Palermo

Kommunalwahlen in Italien Palermo vor Rückkehr der Mafiafreunde?

Stand: 12.06.2022 10:43 Uhr

In fast 1000 Gemeinden in Italien wird gewählt. Besondere Aufmerksamkeit gilt der Abstimmung in Palermo. Dort könnte auf Anti-Mafia-Bürgermeister Orlando ein Politiker mit dubiosen Freundschaften folgen.

Es ist eine Kommunalwahl, die als politischer Stimmungstest taugt. Neun Millionen Italienerinnen und Italiener dürfen abstimmen, das sind fast ein Fünftel aller Wahlberechtigten im Land. Im Fokus steht eine Symbolstadt: Palermo. In der 675.000-Einwohner-Kommune auf Sizilien hört der Anti-Mafia-Bürgermeister Leoluca Orlando auf, nach zuletzt zwei Amtszeiten darf er laut Gesetz nicht mehr antreten.

Was italienweit für Aufregung sorgt: Nachfolger Orlandos als Bürgermeister in Palermo könnte mit Roberto Lagalla ausgerechnet ein Politiker werden, dem eine Nähe zu Mafiafreunden nachgesagt wird.

Orlando zeigt sich besorgt: "Mein starker, starker Appell an die Palermitanerinnen und Palermitaner ist: Es darf nie wieder so sein, dass wir uns schämen, aus Palermo zu kommen. Es hängt von uns und unseren Entscheidungen ab." Siziliens Hauptstadt dürfe nicht zurückfallen in Zeiten, "in denen die Regierung dieser Stadt in die Hände eines Mafiabosses gelegt wurde", sagt der 74-Jährige.

Symbol erfolgreicher Mafiabekämpfung

In den 1970er-Jahren war in Palermo Vito Ciancimino Bürgermeister, ein christdemokratischer Politiker, der enge Beziehungen zum Mafiaboss Bernardo Provenzano hatte und deswegen später ins Gefängnis musste.

Unter Orlando ist Palermo zum Symbol erfolgreicher Mafiabekämpfung geworden. Bereits zwischen 1985 und 2000 war Orlando Stadtoberhaupt. In seinen insgesamt 25 Jahren im Rathaus hat er den Einfluss der Cosa Nostra massiv zurückgedrängt.

Leoluca Orlando

Insgesamt 25 Jahre war Leoluca Orlando Bürgermeister in Palermo.

Kritik: Schlechte Verwaltung

Das Anti-Mafia-Erbe Orlandos soll Franco Miceli fortsetzen - ein Architekt und Kommunalpolitiker, der von den Sozialdemokraten und der Fünf-Sterne-Bewegung unterstützt wird. Miceli liegt allerdings in den Umfragen zurück. Er kämpft mit dem Problem, dass viele Menschen in Palermo zwar Orlandos Engagement gegen die organisierte Kriminalität und für Flüchtlinge würdigen, ihm aber schlechte Verwaltung vorwerfen.

Der Orlando-Freund und Mitte-Links-Kandidat Miceli versucht im Wahlkampf einen Spagat: "Ich denke, in der Zeit Orlandos ist Palermo eine Stadt mit einem anderen Image geworden, in Italien und im Ausland." Sie stehe jetzt für Kriminalitätsbekämpfung, Gastfreundschaft und Bürgerrechte. Dann aber, schiebt Miceli hinterher, gebe es auch Kritisches: "Aber ich denke, dass ich das Recht und die Pflicht habe, hier andere Arbeitsvorschläge zu machen."

Von seinen Kritikern wird Orlando vorgehalten, dass die Müllabfuhr nicht funktioniere, die Straßen in schlechtem Zustand und die Kassen der Stadt leer seien. Der Anti-Orlando, der Kandidat des Mitte-Rechts-Bündnisses Roberto Lagalla, verspricht deshalb vor allem eine effektivere Administration: "Wir haben in Palermo wegen Fehlern in der Verwaltung 30 Millionen für Mülltrennung an Rom zurückgeben müssen." Das seien Sachen, die nie wieder passieren dürften.

