Unabhängigkeitserklärung des Kosovo Ein Signal für Separatisten weltweit?
Acht Jahre haben die Kosovo-Albaner unter einem Protektorat der Uno gelebt. Nun haben sie sich endgültig von Serbien losgesagt. Doch damit beginnen viele Probleme erst: Erkennen die USA und die EU die einseitig erklärte Unabhängigkeit an, könnte dies Auswirkungen auf separatistische Konflikte in anderen Ländern haben. Und die Frage bleibt: Ist ein unabhängiges Kosovo überlebensfähig?
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Gewalt, Vertreibung, Ausschluss von den politischen Entscheidungsprozessen in Belgrad - die Kosovo-Albaner können eine Vielzahl von Argumenten nennen, um ihre Forderungen nach Unabhängigkeit von Serbien zu begründen. Seit Übernahme der Verwaltung durch die Uno 1999 wird ihnen eine Lösung versprochen und für ihre Selbstbestimmung sind sie bereit zu weitgehenden Zugeständnissen an die Minderheiten im Kosovo - unter ihnen etwa 100.000 Kosovo-Serben. Eine Lösung schien nahe, als dem UN-Sicherheitsrat im vergangenen Jahr eine neue Resolution vorgelegt wurde.
Zwei wichtige Punkte waren in der Erklärung enthalten: Zum einen sollte die EU von den Vereinten Nationen die Verwaltung des Kosovo übernehmen. Dafür gab es von vielen Seiten Zustimmung. Die Vorbereitungen für die Friedensmission im Kosovo laufen bereits seit April 2006.
Doch an der zweiten, weitaus heikleren Frage scheiterte der UN-Beschluss: welchen Status die südserbische Provinz erhalten sollte. Russland lehnt eine "überwachte Unabhängigkeit" des Kosovo ab, weil Serbien strikt gegen jede Form der Unabhängigkeit ist. Auch monatelange Verhandlungen einer Troika aus Vertretern der EU, der USA und Russlands brachten keine Einigung.
Unabhängigkeit steht gegen Völkerrecht
Der EU-Mission fehlt nun eine UN-Resolution als rechtliche Grundlage und die Unabhängigkeit des Kosovo steht völkerrechtlich auf tönernen Füßen. Denn ohne Zustimmung Serbiens und der Vereinten Nationen widerspricht eine einseitig erklärte Grenzziehung dem Völkerrecht. Solange es keine neue Entscheidung der Vereinten Nationen gibt, gilt die UN-Resolution 1244 aus dem Jahre 1999. Darin wird die Status-Frage offen gelassen. Die "territoriale Unversehrtheit" Serbiens wird aber mit Bezug auf die Schlussakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 ausdrücklich anerkannt.
"Die Serben haben das Völkerrecht auf ihrer Seite", erläutert die Kosovo-Expertin Marie-Janine Calic von der Universität München diesen Passus. Außerdem stünden "handfeste Fragen" im Raum, wie das Problem der serbischen Flüchtlinge, die nicht mehr in das Kosovo zurückkehren könnten. Klaus Segbers, Professor für Politikwissenschaft und Osteuropapolitik an der Freien Universität Berlin, warnte zudem vor dem falschen Signal: Die Befreiungsarmee für das Kosovo (UCK), werde am Ende mit einer Unabhängigkeit ohne Bedingungen dafür belohnt, dass sie immer wieder Gewalt praktiziert und auch angedroht habe, sollte die Unabhängigkeit nicht kommen.
Weltweite Signalwirkung
So war es ein Leichtes für Russland, immer wieder davor zu warnen, der Westen könne einen Präzedenzfall für andere Konfliktregionen schaffen: "Wenn dem einen erlaubt wird, etwas zu tun, werden viele andere erwarten, genauso behandelt zu werden", sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow Ende Januar. Er bestritt aber, dass Russland die Anerkennung des Kosovo durch den Westen als Anlass nehmen wolle, die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien in Georgien anzuerkennen.
Lawrows Sichtweise bezüglich des Vorbildcharakters bestätigt allerdings die Kosovo-Expertin Calic für einen weiteren Konflikt auf dem Balkan: "Die Serben in Bosnien-Herzegowina schauen sehr genau auf die Entwicklung", sagt Calic: "Sie argumentieren: Wenn der Kosovo unabhängig ist, dann können wir uns auch von Bosnien lossagen." Dies treffe für den Konflikt der Regierung in Sri Lanka mit den tamilischen Rebellen ebenfalls zu.
