Innenstadt von Macau: Der Prada Senado mit der Domenikus-Kirche

20 Jahre Sonderverwaltung Warum Macau nicht wie Hongkong ist

Stand: 20.12.2019 06:47 Uhr

Heute vor 20 Jahren wurde Macau von Portugal an China übergeben. Doch anders als in der Nachbarstadt Hongkong protestiert hier niemand gegen den Einfluss Chinas. Warum eigentlich nicht?

Die Altstadt von Macau mit dem prächtigen Senatsplatz verströmt noch immer europäisches Lebensgefühl: Die kleinen schwarzen und weißen Fliesen, mit denen der Platz wellenförmig-geschwungen gepflastert ist, erinnern an die Altstädte von Lissabon, Coimbra und Porto.

Vor 20 Jahren übergaben die Portugiesen ihre Kolonie Macau nach mehr als 400 Jahren Herrschaft an die Volksrepublik China. Ähnlich wie die Nachbarstadt und frühere britische Kolonie Hongkong wird auch Macau noch heute nach einem völkerrechtlich sehr speziellen Prinzip regiert. Die Staats- und Parteiführung in Peking ist offiziell nur für Landesverteidigung und Außenpolitik von Macau zuständig. Den Rest regelt die Regierung der autonom regierten Stadt selbst.

Wirtschaftlich so gut wie nie

Auf der Südinsel von Macau, auf Taipa, befindet sich der Campus des Polytechnischen Instituts Macau und das Büro von Xu Chang. Der gebürtige Pekinger leitet das "Centro de Estudos de um país, dois sistemas", also das Zentrum für Ein-Land-Zwei-Systeme-Studien.

Mit der Art und Weise wie Macau heute regiert wird, ist Politologe Chang zufrieden. Das überrascht nicht. Denn das "Zentrum für Ein-Land-Zwei-Systeme-Studien" ist ein ausdrücklich regierungsnahes Institut. Wirklich kritische Positionen sind also nicht zu erwarten. Xu verweist auf Statistiken, die belegen, dass es Macau wirtschaftlich so gut geht wie noch nie. "Das Bruttoinlandsprodukt ist rasant gestiegen", sagt er. "1999 lag es bei rund 15.000 US-Dollar pro Einwohner, 2018 waren es gut 112.000 US-Dollar pro Kopf." Dieser Wohlstand habe für umfassende gesellschaftliche Stabilität gesorgt.

Der Hauptgrund aber, dass es Macau wirtschaftlich so ausgesprochen gut geht, ist vor allem das Glücksspiel. Es ist der einzige Ort in China, an dem Spielcasinos erlaubt sind. Mehr als 40 gibt es in der Sonderverwaltungsregion. Rund 110.000 Menschen sind dort beschäftigt.

Politiker warnen allerdings davor, allein auf diese Branche zu setzen. Die Annehmlichkeiten, die das schnelle und vor allem viele Geld schafft, haben in Macau auch dazu geführt, dass sich viel weniger Menschen für Politik interessieren, als zum Beispiel in der Nachbarstadt Hongkong.

Macau: Der Politiker Sulu Sou in Macau

Der Politiker Sulu Sou in Macau

In der Minderheit

Seit dem Abzug der Portugiesen vor 20 Jahren wird die Stadt von ausdrücklich festlandchina-freundlichen Politikern regiert. Echte Demokratie gibt es in der Sonderverwaltungsregion Macau nicht. Teilweise demokratisch gewählt wird zumindest das Parlament von Macau. Von den 33 Sitzen werden nur 14, und damit nicht einmal die Hälfte, frei gewählt von den Menschen in Macau.

Einer dieser frei gewählten Abgeordneten ist Sulu Sou. Der 28-Jährige ist der jüngste Politiker im Legislativrat von Macau. Einfach ist es für ihn und seine Partei "Vereinigung Neues Macau" nicht. Nicht nur im Parlament seien sie in der Minderheit, sagt Sou, sondern auch in der Gesellschaft von Macau.

Sulu Sou sieht seine Aufgabe in erster Linie darin, das Handeln der Politik transparent zu machen. Entsprechend sind er und seine Partei online sehr aktiv. Das Thema, das Sulu Sou zurzeit besonders umtreibt, sind die zahlreichen neuen Überwachungskameras in der Stadt. Seit Beginn der Demokratiebewegung in Hongkong sei die Regierung von Macau vorsichtiger geworden, erzählt er. "Sie hat zahlreiche Gesetze zur Öffentlichen Sicherheit durchs Parlament gebracht. Und eine Menge Überwachungskameras wurden in der Stadt installiert." Inzwischen gebe es 16.000 davon.

