Enttäuschung bei der EU über Referendum Brüssel deprimiert über Nein der Iren
Das irische Nein zum neuen EU-Vertrag hat in Brüssel weitgehend Enttäuschung, aber auch Ratlosigkeit ausgelöst. Abgeordnete und Politiker überlegen nun, wie die Reform der Union noch gerettet werden kann. Die Vorschläge reichen bis zur Neugründung der EU.
Von Christopher Plass, HR-Hörfunkkorrespondent Brüssel
Das politische Brüssel war vorbereitet auf die Ohrfeige durch die irischen Wähler. Kaum waren die ersten Ergebnisse von der grünen Insel bekannt geworden, waren Europa-Abgeordnete mit Reaktionen schnell bei der Hand. Enttäuschung, Frust, teilweise auch Verbitterung waren aus diesen Reaktionen herauszulesen: "Die Legitimität dieser Referenden ist begrenzt. Da wird ja nicht über Europa abgestimmt, sondern eher über Herrn Balkenende, Herrn Chirac oder - wie jetzt in Irland - Herrn Cowen", so der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten, der Deutsche Martin Schulz.
Schulz: Jetzt sind die Staatschefs am Zug
Vor allem die Iren, aber auch die anderen Staats- und Regierungschefs der EU müssten beim anstehenden EU-Gipfel in einer Woche deutlich sagen, welche Union sie eigentlich wollten - mehr politische Vertiefung oder ein Bündnis, bei dem es nur um Wirtschaftspolitik, also den Binnenmarkt, gehe, meint Schulz: "Die Frage zu beantworten 'will ich die EU und in welcher Form', die muss jetzt jeder einzelne Regierungschef beantworten."
"Wie Rabeneltern"
Auch sein Fraktionskollege, der Vorsitzende des Verfassungs-Ausschusses, Jo Leinen, gab den Mitgliedsstaaten die Schuld am Scheitern. Die Kommunikation sei katastrophal gewesen: Die Staaten hätten zwar den Lissaboner Vertrag unterzeichnet, aber für das überall notwendige Ratifizierungs-Verfahren zuwenig getan: "Man verhandelt, unterzeichnet und dann geht man zum Alltag über. Das ist wie Rabeneltern, die ein Kind in die Welt setzen und sich dann nicht mehr darum kümmern."
Ratlosigkeit über den weiteren Weg
Wie weiter? Das ist jetzt die beherrschende Frage in Brüssel, bei EU-Kommission und im Parlament. Die Ratifizierung müsse in den anderen Ländern fortgesetzt werden, sagte der CDU-Außenexperte Elmar Brok. Es sei im Interesse der EU, dass der Vertrag in Kraft trete. 18 Staaten haben das Regelwerk bereits ratifiziert.
Es ist allerdings klar, dass er in dieser Form nur in Kraft treten kann, wenn alle 27 Staaten zugestimmt haben - also auch Irland. Dass dort jedoch mit zeitlichem Abstand erneut eine Volksabstimmung über den identischen Text angesetzt werden könnte, wird in Brüssel für weniger wahrscheinlich gehalten.
Muss eine neue EU gegründet werden?
Einen weitgehenden Vorschlag machte der CSU-Abgeordnete Bernd Posselt. Er plädierte dafür, dass EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich mit anderen Interessierten die EU einfach neu gründen. Dann könnten andere Länder sich überlegen, ob sie komplett mitmachen oder in einer privilegierten Partnerschaft bleiben wollten.
Ratifizierung soll fortgesetzt werden
Die EU-Kommission nahm sich mit einer Stellungnahme Zeit. Frankreichs Europa-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet hatte bereits am Morgen gefordert, erst einmal die Ratifizierung fortzusetzen: "Das Wichtigste ist, dass der Prozess der Ratifizierung weitergeht. Ich habe Hinweise, dass das auch passieren wird. Dann muss man mit den Iren klären, welche juristischen Regelung man mit ihnen finden könnte."
Frankreich steht nun im Mittelpunkt des Interesses. Ab 1. Juli hat es die EU-Präsidentschaft inne und muss maßgeblich Wege aufweisen, wie die Union aus diesem Dilemma herauskommen könnte.