EU-Kommissionschef in der ARD Juncker warnt vor "Johnsons Propaganda"
Der scheidende EU-Kommissionspräsident Juncker hofft, dass sich die Neuwahl in Großbritannien nicht nur um den Brexit dreht. Das Land habe andere Probleme, sagte er im Interview mit der ARD, und es werde versucht, das zu vertuschen.
Ob die am 12. Dezember anstehende Wahl in Großbritannien eine Richtungsentscheidung über den Brexit wird, ist aus Sicht des scheidenden EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker noch nicht zu beurteilen. "Ich habe zur Zeit noch keinen Einblick in die Programmatik der Parteien, die sich da in Großbritannien dem Wählervotum stellen", sagte er im Interview mit dem ARD-Studio Brüssel.
"Ich hätte doch gern, dass dies nicht wiederum ein Brexit-Wahlkampf wird. Großbritannien hat ja auch noch andere Probleme als Brexit - und diese Probleme sind größer geworden durch den Brexit. Es wird versucht, das zu vertuschen, aber sie sind halt größer geworden."
Auf die Frage, ob die Wahl den künftigen Brexit-Kurs des Landes mitbestimme, warnte Juncker davor, auf die "britische Propaganda von Johnson" hereinzufallen: "Es ist kein Referendum über den Brexit. Teilweise vielleicht - aber nicht nur."
"Perpetuum Mobile aus Lügen und gebrochenen Versprechen"
Juncker erklärte, wichtig sei ein Blick auf die Wahlprogramme: "Vor den Wahlen sagt man, was man nach den Wahlen tut." Wenn man aber vor den Wahlen sage: Wir scheiden am 31. Oktober aus, und dann scheide man nicht aus: "Das wirft doch einige Fragen auf, oder? Also ich sehe diesem Perpetuum Mobile der Versprechungen, der nicht eingehaltenen Versprechen und der immer wieder wiederholten Lügen nicht gespannt, aber auch nicht entspannt entgegen."
Den mit Großbritannien ausgehandelten Scheidungsvertrag hält Juncker "in allen Belangen für zielführend". Er habe sich "mit Boris Johnson gerauft, aber ich stehe zu dem Deal".
Zurückhaltung 2016 sei Fehler gewesen
Eine Wahlempfehlung für die Tories wollte Juncker dennoch nicht abgeben, auch wenn ein möglicher Wahlerfolg der Konservativen Partei die Annahme des mit der EU verhandelten Vertrages im britischen Unterhaus wahrscheinlicher machen könnte. "Ich habe mich - obwohl ich dazu oft Lust verspüre - nie in die Endentscheidungen der Wähler in den verschiedensten europäischen Ländern eingemischt."
Beim Brexit-Referendum 2016 sei es allerdings ein Fehler gewesen, sich zurückzuhalten. "Ich hätte mich beim Brexit-Referendum einmischen müssen, weil da viele Lügen erzählt wurden, denen niemand widersprochen hat", räumt Juncker ein. "Aber ich hatte dem damaligen Premier Cameron versprochen, mich nicht dazu zu äußern. Ich halte das für einen Fehler - es ging ja um Europa und nicht nur um Großbritannien."