Da hilft die Argumentation der EU wenig, der Fall Kosovo sei einzigartig und könne nicht auf andere Konflikte übertragen werden. In der EU selbst sind die Reihen keineswegs geschlossen: Zypern will unter keinen Umständen die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo anerkennen. Der Grund liegt nahe: Auch das von der Türkei besetzte Nordzypern könnte das Recht auf einen eigenen Staat verlangen.
Angst vor Instabilität auch in europäischen Ländern
Griechenland äußert zumindest Bedenken – teils aus Solidarität mit Zypern, teils aus der Befürchtung, die Albaner in Mazedonien könnten sich nun in separatistischen Bestrebungen gestärkt fühlen. Auch Spanien lehnt die Anerkennung ab – wegen Verstoßes gegen internationales Recht. Eine Rolle spielen aber auch die Forderungen nach eigenen Staaten von Teilen der Bevölkerung in Katalonien und im Baskenland.
Ähnlich verhält es sich mit Rumänien und der Slowakei. In beiden Ländern lebt eine große ungarische Minderheit. Der Außenminister der Slowakei, Jan Kubis, warnte am ersten Februar vor dem "großen Destabilisierungspotenzial", das mit der Lossagung des Kosovo von Serbien verbunden sei.
Für das zweite Problem der EU bezüglich des Kosovo gibt es womöglich einen Ausweg: Nach Ansicht von Experten kann die geplante Übergabe der Verwaltung des Kosovo von der Uno an die EU auch von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon angeordnet, statt durch eine neue UN-Resolution beschlossen zu werden. Der Diplomat hielt sich bisher allerdings mit einer klaren Aussage zurück.
Wäre das Kosovo überlebensfähig?
Nicht nur in den Augen der Kosovo-Albaner hat Serbien nach Unterdrückung, Vertreibung und Gewalt das Recht verwirkt, das Kosovo als Teil seines Staates zu betrachten. Seit 1999 gab es keine Annäherung zwischen Serbien und dem Kosovo. Geld investiert hat Belgrad nur in Parallelstrukturen für die im Kosovo lebenden Serben.
Aber ist ein unabhängiges Kosovo überlebensfähig? Nach Meinung von Mechthild Henneke schon. Sie ist Pressesprecherin der Wirtschaftsabteilung der UN-Verwaltung UNMIK im Kosovo. Die Bevölkerung sei jung und es gebe gefragte Rohstoffe wie Kupfer, Zink und Nickel. Mehrere große Energiefirmen, darunter RWE und EnBW, beteiligten sich an der Ausschreibung eines Milliarden-Auftrags für ein Kraftwerk auf Braunkohlebasis.
Auf der anderen Seite stehen Korruption und eine Arbeitslosigkeit von etwa 40 Prozent. Hinzu kommt, dass mit einer Unabhängigkeit längst nicht alle ethnischen Fragen geklärt sind: Vor allem im Norden des Kosovo lebt ein Großteil der etwa 100.000 Kosovo-Serben. Je größer die serbischen Gemeinden seien, desto stärker würden sie sich einem Zusammenleben mit den Kosovo-Albanern verweigern, sagt Henneke. So ist nicht nur mit einer Flucht von Kosovo-Serben zu rechnen. Auch die in Südserbien lebenden Albaner haben mehrfach bekundet, sie wollten sich einem unabhängigen Kosovo anschließen.
Probleme mit einer EU-Mitgliedschaft beseitigen?
Die EU will dieses Problem lösen über finanzielle Hilfe und forcierte Anstrengungen für einen EU-Beitritt sowohl Serbiens als auch des Kosovo - möglichst bis zum Jahr 2015. Das Kalkül: Sind beide erstmal Mitgliedsstaaten, verlieren die Grenzen an Bedeutung und werden durch gemeinsame Werte ersetzt.
Diese Strategie des "Stabilitätsexports" hat sich nach Meinung von Osteuropa-Experte Segbers an anderer Stelle bewährt. Als Beispiel nennt er die ungarischen Minderheiten in der Slowakei und in Rumänien sowie, in gewisser Hinsicht, auch die Lage der Minderheiten in den baltischen Ländern. Kosovo-Expertin Calic ist da skeptischer: Das Kosovo werde Mühe haben, in den nächsten Jahren ausreichend stabile Strukturen zu schaffen. Im komplexen Gefüge der EU sei ein solches Mitglied kaum vorstellbar.
Calic hätte eine Lösung darin gesehen, den Druck aus dem Konflikt um den Status des Kosovo zu nehmen. In zehn Jahren wären die Serben für eine Unabhängigkeit bereit gewesen, schätzt sie. Doch haben die Kosovo-Albaner nun Fakten geschaffen und die internationale Gemeinschaft muss einen Weg finden, den Übergang so friedlich wie möglich zu gestalten.