Interview

Interview "Vorsicht mit dem Wort Demokratie im Nahen Osten"

Stand: 27.08.2007 19:27 Uhr

Jörg Armbruster und Christoph Maria Fröhder haben während des Irak-Krieges für die ARD berichtet. Ein Jahr danach ziehen sie in der Dokumentation "Duell mit Saddam" zusammen mit Ulli Neuhoff Bilanz. Sie berichten von der Rolle der kurdischen Peschmergas bei der Festnahme Saddam Husseins, über den Betreuer der amerikanischen Kriegsgefangenen und eine geheimnisvolle "Tötungsmaschine".Im Interview erzählt Jörg Armbruster von den Arbeitsbedingungen westlicher Journalisten im Nachkriegs-Irak und den Risiken des Demokratisierungsprozesses.

Wie ist die Haltung der irakischen Bevölkerung – ein Jahr nach den ersten Bombenangriffen – gegenüber westlichen Journalisten?

Jörg Armbruster: Größtenteils freundlich und aufgeschlossen – und auch hilfsbereit. Aber es gibt natürlich Untergrundkämpfer, die sind westlichen Journalisten gegenüber alles andere als aufgeschlossen. Es hat auch zuletzt während unserer Reise einen Mord gegeben an zwei CNN-Kollegen. Das heißt: nicht jeder, der aus dem Westen kommt, ist auch unbedingt von allen Irakern gern gesehen, obwohl die feindlich gesonnenen Iraker sicherlich eine Minderheit darstellen.

Welche Stimmung herrscht unter den dort stationierten amerikanischen Soldaten?

Armbruster: Soweit wir das mitkriegen, eine sehr schlechte Stimmung, aber das wird uns gegenüber nur in privaten Gesprächen geäußert. Auf Pressekonferenzen der Amerikaner wird offiziell immer von einer guten Stimmung gesprochen. Aber wir wissen, dass die Stimmung sehr schlecht ist und es findet im Augenblick auch ein großer Austausch an Soldaten statt. Die, die jetzt fast elf Monate oder noch länger dort sind, werden zurück geschickt. Frische Soldaten werden aus den USA geholt, um so die gedrückte Stimmung etwas zu entspannen.

Wie beurteilen die Menschen im Irak heute die Arbeit der amerikanischen Soldaten und der amerikanischen Regierung – auch angesichts ihrer jetzigen Situation?

Armbruster: Sie beklagen sich natürlich außerordentlich, dass es immer noch keine wirkliche Sicherheit gibt. Und auch diejenigen, die sich über die Befreiung von Saddam gefreut haben – letztes Jahr unmittelbar nach dem Krieg – sprechen heute von Besatzern. Und sie wünschen sich nichts Sehnlicheres, als dass die amerikanischen Truppen wieder abziehen. Obwohl das meines Erachtens verkehrt wäre, denn dann bräche tatsächlich ein Chaos aus im Land.

Welche Probleme gibt es bei der Arbeit westlicher Journalisten im Irak? Technisch, ethnisch, sprachlich, religiös?

Armbruster: Die sprachlichen Probleme – da haben wir Dolmetscher dabei. Und man kann inzwischen im Irak sehr gut wieder arbeiten. Vor dem Krieg war es sehr mühselig, dort zu arbeiten, weil man ständig beobachtet wurde und jede Story anmelden musste. Das ist heute überhaupt nicht mehr der Fall. Manchmal mauern die Amerikaner und lassen nur das raus, was sie wollen. Und manchmal ist es auch sehr schwer, Interviews zu kriegen. Ich weiß nicht, ob das mit unserer Nationalität als Deutsche zu tun hat. Sonst hat man aber sehr gute Arbeitsmöglichkeiten. Was die Religion angeht, muss man natürlich Rücksicht nehmen und kann nicht alles in Nadschaf oder Kerbala machen, was man vielleicht möchte. Es ist zum Beispiel nicht möglich, das Innere einer schiitischen Moschee zu betreten. Das ist Moslems vorbehalten. Aber sonst treffen wir eigentlich immer wieder auf sehr viele aufgeschlossene Menschen – auch gerade im religiösen Bereich, was nebenbei als Thema immer wieder sehr spannend ist.

