Ukrainische Marineboote fahren an der Halbinsel Krim in der Nähe der Meerenge zum Asowschen Meer in Gewässern, die von Russland beansprucht werden.
Interview

Krim-Konflikt "Gefahr einer unkontrollierten Eskalation"

Stand: 27.11.2018 12:27 Uhr

Eine erneute Eskalation im Krim-Konflikt sei voraussehbar gewesen, meint Osteuropa-Expertin Fischer. Dabei hätten beide Seiten kein Interesse an einem Krieg. Die Gefahr liege in einer ungewollten Eskalation.

tagesthemen: Der Streit um die Krim schwelt seit Jahren. Die Meerenge, um die es geht, wurde bislang von beiden Seiten genutzt. Warum gerade jetzt diese Eskalation? Welches Interesse könnte Russland daran haben?

Sabine Fischer: Es ist tatsächlich so, dass der Streit schon seit langem schwelt. Seit 2014, als Russland die Krim annektiert hat, bauen sich im Asowschen Meer und an der Meerenge von Kertsch systematisch Spannungen auf, die über die Krim, den Bau der Brücke vom russischen Festland auf die Krim und jetzt eben zu diesem Vorfall geführt haben. Warum dieser Vorfall ausgerechnet diesen Sonntag passiert ist, kann ich auch nicht sagen. Aber dass etwas in dieser Art irgendwann passieren würde war seit vier Jahren vorauszusehen.

Sabine Fischer
Zur Person
Sabine Fischer ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu ihren Themenschwerpunkten gehören die russische Außen- und Sicherheitspolitik und ungelöste Konflikte in der östlichen EU-Nachbarschaft. 2023 erschien ihr Buch "Die chauvinistische Bedrohung: Russlands Kriege und Europas Antworten".

tagesthemen: Aber welches Interesse könnte Russland haben?

Fischer: Ich sehe auf russischer Seite im Moment eigentlich kaum ein Interesse an einer militärischen Eskalation. Russland hat sich im Grunde genommen seit einem halben Jahr sehr stark zurückgezogen. Auch in der Hoffnung, dass die Wahlen in der Ukraine - im nächsten Jahr wird es Ende März in der Ukraine Präsidentschaftswahlen geben und Ende Oktober dann Parlamentswahlen - dass diese Wahlen in der Ukraine eine Situation wiederherstellen würden, in der Russland besser agieren kann.

"Poroschenko würde großes Risiko eingehen"

tagesthemen: Sie haben die Wahl in der Ukraine angesprochen. Könnte das auch ein Grund sein, möglicherweise für die Ukraine sich nicht ganz zurückhaltend zu zeigen?

Fischer: Es gibt solche Stimmen - sowohl in der Ukraine als auch außerhalb der Ukraine - die vermuten, dass es eine Provokation gab, über die jetzt Präsident Poroschenko im Inneren der Ukraine seine Unterstützung verstärken will. Beziehungsweise dass er möglicherweise auch einen Kriegszustand ausnutzen will, um seine innenpolitische Situation zu verbessern. Ich halte das für überhaupt nicht ausgemacht. Ich denke, er würde ein großes Risiko eingehen. Ich glaube nicht, dass man jetzt sagen kann, er hat es getan um seine innenpolitische Situation zu verbessern vor den Wahlen.

tagesthemen: Die Krim-Annexion ist ja tatsächlich sehr umstritten. Putin hat doch vor allem Ärger damit, es kostet ihn auch viel Geld. Hat Putin sich da insgesamt verhoben?

Fischer: Das ist eine Frage der Perspektive. Von außen gesehen würde ich schon sagen, dass Russland sich mit seiner Politik gegenüber der Ukraine in den letzten vier Jahren mit der Annexion der Krim auch mit der verdeckten Unterstützung des Krieges im Donbass verhoben hat.

Allerdings muss man aus russischer Perspektive sagen, dass vor allen Dingen die Annexion der Krim 2014 ein enormer innenpolitischer Erfolg für Präsident Putin war. Und dass die Mehrheit der Russinnen und Russen, auch der politischen Elite davon überzeugt sind, dass durch diese Annexion der Krim - oder Reintegration der Krim, wie es im russischen Diskurs heißt - letztendlich verhindert worden ist, dass mit der Revolution in der Ukraine 2014 die NATO sich weiter nach Osten erweitert hat. Das ist feste Überzeugung in Russland. Und insofern kann man überhaupt nicht sagen, dass Präsident Putin nur Probleme mit der Krim hat. Im Gegenteil. Ich denke, dass die Annexion der Krim letztendlich innen- wie außenpolitisch im russischen Kontext gesehen als Erfolg gewertet werden muss.

"Beide haben kein Interesse an militärischer Eskalation"

tagesthemen: Die Ukraine hat das Kriegsrecht ausgerufen. Inwieweit befürchten Sie eine völlige Eskalation, also eine militärische?

Fischer: Ich glaube, dass weder die Ukraine noch Russland im Moment und auch auf absehbare Zeit wirklich Interesse an einer wirklichen militärischen Eskalation, mit anderen Worten an einem neuen Krieg, haben. In Russland aus besagten Gründen. Und die Ukraine ist militärisch nach wie vor so viel schwächer als Russland, dass sie daran auch kein Interesse haben können.

Die größte Gefahr sehe ich in einer unkontrollierten Eskalation. Denn es ist ja so, dass man jetzt schon sieht, wie sich beide Seiten in einer Eskalationsspirale befinden, weil weder Poroschenko und die ukrainische Seite, noch vor allen Dingen Russland in einer solchen Situation ihr Gesicht verlieren können. Und das ist die größte Gefahr, dass wir so in eine weitere Eskalation hineinrutschen, ohne dass eine der beiden Seiten dies wirklich kontrolliert.

Das Interview führte Pinar Atalay, tagesthemen

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 26. November 2018 um 22:15 Uhr.