Mafia-Mittelsmann taucht im Wahlkampf auf

Dem vermeintlichen Macher Lagalla aber haftet der Vorwurf an, er mache im Wahlkampf gemeinsame Sache mit Mafiafreunden. Beispielsweise unterstützt ihn Marcello Dell'Utri - ein Name, den politisch Interessierte in Italien gut kennen.

Dell'Utri hat vor vielen Jahren einen bekannten Mafioso als Mitarbeiter an Silvio Berlusconi vermittelt. Zweimal wurde er als Mittelsmann der Mafia verurteilt, in letzter Instanz zwar freigesprochen, sein Wiederauftauchen im Wahlkampf in Palermo aber sorgt dennoch für Schlagzeilen.

Genauso wie die Unterstützung für den Mitte-Rechts-Kandidaten Lagalla durch Toto Cuffaro, den ehemaligen Regionalpräsidenten Siziliens, der ebenfalls wegen Mafiakontakten verurteilt wurde. Mitte-Links-Kandidat Miceli sagt: "Lagalla hat die Unterstützung von Dell'Utri und Cuffaro. Das beunruhigt mich, weil die Gefahr besteht, dass dies ein hässlicher Film wird, den wir nicht mehr sehen wollen."

Roberto Lagalla

Dem Kandidaten des Mitte-Rechts-Bündnisses, Roberto Lagalla, haftet der Vorwurf an, er mache gemeinsame Sache mit Mafiafreunden.

Kandidaten aus Mitte-Rechts-Bündnis festgenommen

In der Woche vor der Wahl wurden zwei Kandidaten aus Lagallas Mitte-Rechts-Bündnis festgenommen, weil sie nach den Erkenntnissen der Ermittler Wahlabsprachen mit Mafiavertretern treffen wollten. Zunächst traf es Pietro Polizzi, einen Kandidaten der Berlusconi-Partei Forza Italia. Die Polizei in Palermo hatte ein Gespräch abgehört, in dem der Lokalpolitiker einem Mafioso Vorteile in Aussicht stellte, wenn dieser und seine Familie für ihn, Polizzi, stimmten.

Am Freitag führte die Polizei Francesco Lombardo ab, einen Kandidaten der Rechtsaußen-Partei Brüder Italiens, die ebenfalls zur Lagalla-Koalition gehört. Auch Lombardo hatte laut Staatsanwaltschaft bei einem lokalen Mafiaboss um Unterstützung bei der Wahl geworben.

Verona: Ex-Fußball-Nationalspieler Tommasi steht zur Wahl

Außer in Palermo wird in 978 weiteren Kommunen gewählt, unter anderem in Genua, Parma, Padua und Messina. Als besonders spannend gilt unter anderem die Abstimmung im norditalienischen Verona. Dort hat die rechte Lega offensichtlich Schwierigkeiten, ihre Hochburg zu verteidigen. Das Mitte-Links-Bündnis tritt mit dem ehemaligen Fußball-Nationalspieler Damiano Tommasi an.

Parallel zu den Kommunalwahlen stimmt Italien auch über fünf Referenden ab, unter anderem zu den Justizreformen der vergangenen Jahre. Dabei geht es unter anderem darum, den Paragrafen eines Gesetzes zu streichen, der vorbestraften Bürgerinnen und Bürgern untersagt, für das Parlament zu kandidieren oder ein Regierungsamt zu übernehmen. Für das Referendum haben unter anderem die Radikale Partei, aber auch die Lega und Berlusconis Forza Italia Unterschriften gesammelt. Die Erfolgsaussichten des Referendums gelten als gering.

Italien mit Sizilien und Palermo

Palermo ist die Hauptstadt der italienischen Insel Sizilien.

Jörg Seisselberg, Jörg Seisselberg, ARD Rom, 12.06.2022 08:48 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 12. Juni 2022 um 09:07 Uhr.