Welchen Eindruck hatten Sie selbst von Saddam, nachdem Sie die Aufnahmen seines Kameramannes gesehen haben, die dieser während des Krieges gemacht hat?

Armbruster: Die Aufnahmen, die wir auch in der Dokumentation benutzen, stammen vom 20. März und da gab sich Saddam äußerst optimistisch – so als ob es ein Spaziergang wäre, die Amerikaner rauszuschmeißen. Und das Interessante ist, wir haben ja nicht nur von ihm Aufnahmen, sondern auch von seinen Beratern, seinen Helfershelfern, seinen Lakaien. Und die reden ihm nach dem Mund, das können wir auch sehr schön zeigen: Wie er bewusst falsch informiert wird, um eine gute Stimmung im "Führerbunker" zu verbreiten. Und er glaubt es auch und ich habe den Eindruck, er wusste nicht mehr, was draußen wirklich passiert.

War Saddam selbst überhaupt noch in der Lage, den Widerstand gegen die USA zu formieren oder waren es schon ganz andere, die die Fäden in der Hand hielten?


Armbruster: Naja, da streiten sich die Gemüter. Ich glaube aber nicht, dass er aus seinem Loch bei Tikrit den Widerstand tatsächlich organisiert hat. Aber ein Vertrauter, Izzak Ibrahim Al Douri, der vor dem Krieg der zweite Mann im Staat war, gilt als einer der großen Organisatoren des Widerstandes. Ihm werden sehr viele Aufträge für Attentate zugeschrieben. Man hat ihn bisher noch nicht gefasst, die Amerikaner jagen ihn und die Kurden jagen ihn. Dann gibt es natürlich Al-Kaida-Niederlassungen, die auch mit Saddam nichts zu tun haben. Im Gegenteil: Er warnte sogar vor einer all zu engen Zusammenarbeit mit diesen islamistischen Kräften. Und es gibt auch regionale, lokale Widerstandsgruppen, die sicherlich auf eigene Faust arbeiten. Dieser Widerstand ist eine sehr komplizierte Mixtur, da man nicht immer genau bestimmen kann, wer eigentlich jetzt zugeschlagen hat.

Weshalb tauchen die kurdischen Peschmergas, die bei der Ergreifung Saddams doch eine entscheidende Rolle gespielt haben, in den Medien nicht auf?

Armbruster: Bei uns tauchen die kurdischen Peschmergas auf. Und wir werden auch unsere Dokumentation mit dieser Geschichte beenden, dass die Peschmergas entscheidend mit zum Einfangen und Entdecken des Verstecks von Saddam beigetragen haben. Uns haben die Kurden erzählt – mit Rücksicht auf ihre amerikanischen Verbündeten, die ja schon seit über 10 Jahren sie unterstützen und ihnen auch so etwas wie Sicherheit geben –, sie hätten die Show den Amerikanern überlassen, aber an der eigentlichen Arbeit, ihn aufzuspüren, waren sie entscheidend beteiligt.

War die elektronische und technische Übermacht der USA der entscheidende Faktor für das Gewinnen des Krieges oder gab es auch andere wichtige Faktoren?



Armbruster: Nein, ich glaube, es war schon die elektronische Übermacht, dann aber auch die Waffen an sich. Wenn man einen amerikanischen Riesenpanzer neben einen irakischen stellt, dann kann man schon, ohne dass man ein großer Fachmann ist, von außen sehen, dass der irakische Panzer eigentlich so gut wie keine Chance hat. Und die Besatzungen der irakischen Panzer sind auch fast immer abgehauen, bevor es zu einem richtigen Panzerduell kam. Sie wussten, sie haben gegen diese "Ungetüme" aus den USA so gut wie keine Chance.