Macau: In dieser Bäckerei in Coloane wird traditionelles portugiesisches Gebäck hergestellt.

In dieser Bäckerei in Coloane wird traditionelles portugiesisches Gebäck hergestellt.

Viel Trennendes

Nicht nur bei diesem Thema geht der Blick zur Nachbarstadt. Macau und Hongkong hätten einiges gemeinsam, es gebe aber auch viel Trennendes, betont Sou: "Das sind unterschiedliche Gesellschaften. Wir haben eine unterschiedliche Geschichte. Wir sind komplett verschieden. Aber wir teilen ein gemeinsames Schicksal: Wir sind die einzigen beiden Sonderverwaltungsregionen im Herrschaftsbereich der Pekinger Führung."

Die Bürger in Macau genießen wie die in Hongkong gewisse Autonomierechte wie Meinungsfreiheit und unzensiertes Internet. Außerdem hat Macau wie Hongkong eine eigene Währung, ein eigenes Zollsystem und Passkontrollen an der Grenze zu Festlandchina.

Das war es dann aber auch mit den Gemeinsamkeiten, sagt Chang vom Zentrum für "Ein-Land-Zwei-Systeme-Studien": "Macau ist in einem weitaus besseren Zustand als das Hongkong, das wir gerade erleben. Wir haben stabile politische Verhältnisse, eine wachsende Wirtschaft und ein gutes gesellschaftliches Miteinander. Das ist ganz offensichtlich."

Die Mehrheit hat sich arrangiert

Während das benachbarte Hongkong seit Juni die größte politische Krise seit Ende der Kolonialzeit durchlebt, mit Demonstrationen, Massenprotesten, Streiks, Ausschreitungen und blutigen Polizeieinsätzen, hat sich eine Mehrheit der Menschen in Macau mit dem pro-festlandchinesischen Kurs der Regierung arrangiert.

Das hat eine lange Tradition: Als es Ende der 1960er-Jahre zu anti-portugiesischen Protesten in Macau kam, ließen sich die damaligen Kolonialherren auf ein Geschäft ein: Chinas kommunistische Staats- und Parteiführung wurde indirekt eingebunden in die Regierungsgeschäfte von Macau, weit vor der eigentlichen Übergabe der Stadt vor 20 Jahren. Nach Ansicht des Abgeordneten Sou heißt das aber nicht, dass alle zufrieden sind mit den Zuständen in Macau. Natürlich gebe es auch hier viel Frust und Unzufriedenheit.

"Viele Leute hier, die unabhängig denken können, sind gegen den Kurs der Regierung von Macau. Gleichzeitig haben sie Angst, das öffentlich zu äußern", sagt er. "Sie fürchten sich vor Jobverlust, vor Problemen an der Universität und vor Stress mit der Familie. Deswegen sind wir in der Minderheit."

2049 endet Autonomiestatus

Nirgendwo sonst in Ost-Asien sind die Menschen im Schnitt so reich, nirgendwo sonst werden sie so alt wie in der früheren portugiesischen Kolonie. Das verführe viele Menschen dazu, völlig zu verdrängen, dass es im Jahr 2049 vorbei ist mit dem Autonomiestatus von Macau, sagt Sou. "In Hongkong wird bereits seit Jahren über das Ende des 50 Jahre dauernden Autonomie-Status diskutiert", sagt er. "Bei uns findet diese Debatte nicht statt. Die Menschen erfreuen sich an der guten wirtschaftlichen Lage."

"Wer macht es dann?"

Bis in Macau in 30 Jahren die mit Portugal ausgehandelte Übergangszeit ausläuft und der Status als autonome Sonderverwaltungsregion endet, will der 28-Jährige weiter für die Bewahrung der Bürgerrechte und für mehr Demokratie in Macau kämpfen. Auch, wenn das nicht einfach sei.

"Meine Mitstreiter und ich sind zwar eine Minderheit in Macau. Aber wenn wir aufhören für diese wichtigen Grundwerte einzustehen, wer macht es dann? Das ist der Grund, warum ich nicht aufhöre zu lächeln!"

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Dezember 2019 um 18:40 Uhr.