EWG-Beitritt vor 50 Jahren Irlands Aufstieg zum Vorzeigeland
Irland galt einst als Armenhaus Europas. Inzwischen zählt es zu den reichsten Ländern der EU. Das Resümee der Iren 50 Jahre nach Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft fällt deshalb weitestgehend positiv aus.
Dass die Iren der EU sehr positiv gegenüberstehen, belegen Umfragen immer wieder: Demnach befürworten 70 bis 90 Prozent der Befragten, dass ihr Land zur Europäischen Union gehört. Man merkt es auch sofort, wenn man sich auf der Straße mit Iren unterhält. Die Reisefreiheit wird ebenso gelobt wie die Möglichkeit, im Ausland zu studieren und zu arbeiten. Daneben scheinen sich viele Iren über die wirtschaftlichen Aspekte im Klaren zu sein. Immer wieder ist zu hören, dass mit EWG- bzw. EU-Geldern Autobahnen gebaut und Häfen modernisiert wurden. Generell hat Irlands Infrastruktur stark profitiert.
David, ein 32-jähriger Ire in Dublin, betont, dass er unbedingt in der EU bleiben will. Es sei viel nützlicher, im Binnenmarkt zu sein als draußen, sagt er und verweist nebenbei auf die Probleme, mit denen Großbritannien seit dem Brexit zu kämpfen hat. Shane geht noch weiter. Der 46-Jährige sieht für sein Land sogar die Notwendigkeit, Teil der Union zu sein: "Wir brauchen die Unterstützung der EU. Wir würden allein gar nicht überleben. Wir sind zu klein."
Aufstieg in den 1990er-Jahren
Irland wäre der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gern schon früher beigetreten, aber erst 1973 war es so weit. Professor Kieran McQuinn vom Forschungsinstitut für Wirtschaft und Soziales (ESRI) in Dublin bewertet diesen Schritt als ungeheuer vorteilhaft für Irland. Es habe dem Land erlaubt, seine Wirtschaft weiter zu öffnen und ausländische Direktinvestitionen anzulocken. Außerdem habe es Irland geholfen, sich aus den Wirtschaftsbeziehungen mit Großbritannien herauszulösen, die McQuinn als "klaustrophobisch" beschreibt.
Allerdings ging es für das damals noch landwirtschaftlich geprägte Irland nicht sofort bergauf. Es hat die Ölpreisschocks in den 1970er-Jahren nicht gut überstanden. Und wie sich zeigen sollte, waren auch viele irische Waren international nicht konkurrenzfähig. Das hatte eine hohe Staatsverschuldung und Massenarbeitslosigkeit zur Folge, Irland galt noch in den 1980ern als das Armenhaus Europas. Das änderte sich erst im darauffolgenden Jahrzehnt, auch dank massiver Unterstützung durch die EU. Die Kohäsions- und Strukturfonds trugen dazu bei, die Wirtschaft anzukurbeln und das Land auf die Beine zu bringen.
Wachstum trotz Pandemie
Irland hat daneben in sein Bildungssystem investiert, wodurch das Land zunehmend gut ausgebildete, englischsprachige Arbeitskräfte zu bieten hatte. Und: Es hat die Körperschaftssteuer über viele Jahre hinweg immer weiter gesenkt, bis der Satz bei nur noch 12,5 Prozent lag. Besonders ab Mitte der 1990er-Jahre flossen so große Summen ausländischer Direktinvestitionen ins Land.
Das Kraftzentrum der irischen Wirtschaft bilden heute die Konzerne der Informations- und Kommunikationstechnik und die Pharmakonzerne. So konnte Irland selbst in der Corona-Pandemie noch ein deutliches Wirtschaftswachstum verzeichnen. Inzwischen beschäftigen die internationalen Konzerne in Irland mehr als 300.000 Menschen, das sind zwölf Prozent der berufstätigen Bevölkerung.
Die Konzerne verzerren mit ihren Steuersparmodellen allerdings das Bruttoinlandsprodukt. Das BIP ist daher kein aussagekräftiger Indikator mehr dafür, wie gut es der irischen Bevölkerung geht. Tatsache ist aber dennoch, dass Irland heute zu den reichsten Ländern der EU gehört.
Katholizismus, Liberalisierung und Moderne
Vor 50 Jahren war das Leben in Irland stark von den "Troubles" - den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Nordirland - und der katholischen Kirche geprägt. Verhütung war bis 1980 komplett verboten, Kondome kann man erst seit 1992 frei im Laden kaufen. Anfang der 1970er-Jahre mussten Frauen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt waren, noch ihren Job aufgeben, wenn sie geheiratet haben. Denn dann sollten sie zu Hause bleiben und Kinder großziehen.
Mit dem Beitritt Irlands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft kamen dann aber entscheidende Veränderungen. Es wurde die "Commission on the Status of Women" ins Leben gerufen - eine Kommission, die untersuchen sollte, worin die mangelnde Gleichberechtigung der Frauen bestand. Im Zuge dessen wurde das Arbeitsverbot für verheiratete Frauen gelockert. Es war der Startschuss für die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung.
Mit Einfluss der EU
Für Orla O'Connor vom "National Women's Council of Ireland", einer Dachorganisation, die für Frauenrechte kämpft, steht fest: "Dass Irland ein EWG-Mitglied war, hat einen enorm großen Unterschied gemacht." So wurde etwa mit Geldern aus dem Europäischen Sozialfonds Kinderbetreuung finanziert - eine wesentliche Voraussetzung für Frauen, arbeiten gehen zu können.
Die aufsehenerregenden Reformschritte in Irland - als 2015 die Homo-Ehe zugelassen und 2018 das Abtreibungsverbot gekippt wurden - gehen nicht direkt auf die EU-Mitgliedschaft zurück. Dennoch habe die EU indirekt einen bedeutenden Einfluss gehabt, meint Liam Herrick vom "Irish Council for Civil Liberties", einer Organisation für Bürger- und Menschenrechte. "Uns sind die europäischen Normen immer bewusster geworden und auch, dass wir ein Sonderfall sind", sagt Herrick. Dieses Bewusstsein habe die öffentliche Debatte beeinflusst und den Wandel vorangetrieben.