Ist das "Duell mit Saddam" mit der Machtübernahme durch die amerikanischen Truppen nun beendet oder formiert sich nicht jetzt ein viel größerer Widerstand gegen die westliche Welt?

Armbruster: Ein viel größerer Widerstand kann sich natürlich formieren, wenn die Entwicklung zu einer Demokratie oder zu einer offeneren Gesellschaft – mit dem Wort Demokratie muss man im Nahen Osten sehr vorsichtig umgehen – nicht zügig voran geht. Wenn zum Beispiel die Machtübergabe wieder verzögert wird, dann wächst auch der Hass auf den Westen. Das "Duell mit Saddam", würde ich mal annehmen, ist abgeschlossen. Im Augenblick finden ganz andere Duelle statt: zwischen den Schiiten und den Amerikanern, außerdem sehr blutig zwischen Sunniten und Amerikanern, aber auch innerhalb der irakischen Bevölkerung selber. Das alles ist eine sehr, sehr komplizierte Sache geworden. Und wenn die Knoten, die es im Augenblick gibt und die eine Entwicklung behindern, nicht bald zerschlagen werden, dann glaube ich, kann es im Irak eine sehr schlechte Entwicklung nehmen - und das könnte auch den Hass auf den Westen mit einschließen.

Braucht Bush die äußere Bedrohung, für seine Wiederwahl im Herbst?



Armbruster: Das könnte ein Korrespondent in Washington sicherlich besser beantworten, weil ich nun den Nahen Osten beobachte und da, glaube ich, ganz ordentlich Bescheid weiß. Aber was Bush sicherlich nicht brauchen kann, ist ein unruhiger Irak, ist ein Irak, in dem amerikanische Soldaten sterben, und ein Irak, in dem offensichtlich wird für die amerikanische Bevölkerung, dass die Kriegsfolgen und die Nachwehen des Krieges das Land in ein Chaos stürzen. Denn dann wird er sicherlich diesen Krieg im Wahlkampf, der ja heute schon Thema ist, sehr schlecht begründen können. Ob er nun wirklich einen Konflikt braucht, das weiß ich nicht.

Welche Anzeichen gibt es dafür, dass der Irak wirklich auf dem Weg zu einer demokratischen Staatsform ist?

Armbruster: Zum einen ist es der Wille – weil sehr viele Iraker das wollen. Dann soll in diesem Jahr ja auch die Macht übergeben werden – mit einer demokratischen Verfassung. Da wird daran gearbeitet und formuliert, und ich denke, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik da durchaus auch ein bisschen vorbildhafte Funktion haben kann. Ob am Schluss wirklich Demokratie rauskommt, wäre ich mal ein bisschen vorsichtig mit diesem Begriff, weil das ein sehr westlich geprägter Begriff ist. Und ich glaube, man muss auch solchen Ländern die Chance geben, eigene Vorstellungen von Demokratie und von Mitbestimmung und von Mitwirkung des Volkes zu verwirklichen. Man darf nicht vergessen, der Islam und die Religion spielt im Irak eine viel größere Rolle als bei uns. Und diese müssen ja in solche "demokratische" Systeme auch eingebaut werden.

Und welche Anzeichen bezeugen, dass der Weg zur Demokratie nicht so einfach wird, wie die Amerikaner es sich vorstellen?



Armbruster: Es sind die vielen Anschläge auf Amerikaner und dann natürlich die vielen Anschläge auf Iraker in Polizeistationen, weil sie mit den Amerikanern zusammen arbeiten. Und dann glaube ich auch, dass Menschen, die über 30 Jahre Diktatur hinter sich haben, nicht einfach den Schalter auf Demokratie umlegen können. Auch wir in der Bundesrepublik haben Demokratie lernen müssen und einsehen müssen, dass Demokratie mit sehr viel Verzicht, mit Kompromiss zu tun hat. Und das ist alles noch nicht so üblich im Irak, aber es ist lernbar.

(Quelle: SWR)

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