Diskriminierung Homosexueller in Russland "Wir sind die Sündenböcke"
Der russische Eiskunstläufer Konstantin Jablozki ist schwul und tritt offen für die Rechte Homosexueller ein. Was dies für seinen Alltag bedeutet und was er sich von den Olympischen Spielen in Sotschi erhofft, erzählte er im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Herr Jablozki, Sie setzen sich offen für die Rechte Schwuler und Lesben in Russland ein und tragen zum Beispiel in Moskau ein T-Shirt mit dem Logo Ihrer LGBT-Sport-Organisation. Wurden Sie darauf schon einmal angesprochen?
Konstantin Jablozki: Nein. Auch als ich während der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Moskau vor kurzem Sticker und Pins verteilte, gab es keine Reaktion. Ich bin überrascht darüber. Womöglich liegt es daran, dass der Name der Organisation auf Englisch auf meinem T-Shirt steht und nicht jeder weiß, was LGBT (die englische Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) und die Regenbogenflagge bedeuten. Ich hoffe auch, dass es immer noch Leute gibt, denen es einfach egal ist.
tagesschau.de: Beeinflusst das seit Juni geltende "Gesetz gegen homosexuelle Propaganda" Ihr Alltagsleben?
Jablozki: Im Prinzip nicht, psychologisch gesehen schon. Das Gesetz macht die Menschen depressiv, sie fühlen sich wie Illegale und sozial minderwertig. Unsere Organisation ist insofern betroffen, als viele nun Angst haben, an unseren Sportveranstaltungen teilzunehmen. Sie sorgen sich vor allem, dass die Medien sie fotografieren, filmen oder interviewen, und sie deshalb ihre Jobs verlieren.
Jablozki will sich vom "Anti-Propaganda-Gesetz" nicht einschüchtern lassen. (Foto: Julia Smirnova)
Mein Turniertanzpartner hat zum Beispiel Probleme an seiner Schule. Einige Eltern sahen die Nachrichten über unsere LGBT-Sportveranstaltungen und setzten ihn unter Druck: Er solle freiwillig die Schule verlassen, dann würden sie niemandem erzählen, dass er homosexuell ist.
Konstantin Jablozki ist Gründer einer Organisation für LGBT-Sport in Russland mit 820 Mitgliedern (LGBT - englische Abkürzung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender). Der 30-Jährige ist Eiskunstläufer und gewann 2010 in Köln eine Goldmedaille bei den Gay Games, einer der weltweit größten Breitensportveranstaltungen. Jablozki plant mit seiner Organisation, kurz nach Olympia in Sotschi "Offene Spiele" in Moskau zu veranstalten. Er arbeitet als Chemie-Lehrer in einer Schule in Moskau.
tagesschau.de: Nachdem Sie 2010 bei den Gay Games in Köln die Goldmedaille im Eiskunstlauf gewonnen hatten, wurde auch in Russland bekannt, dass Sie homosexuell sind. Wie reagierten Ihre Angehörigen und Freunde in Ihrem Heimatort 1000 Kilometer nördlich von Moskau?
Jablozki: Wie alle Eltern akzeptierten sie es, anfangs war es sehr schwierig für sie. Vor allem meine Mutter weinte viele Tränen. Aber Schritt für Schritt gewöhnten sie sich daran. Für meine Freunde war es absolut in Ordnung.
Lehrer-Kollegen machen Mut
tagesschau.de: Wie war es an Ihrer Schule in Moskau, wo Sie als Chemie-Lehrer unterrichten?
Jablozki: Ich war überrascht, es gab keinerlei Drohungen oder Forderungen, die Schule zu verlassen. Die Kollegen sagten mir, ich solle selbstbewusst und ohne Angst weiter arbeiten, denn ich habe ja nichts Schlechtes getan. Im Gegenteil: Ich würde beweisen, dass LGBT-Leute sehr erfolgreich sein können, Goldmedaillen gewinnen können usw. Die gleiche Reaktion kam von den Eltern der Schüler. Auf der Arbeit spreche ich aber nicht über LGBT-Themen. Ich nehme einfach meine Verantwortung als Lehrer wahr.
tagesschau.de: Was erleben Sie, wenn Sie außerhalb Moskaus unterwegs sind?
