Interview

Konflikt zwischen Israel und Iran Militärschlag laut Experte "fast schon sicher"

Stand: 20.03.2012 15:13 Uhr

Beim Besuch von Israels Verteidigungsminister Barak in Berlin steht auch das Thema eines israelischen Militärschlags gegen den Iran auf der Tagesordnung. Dieser wird nach Einschätzung von Nahost-Experte Michael Lüders immer wahrscheinlicher. Die Folgen wären verheerend, sagt er im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Der Besuch des israelischen Verteidigungsministers Barak in Berlin steht im Zeichen des Atomstreits mit dem Iran. Welche Rolle könnte Deutschland im Falle eines Angriffs Israels auf den Iran spielen?

Michael Lüders: Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem solchen Angriff Israels kommen. Deutschland wird dann auf der Seite Israels indirekt in diesen Krieg mit einbezogen, vermutlich in Form einer symbolischen Unterstützung.

Die Regierenden in Berlin werden das allerdings nur mit großen Bauchschmerzen tun. Denn ein Krieg gegen den Iran, egal wie man ihn begründet, wäre ein völkerrechtlicher Angriffskrieg. Und das verbietet das Grundgesetz. Man wird vermutlich versuchen, sich aus der Affäre zu ziehen, indem man es als Präventivkrieg darstellt. Man wird behaupten, dass er der Abwehr eines größeren Übels diene, nämlich dem Erwerb der Atombombe durch den Iran. Das wird in der Bevölkerung und in Teilen der Politik aber sicher nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen.

Zur Person
Michael Lüders ist Autor und Publizist und berät Firmen und Ministerien in Bezug auf den Nahen Osten. Er organisiert Geschäftsreisen, begleitet Verhandlungen und schult Mitarbeiter für Auslandseinsätze. Lüders studierte arabische Literatur in Damaskus und Islam- und Politikwissenschaften in Berlin.

"Auch in Deutschland könnte es terroristische Anschläge geben"

tagesschau.de: 2008 hat Kanzlerin Merkel bei ihrer Rede in der Knesset erklärt, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson und für die Bundesregierung "nicht verhandelbar". Wäre es vorstellbar, dass sich Deutschland im Falle eines Krieges militärisch beteiligt?

Lüders: Ich traue, ehrlich gesagt, keinem deutschen Politiker diese Dummheit zu. Militärisch gesehen brauchen die Israelis eine deutsche Unterstützung nicht. Man kann nur hoffen, dass sich die Bundesregierung hier sehr zurückhaltend zeigt. Sie würde das Risiko eingehen, dass der Iran Deutschland als Kriegspartei sieht und auch Deutschland mit militärischen Angriffen überzieht.

Die Iraner wissen natürlich, dass sie dem Westen militärisch unterlegen sind. Sie würden asymmetrisch reagieren, also unter anderem in Form von Terroranschlägen in den Ländern, die Israel unterstützen. Auch in Deutschland könnte es dann Anschläge durch iranische Terroristen geben.

Wenn sich Deutschland mit Israel solidarisch zeigen möchte, wäre die Bundesregierung gut beraten, den Israelis diesen Krieg auszureden, der in jeder Hinsicht der helle Wahnsinn ist. Sowohl US-amerikanische als auch israelische Geheimdienstler und führende Militärs warnen vor den Folgen eines Angriffs auf den Iran. Vor diesem Hintergrund wäre es geradezu aberwitzig, wenn sich Deutschland auf diesen Krieg einlassen würde.

"Keine Hinweise, dass der Iran nach der Atombombe greift"

tagesschau.de: Israelische Verteidigungsexperten gehen davon aus, dass der Iran innerhalb von sechs Monaten über waffenfähiges Uran verfügen könnte. Ist diese Einschätzung realistisch?

Lüders: Nein, das ist absoluter Unfug. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Iran nach der Atombombe greift. Der ranghöchste amerikanische General Martin Dempsey hat im vorigen Monat in einem CNN-Interview gesagt, die USA hätten keinen Beweis dafür, dass der Iran an einer Bombe baut und sie hielten den Iran für einen rationalen Akteur.

Die Behauptung Israels, der Iran hätte innerhalb von sechs Monaten waffenfähiges Uran, hat zwei Gründe: Erstens hat man in Israel Angst, dass die Iraner ihr gesamtes Nuklearprogramm unterirdisch in Stollen verlegen, die durch Bombardierung nicht mehr zu erreichen wären. Zweitens spielen bei der Frage des Timings eines Krieges die US-Wahlen eine große Rolle. Die Israelis hätten gern vor den Wahlen im November eine Entscheidung. Denn nach einer möglichen Wiederwahl Obamas hätten sie vermutlich große Probleme, die Amerikaner davon zu überzeugen, sich am Krieg zu beteiligen.

"In dem Konflikt geht es nur vordergründig um das Atomprogramm"

tagesschau.de: Sie sagen, ein Angriff Israels ist fast schon sicher. Wann rechnen Sie damit?

Lüders: Wann genau es passiert oder nicht, weiß natürlich niemand. Bei dem Treffen von Netanjahu und Obama am 5. März in Washington war die Rede davon, dass beide Seiten noch ein Zeitfenster von zwei Monaten einräumen, um zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Aber wenn mal eine solche Dynamik greift, wie wir sie jetzt erleben, dann ist nicht davon auszugehen, dass eine der Parteien einen Rückzieher macht.

Mal davon abgesehen geht es in diesem Konflikt nur vordergründig um das Atomprogramm. Es geht vor allem darum, einen geostrategischen Rivalen auszuschalten. Der Iran ist das letzte Land im weiten Feld zwischen Marokko und Indonesien, das keine pro-westliche Politik verfolgt. Die USA und Israel hätten - wäre die Islamische Republik Iran vernichtend geschlagen - keinerlei Widersacher mehr in der Region.

