Interview

Interview mit Katastrophenhelfer Munz Kein "humanitäres Showbusiness" in Afrika

Stand: 22.10.2015 16:17 Uhr

Bei der Darstellung der Flutkatastrophe in Afrika haben die Hilfsorganisationen nicht übertrieben. Das sagt der Notfallchirurg Munz im Gespräch mit tagesschau.de. Munz warnt aber zugleich vor schlecht ausgebildeten Helfern.

Bei der Darstellung der Flutkatastrophe in Afrika haben die Hilfsorganisationen nicht übertrieben. Das sagt der Notfallchirurg Richard Munz im Gespräch mit tagesschau.de. Munz warnt aber zugleich vor schlecht ausgebildeten Helfern.

tagesschau.de: Herr Munz, als Mitte August in Asien Überschwemmungen 20 Millionen Menschen vertrieben und Tausende töteten, schrieben Sie in der "Süddeutschen Zeitung", vielleicht sei die mangelnde Aufmerksamkeit für die Katastrophe in der westlichen Welt ein Glücksfall für die Betroffenen. Wie meinten Sie das?

Richard Munz: Das bezog sich auf die Erfahrung nach dem Tsunami in Südostasien. Damals sind die Hilfsorganisationen den Medien hinterhergerannt, was zu kopflosen Einsätzen von Geld und Gerätschaften führte. Allein in Sri Lanka waren damals 1500 verschiedene Hilfsorganisationen im Einsatz. Ihre Mitarbeiter behinderten sich gegenseitig beim Helfen. Es gingen buchstäblich die Opfer aus.

tagesschau.de: Warum war denn die Aufmerksamkeit im Westen bei den jüngsten asiatischen Überflutungen so viel geringer?

Munz: Das lag daran, dass es keine spektakulären Bilder gab. Wenn Sie sich an den Tsunami erinnern: Da waren innerhalb weniger Tage die Bilder von den Überflutungen und der zurückbleibenden Verwüstung in der ganzen Welt zu sehen.

Gravierende Not in Überflutungsgebieten

tagesschau.de: Und gemessen daran - wie groß ist die Not in den afrikanischen Ländern, die momentan unter Überflutungen leiden?

Munz: Ich schätze das als sehr gravierend ein. Die Zahl der Menschen, die obdachlos sind, liegt momentan bei 1,5 Millionen. Das sind genau so viele, wie bei dem Tsunami ihre Häuser verloren hatten. Mit einem Unterschied: Im Tsunami-Gebiet war oft wenige Kilometer von der Küste entfernt alles unbeschädigt, wogegen die Menschen in Afrika sich oft nirgendwohin wenden können, weil weite Gebiete unter Wasser stehen.

tagesschau.de: Woran liegt es dann, dass die Flutkatastrophe in Afrika, die immerhin 17 Länder betrifft, in der entwickelten Welt erst so spät wahrgenommen wurde? Sind es auch wieder die fehlenden spektakulären Bilder?

Munz: So ist es. Mich erinnert das an eine Flutkatastrophe vor sieben Jahren in Mosambik, die auch keinen interessierte. Erst als CNN das Video von einer Frau zeigte, die von einem Hubschrauber aus einer Baumkrone gerettet wurde, in der sie Stunden zuvor ganz allein ihr Baby bekommen hatte, wurde aus der Katastrophe ein Medienereignis, flossen die Spendengelder.

Weg vom Spektakel

tagesschau.de: Wie kann dieser Mechanismus unterlaufen werden?

Munz: Indem man die Aufmerksamkeit weg vom Spektakel und dem "humanitären Showbusiness" hin zur größten Not lenkt. Wenn es nach dem Tsunami eine Lektion bei den Helfern gab dann die, dass das Rad nicht überdreht werden darf.

tagesschau.de: Aber ist es nicht genau das, was momentan in Afrika wieder geschieht?

Munz: Das sehe ich nicht so. Die Hilfsorganisationen berichten überwiegend sachlich und unemotional über die Lage dort. Auf mich wirkt das glaubwürdig und angemessen.

tagesschau.de: Die Organisationen warnen teilweise vor Hungersnöten, etwa im Sudan. Aber "off the record" hört man dann von anderen Helfern, dass zwar ein Teil der Ernte im Sudan zerstört ist, aber deshalb noch niemand verhungern muss. Diese Beispiele lassen sich fortsetzen.

Munz: Unabhängig davon, ob eine Hungersnot droht oder nicht: 1,5 Millionen Menschen haben ihre Häuser verloren. Das ist eine Notlage und da muss gehofen werden, auch international. Und für die Betroffenen in den Gebieten ist es eine akademische Diskussion, ob ihre Not bei uns medial angemessen dargestellt wird oder nicht.

Mängel in der Ausbildung

tagesschau.de: Sie lassen sich mehrfach im Jahr als Mediziner in Katastrophengebieten einsetzen. Wie entscheiden Sie, wohin Sie gehen?

Munz: Es läuft normalerweise so, dass eine Hilfsorganisation bei mir anruft, oft ist es das Rote Kreuz. Dann erkundige ich mich, wie viele Helfer schon dort sind und ob ich dort wirklich gebraucht werde. Und weil ich das seit 15 Jahren mache, stellt sich für mich auch die Frage, ob ich in dem Gebiet schon einheimische Kollegen kenne. Es ist mir wichtig vorab einschätzen zu können, ob ich mit meiner Anwesenheit etwas bewege. So sollte das eigentlich jeder Helfer machen.

tagesschau.de: Ist das denn nicht so?

Munz: Oft sieht es so aus, dass Leute in einem Wochenendseminar auf den Hilfseinsatz vorbereitet werden. Und solche Laien werden dann auf die Menschheit losgelassen. Die Hilfsorganisationen müssen es sich mehr kosten lassen, ihre Helfer gut auszubilden.

tagesschau.de: Das hört sich nach einem strukturellen Problem an ...

Munz: Das ist absolut ein strukturelles Problem. Die Hilfsorganisationen sparen sehr viel Geld, indem sie den Mythos vom selbstlosen Helfer aufrecht erhalten, der seinen Jahresurlaub im Einsatz verbringt. Aber wenn Sie auf der Autobahn einen Unfall haben, wollen Sie auch nicht, dass ein Rettungswagen kommt, und schlecht ausgebildetes medizinisches Personal aussteigt, nach dem Motto "Das ist dieses Jahr mein Urlaub. Das wollte ich schon immer mal machen", am besten noch für den Diavotrag daheim ein paar Erinnerungsfotos von Ihnen schießt.

tagesschau.de: Wie erkenne ich eine Hilfsorganisation, die derart schlecht vorbereitete Leute losschickt. Dort möchte ich mein Geld ja möglicherweise nicht spenden ...

Munz: Das beste ist, wenn man unabhängig von akuten Notlagen Geld spendet. Dann kann man sich in Ruhe ansehen, welche Projekte eine Hilfsorganisation wo unterhält, wie lange sie schon im Land ist und wie gut ihre Mitarbeiter auf den Einsatz vorbereitet werden.

Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de