Interview zum Krisenmanagement "Pakistan darf nicht scheitern"
Pakistan hat eine Regierung, eine Armee, es erhält seit Jahren Milliardenbeträge aus den USA - dennoch ist das Land mit der Katastrophe völlig überfordert. "Die Korruption ist sehr verbreitet", sagt Pakistan-Experte Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit tagesschau.de. "Ein Scheitern der Atommacht können wir aber uns nicht leisten."
tagesschau.de: Pakistan hat eine gewählte Regierung, eine starke Armee und sogar die Atombombe. Die Bilder von der Flutkatastrophe vermitteln aber eher den Eindruck eines Dritt-Welt-Landes: Nichts klappt. Warum?
Christian Wagner: Das Ausmaß der Katastrophe hätte jede Regierung überfordert. Zudem leidet Pakistan traditionell unter einer schlechten Regierungsführung, die Korruption ist sehr verbreitet.
tagesschau.de: Die Korruption ist der Grund für das miserable Krisenmanagement der Regierung?
Wagner: Es ist vor allem die schlechte Regierungsführung der letzten Jahre. Viele Gelder versickern in den dunklen Kanälen und kommen bei den Menschen nicht an. Das war schon bei früheren Katastrophen in dem Land so und ist vermutlich auch jetzt nicht anders. Deshalb arbeiten die internationalen Hilfsorganisationen nur zum Teil mit staatlichen Stellen zusammen. Vielmehr kontrollieren sie die Verwendung ihrer Spendengelder vor Ort.
Geld für den Anti-Terror-Kampf
tagesschau.de: Der Westen, allen voran die USA, stecken seit Jahren Milliarden Dollar in das Land. Wo ist das ganze Geld geblieben?
Wagner: Pakistan steckt tief in der Wirtschaftskrise, das Land hat gravierende Probleme bei der Energieversorgung. Hier hat die internationale Gemeinschaft sehr viel Geld investiert, um nicht nur die militärische Seite im Anti-Terror-Kampf zu stärken, sondern auch um die zivilgesellschaftlichen und demokratische Institutionen zu unterstützen.
tagesschau.de: Und jetzt offenbart diese Katastrophe: Das Geld ist versickert...
Wagner: Korruption ist ein Dauerproblem in Pakistan. Für den Wiederaufbau lässt das wenig Gutes hoffen. Zusätzlich bleibt das Problem der schlechten Regierungsführung.
Präsident wegen Korruption verurteilt
tagesschau.de: Das heißt?
Wagner: Das heißt, Maßnahmen werden zwar angekündigt und beschlossen, aber nicht umgesetzt auf der lokalen Ebene. Die Indizes für Bildung liegen hinter denen für Bangladesch, dem früheren Ostpakistan. Die wenig reformbereite Elite hat mehr Interesse daran, in die eigene Tasche zu wirtschaften als Gelder in die Bildung der Menschen zu stecken. Auch Präsident Zardari ist wegen Korruption verurteilt worden.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt das Militär?
Wagner: Das Militär ist einer der Profiteure dieser Krise. Es ist die einzige Institution, deren Hilfe jetzt bei den Menschen ankommt. Es hat die Logistik und die Kapazitäten - im Gegensatz zu den zivilen Stellen.
tagesschau.de: Wer hat im Moment bei der Bewältigung der Krise den Hut auf?
Wagner: Immer noch die Regierung. Das Militär hält sich seit dem Rücktritt Muscharaffs aus der Politik raus. Viel Einfluss hat aber auch Präsident Zardari nicht. Die Macht liegt momentan bei Premierminister Gilani. Doch im Kampf gegen die Flutkatastrophe ist er auf das Militär angewiesen.
tagesschau.de: Ein loyaler Helfer für Gilani?
Wagner: Ich sehe derzeit keinen politischen Machtanspruch des Militärs.
Der Westen kann an Ansehen gewinnen
tagesschau.de: Wer profitiert von der Flutkatastrophe?
Wagner: Zwei Gruppierungen könnten an Ansehen gewinnen. Einmal islamistische Gruppen, auch die Taliban. Doch sie sind ein regional begrenztes Phänomen und haben zudem auch nicht die Logistik für umfassende Hilfsmaßnahmen.
tagesschau.de: Und der zweite Gewinner?
Wagner: Der Westen, allen voran die USA. Denn die Katastrophe beginnt ja gerade erst. Wenn die Ernte jetzt ausfällt, brauchen die Menschen langfristig Unterstützung. Hier können die westlichen Staaten durch eine umfassende Aufbauarbeit deutlich an Ansehen gewinnen.
tagesschau.de: Der Westen als Gewinner - das klingt doch positiv. Wie sähe denn ein worst-case-Szenario aus?
Wagner: Der wirtschaftliche Schaden für das Land ist enorm. Die Entwicklung ist deutlich zurückgeworfen - und das ist eigentlich das Schlimmste.
tagesschau.de: Und politisch?
Wagner: Hier sehe ich keine unmittelbaren Gefahren. Das Vertrauen der Menschen in den Staat war bereits vorher schwach, das Militär stand schon vorher gut da und die Taliban leiden selbst unter den Fluten. Positiv ist, dass Regierung und Opposition ihren Streit über die Verantwortung für die Flut mittlerweile beigelegt haben.
Schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis
tagesschau.de: Trotzdem bleibt die Angst des Westen, dass Pakistan kippt...
Wagner: Diese Gefahr ist ja nicht neu. Deswegen gibt es ja diese massive Unterstützung für Pakistan. Die USA fördern insbesondere den Anti-Terror-Kampf mit Milliarden und neuerdings auch die wirtschaftliche und politische Entwicklung. Und weil nicht sein darf, dass Pakistan kippt, muss das Geld auch in Zukunft fließen.
tagesschau.de: Die USA überweisen seit Jahren Milliarden an Geldern nach Pakistan, wohlwissend, dass ein Großteil in dunklen Kanälen versickert. Auf der anderen Seite bleibt das Ansehen der USA in Pakistan gleichbleibend schlecht. Stimmt hier das Preis-Leistungs-Verhältnis?
Wagner: Nein. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt sicherlich nicht. Aber die USA haben keine andere Möglichkeit. Sie können nur an die Regierung überweisen, weitere Kontrollmöglichkeiten haben sie kaum. Die Korruption müssen sie ein Stück weit in Kauf nehmen.
tagesschau.de: Also Geld nachlegen - vor allem für den Anti-Terror-Kampf - und hoffen, das Pakistan politisch stabil bleibt?
Wagner: Ja. Ein Zusammenbruch der Atommacht Pakistan kann sich die internationale Gemeinschaft einfach nicht leisten. Mit diesen Geldern versichern wir auch die Sicherheit des pakistanischen Atomprogramms.
tagesschau.de: Wie weit ist Pakistan noch entfernt von einem "failed state", einem gescheiterten Staat?
Wagner: Pakistan ist nicht Somalia und auch nicht Afghanistan. Ein failed state ist es nicht. Die Armee hält das Land zusammen. Doch in den Bergen, in der Nordwestregion, in Balutschistan - da endet jede staatliche Autorität.
Das Gespräch führte Wenke Börnsen, tagesschau.de.