Frage vom 24. Mai 2011 Weitere Kernschmelzen - was bedeutet das?
Bislang war von der Kernschmelze in einem Reaktor im havarierten Atommeiler Fukushima die Rede. Nun aber hat der Betreiber des japanischen Kernkraftwerks eingeräumt, dass auch die Reaktoren 2 und 3 von einer Kernschmelze betroffen sind. Was bedeuten diese neuen Erkenntnisse über den Super-Gau für die Bewertung der Gefahrenlage?
Von Axel Weiß, SWR-Umweltredaktion
Die gute Nachricht zuerst: An der Bedrohungslage im zerstörten AKW-Komplex von Fukushima hat sich nichts geändert, auch nicht durch die Nachricht, dass bei zwei weiteren Reaktoren eine Kernschmelze stattgefunden hat. Denn das war schon lange sonnenklar. Nur eben nicht offiziell eingeräumt.
Ein Siedewasserreaktor, bei dem stunden- bis tagelang die Brennstäbe teilweise trocken liegen und nicht ausreichend gekühlt werden, wird zwangsläufig eine Kernschmelze kassieren und zwar rasch. Das dauert maximal vier, fünf Tage.
Lage ist weiter hochdramatisch
Leider kommt keine Freude auf, auf diese Tatsache bereits vor vielen Wochen hingewiesen zu haben, denn die Lage in Fukushima ist weiterhin hochdramatisch und das ist die richtig schlechte Nachricht. Zwei Reaktorsicherheitsbehälter sind ja mindestens defekt und das heißt: Radioaktivität tritt aus und kann auch nicht mal eben gestoppt werden.
Wir können nur hoffen, dass die geschmolzenen Kerne sich nicht aus dem Reaktor nach unten durch den Beton ins Gestein fressen. Bei Berührung mit Wasser wären Explosionen denkbar, die das bisherige radioaktive Desaster noch massiv verschlimmern könnten. Und wenn wir schon bei Horrorszenarien sind: Ob die maroden Reaktorruinen weiteren schweren Erdbeben standhalten werden, ist so fraglich wie weitere schwere Beben hochwahrscheinlich.
Strahlende Brühe fließt wieder ins Meer
Außerdem sind die Tanks bald voll, die derzeit das radioaktiv belastete Kühlwasser aufnehmen. 80.000 Tonnen lagern schon vor Ort. Vier Tage noch, dann wird die strahlende Brühe wohl wieder ins Meer geleitet werden müssen. Denn die Aufbereitungsanlage, die einen Not-Kühlkreislauf ermöglichen soll, wird frühestens Mitte Juni in Betrieb gehen können. Damit ist der erst kürzlich vorgelegte "Sanierungsplan" des AKW-Betreibers Tepco einmal mehr zu Makulatur geworden, denn der sah noch ein lückenloses Auffangen vor.
UN-Atomexperten in Fukushima
Heute, am 24. Mai, sind übrigens rund 20 UN-Atomexperten in Japan eingetroffen. Bis zum 2. Juni sollen sie die Fukushima-Katastrophe untersuchen und prüfen, in wieweit es etwa eine nachlässige Aufsicht über die Atomindustrie gegeben hat. Erste Ergebnisse werden Ende Juni erwartet, ein vorläufiger Bericht soll in einem Jahr folgen. Letztlich wird es wohl noch ein paar Jahre dauern, bis valide Zahlen auch zur Gesundheitsbelastung der Bevölkerung vorliegen werden (wenn überhaupt).
Bedienungsfehler nach dem Tsunami
Interessant sind auch die jüngsten Meldungen des japanischen Fernsehens, wonach es mindestens bei Reaktorblock 1 massive Bedienungsfehler in den kritischen Stunden nach dem Tsunami gegeben hat. Die Bedienungsmannschaft hat danach ihre eigenen Regeln missachtet.
Die Techniker hätten viele Stunden länger als vorgeschrieben damit gewartet, Dampf aus dem Reaktorcontainment abzulassen und damit den Überdruck zu mindern. Wären die Regeln befolgt worden, hätte womöglich die Wasserstoffexplosion verhindert werden können, die das Reaktorgebäude in die Luft jagte. Aber hätte-hätte-wenn-nicht-wer ... Was passiert ist, ist passiert. So war es ja in Tschernobyl auch: Bedienungsfehler hatten die Katastrophe erst so richtig in Gang gebracht.
Eine kleine gute Nachricht gibt es aber doch noch: Mit jedem Tag strahlen die Ruinen von Fukushima grundsätzlich ein bisschen weniger, weil die kurzlebigen radioaktiven Isotope zerfallen. Wenigstens etwas.