Hintergrund

Nigeria Gewalt und Misstrauen zwischen Volksgruppen

Stand: 29.08.2007 11:47 Uhr

Kaum ein afrikanisches Land vereint so viele Gegensätze wie Nigeria: Mit 120 Millionen Einwohnern ist es der bevölkerungssreichste Staat Afrikas, 250 verschiedene Volksgruppen leben hier. Ethnische und religiöse Spannungen führen immer wieder Unruhen mit vielen Toten.

Drei große Volksgruppen dominieren die Politik und das Militär in Nigeria: die muslimischen Haussa-Fulani im Norden, die überwiegend christlichen Yoruba im Westen und im Osten die Igbos, auch eine christlich dominierte Volksgruppe. Im Osten sind neben den Igbos noch eine Vielzahl von kleineren Volksgruppen ansässig.

Ethnisch motivierte Dreiteilung

Die ethnisch motivierte Dreiteilung des Landes wurde unter der britischen Kolonialherrschaft bewusst angelegt und wirkt sich bis heute auf die nigerianische Gesellschaft aus. Großbritannien teilte Nigeria in drei Provinzen auf: eine Nordprovinz und zwei Südprovinzen. Verwaltet wurden sie nach dem Prinzip der so genannten indirekten Herrschaft. Die britische Kolonialregierung legte Steuersätze fest und trieb den Ausbau der Infrastruktur voran. In religiösen und zivilrechtlichen Fragen überließ man den örtlichen Herrschern ihre Freiheit.

Autonomie der Provinzen

So behielten im muslimischen Norden die Emire ihren Einfluss. Bis heute sind die Emire hohe Würdenträger in der Gesellschaft der Haussa-Fulani. Sie fungieren in erster Linie in religiösen Angelegenheiten. Im Yoruba-Land, einer der beiden Südprovinzen, beließ man den Obas, den Königen, die Macht. Der Oba unterstand nur der Kolonialverwaltung, er war dafür zuständig, die kolonialen Gesetze und Anweisungen aus London an die Bevölkerung weiterzugeben. Das gleiche Prinzip wandten die Briten in der Igbo-dominierten Südprovinz an.

In den 50er Jahren erhielten die drei Provinzen eine weitgehende Autonomie mit einer selbstständigen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, die eng an die jeweiligen lokalen Traditionen angelehnt war. Im Zuge der Unabhängigkeitsbewegung setzte sich diese Dreiteilung fort, es gründeten sich Parteien auf der Basis der ethnischen Hintergründe. Bei den ersten Wahlen nach der Unabhängigkeit setzte sich der Northern Peoples’ Congress durch, über Jahrzehnte hinweg dominierten der Norden und die Haussa die Politik des Landes.

Erster Präsident christlicher Herkunft

Die politische Dominanz des Nordens änderte sich erst mit den freien Wahlen nach dem Ende der Militärdiktaturen 1999. Der seit 1999 amtierende Präsident Olusegun Obasanjo ist Yoruba und Christ. Um die Gefahr eines Militärputsches abzuwenden, versetzte Obasanjo in den ersten Jahren seiner Amtszeit führende Generäle aus dem Norden in den Ruhestand und ersetzte sie durch aus dem Süden stammende Christen.

Blutiger Wahlkampf

In seiner ersten Amtszeit hat es Präsident Obasanjo nicht geschafft, das Land zu befrieden. Im Gegenteil: Schätzungen zufolge starben bei ethnisch oder religiös motivierten Kämpfen seit Obusanjos Amtsantritt 10.000 Menschen. Ein Grund dafür ist die Einführung des islamischen Rechts, der Scharia, in weiten Teilen des Nordens im Jahr 1999. Mehrere Todesurteile gegen Ehebrecherinnen lösten weltweit Proteste und eine Serie blutiger Konflikte zwischen Muslimen und Christen aus.

Auch im Wahlkampf 2003 kam es zu gewaltätigen Ausschreitungen. Elf Politiker verschiedener Parteien wurden ermordet, viele Kundgebungen endeten blutig. Allein bei den Parlamentswahlen am 19. April starben zwölf Menschen. Ausländische Beobachter meldeten zahlreiche Unregelmäßigkeiten, die Opposition sprach von Wahlbetrug.

Matthias Stelte, tagesschau.de