Rettungsschiff im Mittelmeer "Lifeline"-Besatzung erhebt Vorwürfe
Die Organisation Mission Lifeline wirft den EU-Regierungen eine "Kriminalisierungskampagne" vor: Ihr Rettungsschiff habe sich an internationale Konventionen gehalten. Nun kommt der deutsche Kapitän in Malta vor Gericht.
Die Flüchtlings-Hilfsorganisationen Mission Lifeline und Sea-Watch sind auf einer Pressekonferenz hart mit den Regierungen der EU-Staaten ins Gericht gegangen: Sie seien "einer Kriminalisierungskampagne ausgesetzt", sagte Marie Naass, die Sprecherin des Flüchtlingsschiffs "Lifeline" in Berlin. "Wir werden zu Sündenböcken gemacht für eine gescheiterte Immigrationspolitik auf europäischer Ebene".
Die Organisation, die schiffbrüchige Migranten aus dem Mittelmeer rettet und auf EU-Festland bringt, gebe es nur, weil Staaten ihrer Verantwortung nicht nachkämen. Wenn man nicht mehr vor Ort sei, würden Menschen im Mittelmeer sterben, so Naass. Noch könne sie aber keine Aussage dazu machen, ob man gleich wieder rausfahre. Ihre Arbeit werde massiv erschwert. "Wir können so eine Lifeline-Situation nicht jede Woche haben", erklärte die Sprecherin.
Gerichtstermin am Montag
Der deutsche Kapitän der "Lifeline" soll in Malta vor Gericht gestellt werden. Claus-Peter Reisch werden Verfehlungen im Zusammenhang mit der Registrierung des Schiffes vorgeworfen, wie der maltesische Rechtsbeistand Neil Falzon der Dresdner Organisation Mission Lifeline mitteilte. Der Gerichtstermin sei am Montag.
"Wir werden unser Möglichstes tun, um diese Sache aufzuklären und sicherzustellen, dass Hilfsorganisationen nicht zum Ziel werden, weil sie Menschen in Seenot retten", sagte Falzon. Ein Sprecher des Büros von Premier Joseph Muscat bestätigte die Vorwürfe, machte aber keine weiteren Angaben. Das Schiff fährt nach Angaben der Dresdener Hilfsorganisation unter niederländischer Flagge, was die dortigen Behörden aber bestreiten. Das Schiff ist nur im Register des Wassersportverbandes eingetragen.
"An alle internationalen Konventionen gehalten"
"Lifeline"-Sprecherin Naass wies die Vorwürfe des italienischen Innenministers zurück, dass die Besatzung der "Lifeline" sich nicht an Recht und Gesetz halte. "Wir haben uns an alle internationalen Konventionen gehalten", betonte Naas - sowohl mit der italienischen Küstenwache als auch mit dem Auswärtigen Amt sei man in ständigem Kontakt gewesen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte der "Lifeline" in der ARD indirekt eine Zusammenarbeit mit Schleusern vorgeworfen. Das Schiff hat eine sechstägige Irrfahrt mit mehr als 230 Flüchtlingen hinter sich, da zunächst keines der Mittelmeer-Anrainerländer es anlegen lassen wollte. Am Mittwochabend hatte es von Malta die Erlaubnis erhalten, im Hafen von Valletta anzulegen.
Absage an Asylzentren außerhalb der EU
Johannes Bayer von der Hilfsorganisation Sea-Watch, die wie "Lifeline" Rettungsschiffe unter niederländischer Flagge unterhält, warf den europäischen Regierungen und insbesondere Den Haag vor, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Er sprach sich ebenso wie Naass gegen das Ansinnen einiger EU-Staaten aus, Asylbewerber in Flüchtlingslager außerhalb der EU unterzubringen und nur im Fall eines positiven Asylbescheids einreisen zu lassen. Sie stünden dafür "nicht zur Verfügung", erklärte Bayer: "Das wäre ein Bruch des internationalen Asylrechts".
Scharfe Kritik durch Vereinte Nationen
Die Vereinten Nationen kritisierten die Europäische Union wegen des Mittelmeer-Dramas scharf. Weil die EU politisch gelähmt sei, müssten Unschuldige leiden, monierten das UN-Flüchtlingshilfswerk und die Internationale Organisation für Migration. Sie verlangten vor dem EU-Gipfel, die EU-Staaten müssten schnellstens eine gemeinsame Lösung für die ganze Region finden, um weiteres unnötiges Sterben auf See zu verhindern.
Aufgrund der Menschenrechtssituation in den nordafrikanischen Staaten sei eine Unterbringung der Flüchtlinge dort keine Lösung, sagte Sea-Watch-Sprecher Bayer. Wiederholt hatten Migranten von Folter, Vergewaltigungen und anderen Verbrechen in libyschen Auffanglagern berichtet. "Es kann deshalb nur eine gesamteuropäische Lösung geben", so Bayer.
Die 234 Menschen an Bord der "Lifeline" wurden inzwischen in Malta registriert und ärztlich versorgt. Nach Angaben des maltesischen Innenministeriums handelt es sich dabei mehrheitlich um Menschen aus dem Sudan, Somalia und Eritrea. Neben acht EU-Staaten hat sich auch Norwegen bereiterklärt, Flüchtlinge von dem Schiff aufzunehmen, die als Asylsuchende anerkannt werden könnten. Jene, die als Wirtschaftsmigranten eingestuft würden, würden in ihre Herkunftsländer abgeschoben, teilte Muscat via Twitter mit.