Experte zu Russland-Wahl "Putin wird sich nicht bewegen"
Im Umgang mit Moskau sollte der Westen nicht einknicken, meint Osteuropa-Experte Meister im tagesschau.de-Interview. Deutschland müsse sich schützen, auch militärisch, um von Russland ernst genommen zu werden.
tagesschau.de: Wladimir Putin erreicht mit 76,67 Prozent der Stimmen das beste Wahlergebnis in seiner Geschichte. Wie erklären Sie sich das?
Stefan Meister: Es war die am besten organisierte Wahl, die wir in der neueren russischen Geschichte erlebt haben. Nicht nur, dass die Kreml-Administration die Kandidaten und den Medien-Zugang organisiert hat. Sogar die Wähler wurden indirekt über Druckmittel beziehungsweise Anreize zu den Wahlurnen gebracht. Also nicht nur die Wahl, auch das Wählen selbst ist von Anfang bis Ende durchorganisiert gewesen.
Und es gab auch keine Demonstrationsbereitschaft, wie das noch 2012 gewesen ist. Viele Menschen haben sich einfach damit abgefunden, dass Putin eben nochmal sechs Jahre regieren wird.
tagesschau.de: Warum finden die Leute sich damit ab? Der russischen Wirtschaft geht es nicht gut, es gibt viele soziale Probleme im Land.
Meister: Den Leuten geht es ökonomisch schlechter, aber nicht so schlecht, dass sie auf die Straße getrieben werden. Sie sind in einem Krisenmodus und deshalb derzeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Und sie haben Angst, ihren Wohlstand zu verlieren.
Und natürlich ist Putin auch einfach sehr beliebt. Durch die Annexion der Krim, durch den Konflikt mit dem Westen, den er systematisch führt, hat er viele Russen hinter sich vereint. Er nutzt geschickt diese Konflikte und schürt damit ein Wagenburg-Denken. Und er hat Russland den Respekt international zurückgegeben. Das honorieren die Russen auch. Zudem ist Putin alternativlos, weil man eben keine echten Alternativen zugelassen hat.
"Da wurde massiv manipuliert"
tagesschau.de: Bei der Wahlbeteiligung wurde mit etwa 67 Prozent die ausgegebene Zielmarke von 70 Prozent verfehlt. Ist das ein Wermutstropfen auf dem großen Sieg?
Meister: Interessant ist ja vor allem, dass die Wahlbeteiligung in den Abendumfragen und den ersten Ergebnissen bei knapp 60 Prozent lag und dann plötzlich auf 67 Prozent hochgeschnellt ist. Ich gehe davon aus, dass da nochmal massiv manipuliert worden ist. Es wurden ja auch massenweise Wahlzettel in die Urnen gestopft und da wurde bestimmt auch nochmal bei den Zahlen gedreht.
Aber das spielt letztlich keine Rolle. Die Wahlbeteiligung ist sicher niedriger gewesen als 2012. Aber es ist nicht eingetreten, was der Kreml befürchtet hatte: Dass keiner zu dieser Wahl geht, weil es eben keine Wahl gab. Und bei einem Wahlergebnis von über 76 Prozent für Putin verblasst auch die Wahlbeteiligung.
tagesschau.de: Schmälern die zahlreichen Manipulationen nicht die Legitimation des Wahlergebnisses?
Meister: Nicht innenpolitisch. Das wird in den russischen Medien kaum erwähnt, die Mehrheit der Russen wird das gar nicht mitbekommen. Außer auf der Homepage der Wahlbeobachtungsorganisation Golos selbst oder in den oppositionellen beziehungsweise kritischen Medien, wird das praktisch totgeschwiegen.
"Kreml nutzt Konflikt mit Westen systematisch"
tagesschau.de: Die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, auch zwischen Russland und Deutschland sind nicht zuletzt durch den Fall Skripal so abgekühlt wie lange nicht. Wird dieser Wahlsieg daran etwas ändern?
Meister: Eher nicht. Putins Rhetorik wird vielleicht etwas weniger schrill werden. Aber der Kreml wird sich nicht bewegen in den Konflikten mit der EU oder dem Westen. Weder bei der Ukraine, noch in Syrien, noch was den Fall Skripal betrifft. Daran hat Putin gar kein Interesse. Dort hat man eher den Eindruck, dass wir ohnehin irgendwann die Sanktionen abschwächen werden. Und man nutzt den Konflikt ja systematisch, um von den inneren Schwächen abzulenken: nämlich der negativen sozio-ökonomischen Entwicklung, den fehlenden Reformen, der fehlenden Modernisierung der russischen Wirtschaft.
"Kooperationsbereitschaft sieht der Kreml als Schwäche"
tagesschau.de: Wie sollte der Westen sich künftig verhalten? Wäre eine härtere Gangart notwendig?
Meister: Man sollte vor allem realistisch und konsequent bleiben. Kompromisse und Kooperationsbereitschaft werden im Kreml als Schwäche angesehen. Und nur aus einer Position der Stärke heraus wird Putin bereit sein, in irgendeiner Hinsicht Kompromisse zu machen. Es ist also einerseits sehr wichtig, nicht ständig Kooperations- und Gesprächsangebote zu machen. Und andererseits ist es wichtig, nicht hysterisch zu werden, wie das Theresa May in Großbritannien geworden ist. Es bringt überhaupt nichts, irgendwelche Ultimaten zu stellen, für die die Druckmittel fehlen. Auch das Verhalten der USA, wo man Russland inzwischen für fast alles beschuldigt, hilft nicht weiter. Man macht Putin damit stärker als er eigentlich ist.
Wir müssen zwar im Gespräch bleiben, sollten aber nicht Dinge tun ohne eine Gegenleistung von russischer Seite. Sanktionen einfach so abzuschaffen oder abzuschwächen wäre beispielsweise kontraproduktiv.
tagesschau.de: Welche Rolle könnte Deutschland dabei künftig spielen?
Meister: Deutschland ist innerhalb Europas der wichtigste Ansprechpartner für Russland. Aber wir haben in der EU divergierende Interessen mit diesem Regime. Wir müssen uns absichern, auch militärisch. Wir müssen die Räume schließen, in denen Putin agieren kann, auch was Desinformation und populistische Bewegungen betrifft. Wir dürfen ihm auch nicht Konflikte überlassen im Umfeld Europas oder international, wo beispielsweise die Amerikaner sich zurückziehen.
Und wir müssen auch nach innen wirken: der deutschen Bevölkerung erklären, dass Putins Russland eine Herausforderung ist. Und dass das ganze Gerede von schrittweisem Ausstieg aus Sanktionen nicht dazu führen wird, dass Putin sich bewegen wird. Wir müssen uns auch schützen, damit Putin uns ernst nimmt, beispielsweise im Cyberbereich oder im militärischen Bereich.
"Wir brauchen eine langfristige Strategie"
tagesschau.de: Welche konkreten Schritte sind notwendig?
Meister: Deutschland müsste beispielsweise Institutionen wie die OSZE stärken, Kommunikationskanäle öffnen oder auch die Amerikaner versuchen zu beeinflussen, die Situation nicht weiter zu eskalieren mit Moskau.
Und dann brauchen wir eine langfristige Strategie. Wir werden im Moment mit diesem Regime nicht viel erreichen, aber wir müssen langfristig auf den gesellschaftlichen Wandel in Russland selbst setzen. Und da dürfen wir eben nicht nur mit den Liberalen reden, die das sagen, was wir gerne hören. Sondern wir müssen mit den relevanten auch nationalistischen, patriotischen Figuren sprechen, die letztlich auch eher die Geschicke des Landes bestimmen werden.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de