"Ahmadinedschad liefert Israel mit seiner Polemik eine Steilvorlage"

tagesschau.de: Israel argumentiert unter anderem damit, dass Teheran darauf aus sei, das Land zu vernichten. Ahmadinedschad hat sich in der Vergangenheit wiederholt so geäußert. Wie ernst muss man die Drohung Teherans nehmen?

Lüders: Ahmadinedschad ist ein furchtbarer Demagoge, er ist wiederholt durch antiisraelische Polemik aufgefallen und hat den Holocaust geleugnet. Er hat seinem eigenen Land einen Bärendienst erwiesen, denn er hat den Kriegstreibern in Israel und den USA damit eine Steilvorlage geliefert. Aber dieses Zitat, was immer wieder in den deutschen Medien zu vernehmen ist, ist sachlich falsch. Der Iran hat nicht damit gedroht, Israel zu vernichten. Das ist eine falsche Übersetzung einer Rede von 2005, wo Ahmadinedschad erklärte, dass der Zionismus vor der Geschichte keinen Bestand haben werde. Er hat gesagt, das Besatzerregime müsse Geschichte werden, so wie das Apartheitsregime in Südafrika Geschichte geworden ist.

Der Iran hat keinen Grund, Israel anzugreifen, es gibt keine territorialen Konflikte mit Israel, die beiden Länder liegen 2000 Kilometer auseinander. Es ist hier viel Ideologie im Spiel und es geht um Machtansprüche.

tagesschau.de: Aber warum macht Teheran keine Zugeständnisse, um zu deeskalieren?

Lüders: Welches Zugeständnis sollen die Iraner denn machen? Durch die wirtschaftlichen Sanktionen setzt man ihnen die Pistole auf die Brust. Und egal, welche Zugeständnisse sie in der Vergangenheit gemacht haben, es wurde ihnen immer negativ ausgelegt ...

tagesschau.de: ... der Iran könnte beispielsweise der Atomenergiebehörde uneingeschränkten Zugang zu seinen Atomanlagen ermöglichen.

Lüders: Dazu muss man sich mal ganz genau die Arbeitsweise der Atomenergiebehörde anschauen. Wenn die IAEA beispielsweise auf ein bestimmtes Militärgelände möchte, dann sagt der Iran: 'Das ist militärisches Sperrgebiet, da lassen wir euch nicht drauf'. Dann sagt die IAEA hinterher: 'Wir haben nicht alles sehen können'. Lässt man die Inspektoren aber auf das Militärgelände, besteht die Gefahr, dass Amerikaner und Israelis die Informationen hinterher militärisch auswerten.

"Ein Krieg würde die gesamte Region zum Explodieren bringen"

tagesschau.de: Israel hat angekündigt, notfalls im Alleingang gegen den Iran vorzugehen. Wäre Israel militärisch überhaupt dazu in der Lage?

Lüders: Nein. Aber es gibt Überlegungen in Israel, den ersten Angriff allein zu machen. Dann würde der Iran zurückschießen und in dem Moment wären die USA gezwungen, sich auf Seiten Israels an diesem Krieg zu beteiligen, auch wenn sie das eigentlich gar nicht wollen.

tagesschau.de: Welche Konsequenzen hätte ein Angriff Israels?

Lüders: Die Kriegspropagandisten behaupten, ein Krieg gegen den Iran wäre so eine Art verlängerter Spaziergang. Man würde zwei, maximal drei Wochen das Land bombardieren. Dann würde das marode Regime in sich zusammenfallen und die Demokratiebewegung würde die Chance ergreifen, selbst die Macht zu übernehmen.

Das alles ist Unfug. Ein Krieg gegen den Iran würde sich über Monate und Jahre erstrecken und er würde die gesamte Region zum Explodieren bringen. Das hätte verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. Es wäre ein Krieg, der politisch nicht mehr einzudämmen wäre, wie bei einer chemischen Kettenreaktion. Das ist ein ganz anderes Kaliber als der Krieg gegen den Irak oder Afghanistan. Ein solcher Angriff würde das Jahrhundert prägen, wie der erste Weltkrieg das vorige Jahrhundert geprägt hat.

"Der Westen muss beginnen, ernsthaft mit dem Iran zu verhandeln"

tagesschau.de: Warum wäre der Konflikt nicht mehr einzudämmen?

Lüders: Der Krieg würde nicht auf den Iran begrenzt bleiben, sondern die gesamte Region erfassen. Die Verbündeten des Iran in der Region, allen voran Syrien und die Hisbollah im Libanon und die schiitischen Glaubensbrüder würden sich auf Seiten Irans an diesem Krieg beteiligen. Auch Pakistan und die Arabische Halbinsel wären betroffen. Die Folgen für die Weltwirtschaft wären mit Blick auf explodierende Ölpreise verheerend.

tagesschau.de: Welche Alternativen gibt es zu einem Angriff? Auch die wirtschaftlichen Sanktionen scheinen ja nichts zu bewirken.

Lüders: Der Westen muss seine Strategie ändern. Man muss beginnen, mit dem Iran ernsthaft zu verhandeln. Die Verhandlungen bisher hatten nicht das Ziel, Kompromisse herbeizuführen. Es waren Verhandlungen, bei denen man den Iranern die Pistole auf die Brust gesetzt hat, nach dem Motto 'Akzeptiert unsere Bedingungen oder wir werden euch wirtschaftlich in Grund und Boden boykottieren'. Und genau das passiert ja im Augenblick. Das ist keine Politik, das ist Erpressung und darauf lässt sich der Iran nicht ein.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de