Einigung im US-Schuldenstreit "Nur kurzfristig eine Lösung - der Konflikt bleibt"
Nach der Einigung im US-Schuldenstreit sind noch immer eine Menge Fragen offen: Wo wird beispielsweise konkret gespart? Welche Partei hat sich eigentlich durchgesetzt? Und warum hat das alles so lange gedauert? Antworten gibt Johannes Thimm von der Stiftung Wissenschaft und Politik im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Warum haben sich Demokraten und Republikaner so schwer getan mit dieser Einigung?
Johannes Thimm: Weil es um ein Pokerspiel ging, bei dem beide Seiten versucht haben, so viel wie möglich aus einem Kompromiss herauszuholen. Die Aussicht einer Zahlungsunfähigkeit diente als Drohung - und die hat in die eine Richtung besser funktioniert als in die andere. Denn bei den Demokraten war die Angst vor einer Zahlungsunfähigkeit und Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit größer als bei den Republikanern. Einige Mitglieder der ultrakonservativen Tea-Party-Bewegung waren der Auffassung, dass ein kurzfristiges Aussetzen des Schuldendienstes gar nicht so schlimm werden würde.
tagesschau.de: Was sagt dieses zähe Ringen über das derzeitige Verhältnis der beiden Parteien aus?
Thimm: Die politische Landschaft in den USA ist so polarisiert wie schon lange nicht mehr. Es gibt grundsätzlich verschiedene Vorstellungen darüber, wie man mit dem Schuldenproblem umgehen soll. Die Demokraten wollen die Einnahmeseite verändern, indem man die Steuern anhebt – zumindest für die Besserverdienenden. Die Republikaner lehnen das strikt ab. Sie wollen, dass die Leistungen des Sozialstaats gesenkt werden und die Regierung weniger Geld ausgibt.
tagesschau.de: Besteht diese Kluft nur beim Thema Haushalt oder auch in anderen Bereichen?
Thimm: Das gibt es sicherlich bei sehr vielen Themen - von der Klimapolitik bis zur Homoehe. Aber im Moment ist es so, dass die Haushalts- und Wirtschaftspolitik das bestimmende Thema ist - auch im anstehenden Präsidentschaftswahlkampf. Da sind die Blockaden am größten, aber da ist auch der Handlungsdruck am größten, denn das Schuldenproblem der USA ist einfach zu weit fortgeschritten.
tagesschau.de: Ist denn die erzielte Einigung auch eine Lösung des Konflikts oder wird das Thema nur nach hinten verschoben?
Thimm: Die Einigung ist eine Lösung für das unmittelbare Problem der Zahlungsunfähigkeit, aber sie ist keine Lösung für das langfristige Schuldenproblem der USA. Da wird noch einmal eine grundsätzlichere Einigung nötig werden.
tagesschau.de: Sind die vorgestellten Maßnahmen denn ausreichend?
Thimm: Obama wollte um jeden Preis verhindern, dass sich das Szenario der vergangenen Wochen im Wahlkampf wiederholt, und die Anhebung der Schuldengrenze ist jetzt so berechnet, dass sie bis Anfang 2013 ausreicht. Danach müssen allerdings weitere Maßnahmen getroffen werden.
"Obama wollte verhindern, noch einmal erpressbar zu sein"
tagesschau.de: Warum wollte Obama einen derartigen Konflikt im Wahlkampf vermeiden?
Thimm: Jeder Kandidat würde nur noch versuchen, dem anderen zu schaden, statt eine Lösung für das Problem zu finden. Obama wollte aber auch verhindern, noch einmal so erpressbar zu werden. Denn wenn es zu einer Rezession gekommen wäre, weil die Schuldengrenze nicht angehoben wurde, dann wäre ihm als Präsident die Hauptschuld angelastet worden. Genau das war auch die Kalkulation der Republikaner.
tagesschau.de: Aber schlussendlich ließen sie sich doch auf eine Einigung ein ...
Thimm: Dabei haben sie sich aber inhaltlich vollständig durchgesetzt. Obamas Vorhaben, Steuerschlupflöcher und -vergünstigungen zu beseitigen, taucht im Kompromiss nicht mehr auf. Stattdessen gibt es relativ drastische Einschnitte in Bereichen der Demokraten wie dem innenpolitischen Haushaltsposten, zum Beispiel bei den Sozialprogrammen.
tagesschau.de: Der erste Teil des Sparplans steht in groben Zügen fest. Wo genau könnte da angesetzt werden?
Thimm: Die Demokraten haben herausgehandelt, dass das soziale Versicherungssystem erst einmal unangetastet bleibt. Die Kürzungen bei Medicare - der Gesundheitsversorgung für Pensionäre - liegen nur bei etwa zwei Prozent. Die Leistungen, die diese Leute erhalten, werden nicht gekürzt. Dafür wird wohl in allen anderen Regierungsprogrammen - von Förderungen staatlich unterstützter Medien bis zu den Investitionen in die Infrastruktur - gespart. Darüber, wie im zweiten Schritt weitere 1,5 Billionen Dollar gekürzt werden sollen, soll dann eine überparteiliche Kommission aus Abgeordneten von Republikanern und Demokraten im Laufe dieses Jahres entscheiden.
"Bei keiner Einigung greifen bestimmte Mechanismen"
tagesschau.de: Da stellt sich natürlich die Frage: Geht das zähe Ringen dann nicht von vorne los?
Thimm: Der Konflikt wird sich auf jeden Fall bei der Bildung dieser Kommission wiederholen, aber auch bei der langfristigen Strategie, wie man die Schuldenkrise bekämpft. Allerdings ist der aktuelle Deal so gestrickt, dass bei keiner Einigung dieser Kommission automatisch bestimmte Mechanismen greifen. Dann würde von 2013 an bei allen Programmen gekürzt: 50 Prozent beim innenpolitischen Haushalt und 50 Prozent beim Verteidigungshaushalt - den jeweiligen Schwerpunkten der Demokraten und Republikaner. Das soll für beide Parteien ein Anreiz sein, sich zu einigen.
tagesschau.de: Wie müssten denn die USA Ihrer Ansicht nach langfristig agieren, um den gigantischen Schuldenberg wieder in den Griff zu bekommen?
Thimm: Meiner Meinung nach kann eine langfristige Lösung nicht stattfinden, ohne dass Steuern erhöht werden - besonders für Besserverdienende. Denn im Moment sind die Abgaben auf dem niedrigsten Niveau seit mehr als 50 Jahren. Aber ein ganz anderer, wichtiger Teil, über den in diesem Streit kaum noch gesprochen wurde, ist Wachstum. Die amerikanische Wirtschaft muss sich von der Finanz- und Wirtschaftskrise erholen. Dann nimmt die Regierung auch über diesen Mechanismus wieder mehr Geld ein. Ich befürchte allerdings, dass die aktuelle Einigung auf Ausgabensenkungen die Konjunktur eher abwürgt - und damit nicht zur Lösung des Schuldenproblems beiträgt, sondern es vielleicht sogar noch verschärft.
Die Fragen stellte Sonja Stamm, tagesschau.de.