Jablozki: Wie überall sind die Menschen in kleinen Städten konservativer als in der Hauptstadt. Andererseits war ich im Frühjahr in Wladiwostok im Fernen Osten Russlands. Dort fühlte ich mich überhaupt nicht wie in der Provinz. Die Menschen waren viel freundlicher als in Moskau. Ich konnte es erst nicht glauben, dass es dort Nachtbars gibt, wo Heterosexuelle und Homosexuelle zusammen hingehen.
tagesschau.de: Umfragen zeigen, dass viele Menschen in Russland homophob eingestellt sind. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Jablozki: Heutzutage diktiert unsere Regierung dem Volk Homophobie. Wir haben die orthodoxe Kirche, die noch nie nicht-traditionelle Partnerschaften akzeptiert hat. Zu Sowjetzeiten war es tabu, über Sex zu reden. Die mittlere Generation erinnert sich noch an das Gesetz gegen Homosexualität, das erst 1993 abgeschafft wurde.
tagesschau.de: Ist die junge Generation toleranter?
Jablozki: Ja und Nein. Es gibt einen jungen Abgeordneten in der Staatsduma, der mit 32 gerade zwei Jahre älter ist als ich. Er setzt sich dafür ein, dass LGBT-Leute kein Blut spenden dürfen. Das überraschte mich sehr. Ich hätte es verstanden, wenn er älter als 50 gewesen wäre. Aber so ist es sehr enttäuschend und entmutigend.
Ablenkung von den eigentlichen sozialen Problemen
tagesschau.de: Was denken Sie, warum das "Gesetz gegen homosexuelle Propaganda" gerade in diesem Jahr auf Landesebene eingeführt wurde?
Jablozki: Es ist eine politische Strategie, um die Menschen von den wirklichen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Drogenmissbrauch abzulenken. Es ist einfach, Minderheiten als Sündenböcke hinzustellen. Früher waren es die Juden. Da wurden Xenophobie und Antisemitismus ausgenutzt. Heute sind es die LGBT-Leute. Die Geschichte wiederholt sich.
Mit dem Anti-Propaganda-Gesetz will Putin von den eigentlichen Problemen ablenken, so sieht es Jablozki.
Wir arbeiten daran, dass Russland toleranter wird. Aber inzwischen geben viele auf und gehen nach Westeuropa. 2012 zum Beispiel gab es bei der niederländischen Botschaft allein 812 Asylanträge. Die Zahl lag sechs Mal höher als 2011.
Flash Mob in Sotschi
tagesschau.de: Sie planen bei den Olympischen Spielen in Sotschi im Februar Aktionen, um auf die Lage der sexuellen Minderheiten aufmerksam zu machen.
Jablozki: Die internationale Organisation "Pride House Coalition", die seit 2010 bei internationalen Sportveranstaltungen aktiv ist, bittet die Delegationen LGBT-freundlicher Länder, Solidarität zu zeigen. Während der Eröffnungsveranstaltung sollen sich Sportler gleichen Geschlechts an den Händen halten. Es soll eine Art Flash Mob werden. Es gibt keine Regeln, die es den Sportlern verbieten, die Hände ihrer Mannschaftsmitglieder zu halten. Fahnen oder Sticker in Regenbogenfarben sind dagegen als politische Symbole während der Spiele verboten.
tagesschau.de: Während der Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Moskau rügte der Leichtathletik-Weltverband die schwedische Hochspringerin Emma Green-Tregaro wegen ihrer Fingernägel in Regenbogenfarben.
Jablozki: Das war absolut enttäuschend. Damit führen sie das Prinzip der Meinungsfreiheit ad absurdum. Es gibt einige Prinzipien, die auf der ganzen Welt inakzeptabel sind. Dazu zählen Antisemitismus, Rassismus und Homophobie.
Olympia-Boykott würde Sportler strafen
tagesschau.de: Da die russische Regierung nun auch noch ein Demonstrationsverbot in Sotschi verhängt hat, halten Sie da Aufrufe zu einem Boykott der Spiele für sinnvoll?
Jablozki: Ein Boykott ist kein konstruktiver Weg, Probleme zu lösen. Wir wollen einen Dialog mit unserer Regierung und keinen Streit. Einige Aktivisten schlagen vor, dass Staatschefs bei ihrem Besuch in Sotschi Putin boykottieren sollen, dass sie sich nicht mit ihm zu Gesprächen treffen und nicht neben ihm auf der VIP-Tribüne Platz nehmen. Aber wir sind gegen einen Boykott der Spiele, denn die Sportler verdienen es nicht, so behandelt zu werden. Sie sind nicht schuld an der Lage in Russland.
Einer der Hauptkandidaten für den IOC-Vorsitz schlägt vor, dass sich Länder mit einer problematischen Menschenrechtslage nicht mehr um die Austragung Olympischer Spiele bewerben dürfen. Also muss Russland etwas ändern.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de