Interview

Afrika-Experte Schicho im Interview "Kenia ist kein Staat mit Vorbildfunktion"

Stand: 03.01.2008 18:45 Uhr

Die Unruhen in Kenia nach der Wahl haben nach Ansicht des Afrikanistik-Professors Schicho nichts mit ethnischen Spannungen zu tun. Vielmehr sei die Mehrheit der Menschen mit der Verteilung von Geld und Macht unzufrieden, sagte Schicho im tagesschau.de-Interview.

tagesschau.de: Herr Schicho, wie beurteilen Sie die aktuelle Lage in Kenia?

Walter Schicho: Es ist überraschend, dass es in Verbindung mit den Wahlen zu einem derartig starken Gewaltausbruch kommt. In der Geschichte Kenias gab es Massengewalt meist in anderen Zusammenhängen. Morde im Umfeld von Wahlen waren bislang eher Einzeltaten.

tagesschau.de: Spielt die ethnische Zugehörigkeit bei den Unruhen in Kenia eine Rolle?


Schicho: Natürlich werden angesichts der Todesopfer in einer Kirche in Eldoret Erinnerungen an den Völkermord in Ruanda wach. Aber Eldoret ist ein punktueller Gewaltausbruch, der nicht symptomatisch für Kenia ist. Die augenblickliche Wut des Mobs richtet sich nicht gegen eine bestimmte Volksgruppe, sondern gegen tatsächliche oder vermeintliche Anhänger Kibakis, der aus der Gruppe der Kikuyu stammt.

Arme Bevölkerung ist enttäuscht

tagesschau.de: Sind denn die Wahlen Auslöser der Gewalt?

Schicho: Für mich steckt eine weitgehende Enttäuschung vor allem der ärmeren Bevölkerung in den Städten hinter den Unruhen. Sie hatten sich von der letzten Wahl einen Wandel erhofft, der aber ausgeblieben ist. Die Korruption ist seitdem größer geworden. Die Konzentration der Macht und der Einkommen in den Händen einer kleinen Elite in Politik und Wirtschaft hat ebenfalls zugenommen.

tagesschau.de: Heißt das, dass die wirtschaftliche Entwicklung Kenias an der Masse vorbeigegangen ist?

Schicho: Kenia hat wirtschaftlich gesehen immer einen vergleichsweise hohen wirtschaftlichen Stand gehabt. Allerdings war die Politik der letzten Regierung nicht auf eine Verbesserung des Lebensstandards der breiten Bevölkerung ausgerichtet, sondern weiterhin auf eine Förderung der Wirtschaft, von der nur eine relativ kleine Oberschicht profitierte. Ich glaube, dass ein Machtwechsel von Kibaki auf Odinga keine Veränderung brächte.

tagesschau.de: Kenia wird häufig als Vorbild für Afrika dargestellt. Stimmt das?

Schicho: Da muss man zwischen der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung unterscheiden. Kenia hat bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts kaum demokratische Wahlen erlebt. Die Abstimmungen waren unter den Präsidenten Kenyatta und Moi von der Regierungspartei beherrscht, weil sie Medien und staatliche Institutionen kontrollierten. Dazu kommt, dass die Parteienlandschaft in Kenia instabil ist. Das heißt, die Opposition stellt nicht wirklich eine starke Gegenbewegung zur Regierungspartei dar. Aber auch die Konstellation der Regierung erwies sich in der jüngsten Vergangenheit als instabil. In diesem Sinne ist Kenia sicherlich kein Staat mit Vorbildwirkung. Da würde ich eher Ghana während der vergangenen 15 Jahre und bis zu einem gewissen Grad Botswana und Senegal als politische Vorbilder für Afrika nennen wollen.

Musterland für kapitalistische Entwicklung

tagesschau.de: Wie bewerten Sie Kenias wirtschaftliche Stellung?

Schicho: Kenia war schon aus der kolonialen Konzeption heraus ein Subzentrum in Ostafrika. Das gilt beispielsweise für die Industrialisierung und die Infrastruktur. Kenia hatte damit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Vorrangstellung. Kenia war auch nie so extrem von Entwicklungshilfe abhängig so wie andere Staaten Afrikas waren. Das Land galt in Afrika gemeinsam mit zwei oder drei anderen Staaten immer als Musterland für eine durchgehende kapitalistische Entwicklung.

tagesschau.de: Wie sieht es mit den Lebensverhältnisse für die meisten Kenianer aus. Geht es den Menschen besser als beispielsweise im Nachbarland Tansania?

Schicho: Tansania und Kenia sind gut miteinander vergleichbare Staaten beziehungsweise Gesellschaften. Aus meiner Sicht hat die Entwicklung in Tansania dazu geführt, dass bis in die Mitte der 90er-Jahre die Verteilung der Einkommen gleichmäßiger war als in Kenia. Die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik und dem Einparteiensystem in Tansania war höher als in Kenia. Gleichwohl war Tansania immer ärmer, verteilte das Wenige aber breiter.

tagesschau.de: Kenias Seehafen Mombasa ist ein wichtiger Versorgungspunkt für Ostafrika. Welche Auswirkungen hätte ein Blockade des Hafens durch anhaltende Unruhen in Kenia?

Schicho: Es gibt bereits jetzt im Landesinneren von Kenia und den Nachbarstaaten Versorgungsprobleme. Kurzfristig könnte das deutliche Probleme schaffen. Ich nehme aber an, dass es dann Ersatzrouten geben wird – aber das wird einige Wochen dauern.

tagesschau.de: Wie schätzen Sie den weiteren Verlauf in Kenia ein?

Schicho: Bislang kam es in Kenia nicht zum Schlimmsten. Und ich denke, dass in den kommenden Tagen eine Beruhigung eintreten wird, weil sich die Spitzenpolitiker zu Gesprächen bereit erklären. Wenn der Mob allerdings in Bewegung kommt, dann kann den keine politische Partei mehr kontrollieren. Die einzige Möglichkeit, dem Einhalt zu gebieten, wäre der Einsatz von Polizei und Militär. Dann bestünde Gefahr, dass diese Institutionen, die bislang nicht bedeutend in Kenia waren, an Einfluss gewinnen. Ich hoffe, dass die Bemühungen der internationalen Vermittler dazu führen die Situation in Kenia zu beruhigen. Die Geschichte Kenias zeigt bis auf eine Ausnahme, dem Mau-Mau-Aufstand, dass die Gewaltereignisse immer kurzfristig waren. Hoffen wir, dass es diesmal auch so ist.

Kenia

In den Jahren 1952 bis 1960 erhoben sich viele Mitglieder der Kikuyu-Volksgruppe im sogenannten Mau-Mau-Aufstand gegen die damaligen britischen Kolonialherren. Die britische Armee schlug die Revolte blutig nieder - rund 11.000 Menschen starben bei Kämpfen. Trotz der militärischen Niederlage war der Aufstand der wichtigste Schritt hin zur Unabhängigkeit Kenias im Jahr 1963.

Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de