die Menschen meine Beweggründe verstehen, mich besser kennenlernen.
Im Grunde hat er sich schon seit Jahren mit der Frage beschäftigt, ob er seine Geschichte noch einmal aufschreiben sollte: seine Reise hin von jemandem, der aus einer Familie kommt, in der es üblich gewesen ist, auch im Militär oder in der Coast Guard dem Staat zu dienen, jemand, der sich entschlossen hatte, nach dem 11. September selber zur Armee zu gehen - und der dann zum Whistleblower wird.
Eben diese Geschichte hat er jetzt aufgeschrieben, und er hat es mit der ihm eigenen Perfektion getan. Er hat sich an einen Schriftsteller gewandt, hat regelrecht Unterricht genommen. Nun muss man sagen: Es ist ihm gelungen, ein ungewöhnlich spannendes und zugleich unterhaltsames Buch zu schreiben.
Zwei große Enttäuschungen
NDR Info: Hat Sie etwas besonders überrascht?
Mascolo: Jetzt bin ich vielleicht nicht der beste Leser, was das angeht, weil ich mich sehr intensiv mit ihm beschäftigt und ihn mehrfach getroffen habe. Insofern wusste ich viel über seine Beweggründe. Und trotzdem habe ich es jetzt auch noch einmal mit Interesse gelesen, um nachvollziehen zu können, wie er eigentlich an diesen Punkt gekommen ist.
Von jemandem, der nach dem 11. September sehr überzeugt davon gewesen ist, dass man dem Land dienen muss, jemand, der ein großer Anhänger der Freiheit des Internets gewesen ist, und der heute sagt: Es gibt zwei große Enttäuschungen in meinem Leben. Die eine ist das Internet, die andere ist das Land, weil es dann doch zu einem solchen Überwachungs- oder möglichen Überwachungsinstrument ausgebaut worden ist, wie ich mir das nicht hätte vorstellen können. All diejenigen, die sich für diese Diskussionen interessieren, werden in dem Buch eine gute Lektüre finden.
NDR Info: Was erfährt man von Snowden, was noch nicht bekannt ist?
Mascolo: Er ist zurückhaltend, wenn es darum geht, sein heutiges Leben zu schildern. Man merkt, dass er das nach wie vor eigentlich nicht will. Es gibt ja viel Kritik an ihm. Es gibt immer wieder die Behauptung, dass er doch in irgendeiner Art und Weise mit russischen Stellen kooperieren würde, kooperieren müsste. Da schildert er eine Ankunftsszene am Flughafen Moskau-Scheremetjewo, wo die russischen Geheimdienste das versucht hätten und er gesagt habe, er werde nicht kooperieren. Er geht aber auf all diese Dinge nur relativ kurz ein.
Im Grunde endet das Buch in dem Moment, wo er in Moskau ankommt. Ich nehme an, viele Menschen würden gerne mehr erfahren davon, wie er da eigentlich lebt, was er da eigentlich macht. Aber er zieht nach wie vor eine Grenze. Er öffnet die Tür ein kleines bisschen und lässt einen ein wenig teilhaben, aber auch nicht so viel.
Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden hat seine Memoiren veröffentlicht. Das Buch des im russischen Exil lebenden Informanten mit dem Titel "Permanent Record: Meine Geschichte" ist auch in deutschen Buchläden erhältlich. Das Buch schildert Snowdens Werdegang sowie seine Beweggründe dafür, die massiven Überwachungspraktiken der US-Geheimdienste in ihrem ganzen Ausmaß zu enthüllen.
"Die Tragik seines Lebens"
NDR Info: Wie ist das für ihn, nur von Russlands Gnaden in Moskau zu sein? Und hat der russische Präsident Putin möglicherweise doch einmal vor, Snowden eines Tages gegen etwas einzutauschen, was für Moskau, für Putin persönlich, vielleicht vorteilhaft wäre?
Mascolo: Die Spekulationen hat es ja immer wieder gegeben, im Grunde schon mit der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten. Da ist diese Idee im Raum gewesen: Könnte es jetzt zu einer großen Verständigung kommen zwischen Trump und Putin? Und wird dann im Rahmen einer solchen Verständigung möglicherweise auch der Fall Snowden einmal so gelöst, dass er sich in einem Flugzeug wiederfindet und in die USA ausgeliefert wird?
Ich glaube, dass Snowden klug genug ist, um zu wissen, dass jemand wie er, der sich einsetzt für die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten - so sieht er sich selbst -, jemand, der andere Whistleblower ermutigen will, jemand, der gegen die übertriebene Funktion von Geheimdiensten eintritt, in Russland am falschesten Platz ist, den man sich ungefähr vorstellen kann.
Und so ist ein Stück die Tragik seines Lebens, dass er nun mal keinen anderen Platz gefunden hat. Er spricht das ja auch in Interviews in diesen Tagen immer wieder an, dass er sich gewünscht hätte, ein anderes Land zu finden, das ihn aufnimmt. Deutschland hat immer ganz oben auf der Liste der Länder gestanden, in die er gerne gehen würde, das gilt auch heute noch. Aber das ist so unwahrscheinlich wie es im Jahr 2013 unwahrscheinlich gewesen ist. Das zeigen ja auch die schnellen Reaktionen in der Politik in den vergangenen Tagen.
NDR Info: Weil man sagt, die USA wollen ihn doch strafrechtlich belangen. Ist das der Hauptgrund?
Mascolo: Ja, das ist der - sagen wir mal - technische Grund. Der juristische Grund ist, man sagt, jemand käme hier hin, der in den USA wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen angeklagt ist - etwas, was auch in Deutschland strafbar ist. Jetzt könnte man sehr wohl im Fall Snowden auch eine andere Argumentation aufmachen und sagen: Für ihn gilt im Grunde die ganz klassische Whistleblower-Funktion, und dann muss es auch den Schutz geben, den ein solcher Whistleblower verdient.
Aber es ist aus meiner Sicht ganz und gar ausgeschlossen, dass ein europäisches Land es auf diesen Konflikt mit den USA ankommen lassen würde, und deswegen bleibt es bei der bisherigen Entscheidung. Edward Snowden ist am falschen Platz in Moskau, aber einen anderen Platz wird er nach Lage der Dinge auch erst mal gar nicht finden können.
Das Interview führte Stefan Schlag, NDR Info.