Interview

Interview mit NATO-Experten Bertram "Interessengegensätze fast verschwunden"

Stand: 29.08.2007 16:15 Uhr

Wie nahe sind sich Russland und die NATO gut ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges gekommen? Darüber sprach tagesschau.de mit Dr.Christoph Bertram, Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit (SWP).

tagesschau.de: Herr Bertram, die NATO hat sich nahezu vier Jahrzehnte nicht zuletzt über den Ost-West-Konflikt definiert, und nun soll Russland noch enger an die Allianz herangeführt werden. Hat die NATO zu einer neuen Identität gefunden?

Bertram: Sie hat sich schon längst anders definiert als im Kalten Krieg. Denken Sie daran, dass sie sich schon seit Mitte der Neunziger Jahre dazu durchgerungen hat – und das war nicht einfach am Anfang – die neuen Demokratien Osteuropas einzuladen, Mitglieder zu werden. Diese haben darauf gedrängt, Mitglieder zu werden, drei wurden 1999 aufgenommen, und jetzt im November werden in Prag weitere sieben osteuropäische Staaten aufgefordert, Verhandlungen über den Beitritt einzuleiten. Die NATO ist heute schon – unabhängig von dem, was mit Russland passiert – eine ganz andere als früher. Das Aufregende ist natürlich, dass sie sich auch Russland gegenüber öffnet, den Russen die Möglichkeit der Mitarbeit gibt und damit auch sich selbst die Möglichkeit eröffnet, auf russische Entwicklungen einzuwirken. 

tagesschau.de: Nun gibt es ja schon seit Jahren eine Kooperation mit Russland – den so genannten NATO-Russland-Rat. Aber der hat nicht so richtig funktioniert, zumindest waren die Russen offenbar recht unzufrieden. Woran hat es da gehapert?

Bertram: Es gab mehrere Gründe dafür. Einmal gab es auf westlicher Seite bei einigen NATO-Staaten eine gewisse Zurückhaltung, diesen Russland-Rat allzu sehr zu einem offenen Gespräch zu benutzen. Zum zweiten gab es auf russischer Seite keine wirkliche Bereitschaft, ihn auszubauen. Das lag zum Teil auch an den Personen, die dazu entsandt wurden. Und schließlich kamen immer wieder Ereignisse dazwischen, die Russland als eine Verletzung des Vertrauensverhältnisses zur NATO betrachtete und deshalb seine Leute – denken Sie an den Kosovo-Krieg – zurück zog. Das sind die drei Gründe, weshalb dieser alte NATO-Rat nicht funktioniert hat. Wenn der neue NATO-Rat nicht mit einem größeren Engagement auf Seiten der Russen wie auch der NATO-Staaten gefüllt wird, wird er wahrscheinlich dasselbe Schicksal erleiden wie der alte. Aber das sollte man nicht hoffen. 

tagesschau.de: Es gab ja in der Tat nach dem Fall der Mauer wiederholt tiefgreifende Interessengegensätze zwischen der NATO und Russland, etwa über den Kosovo-Krieges, aber auch über die Osterweiterung oder den jugoslawischen Bürgerkrieges. Sind denn diese unterschiedlichen geopolitischen Blickwinkel durch die Nachwirkung des 11. September aus der Welt? 

Bertram: Sie sind sehr weit zurück gedrängt. Der 11. September hat ja doch etwas offenbart, was vorher nicht da war – nämlich einen gemeinsamen Feind und damit auch eine gemeinsame Aufgabe. Präsident Putin hat die Gelegenheit sehr schnell beim Schopf ergriffen, aus dem 11. September die Basis für eine sehr viel engere Zusammenarbeit mit Europa, aber auch mit den Vereinigten Staaten zu schaffen. Wir sehen das ja nicht nur an dem neuen NATO-Russland-Rat, der jetzt entsteht, sondern auch an den erheblichen Fortschritten in der strategischen Rüstungskontrolle.

tagesschau.de: Weitere Staaten Osteuropas klopfen an die Tür zur NATO. Zudem etablieren sich die USA in den zentralasiatischen Republiken, also in der Nähe der bedeutenden kaspischen Ölquellen. Lauern da nicht neue Konflikte?

Bertram: In Zentralasien lauern Konflikte, auch ohne dass die Amerikaner dort sind. Das ist ja eine der Regionen, in denen ein Funken furchtbar leicht überspringen kann - von dem, was im Südkaukasus geschieht oder von dem, was zwischen den einzelnen zentralasiatischen Staaten an ethnischen Spannungen und wirtschaftlichem Gefälle vorhanden ist. Aber dass sich mit dem amerikanischen Engagement in Zentralasien auch die strategische Landschaft verändert hat, das ist offensichtlich. Es gibt hier eine neue, von Amerika mit geschaffene und gehaltene Stabilität, die es nicht geben würde, wenn nicht auch Russland sich damit abgefunden hätte. Das ist schon deshalb eine begrüßenswerte Entwicklung, weil es in Russland selbst das Nachdenken darüber gefördert hat, ob Russland nun als Militärmacht oder als wirtschaftliche und Energiemacht in Zentralasien und in seinem früheren sowjetischen Bereich seine Interessen verfolgen sollte. Und das ist eine wünschenswerte Entwicklung, auch im Sinne der Zivilisierung Russlands. 

tagesschau.de: Eine russische Tageszeitung schrieb unlängst ziemlich zugespitzt, Russland helfe der NATO aus der Klemme und verlängere die Lebenszeit der Allianz. Steckt da auch ein Körnchen Wahrheit drin?

Bertram:  Nein. Die Allianz lebt ja doch deswegen weiter, weil ihre Mitgliedstaaten an ihr festhalten wollen und immer mehr Staaten in diese Allianz aufgenommen werden wollen. Das schafft natürlich immense Probleme, denn je mehr Mitglieder, desto schwerer wird es sein, den Konsens zu finden, der die Grundlage für den Zusammenhalt der NATO ist. Und wenn die Vereinigten Staaten – und dafür gibt es ja Anzeichen – sich weniger in der NATO engagieren, dann fällt auch die Fähigkeit dieses Führers der Allianz weg, diesen Konsens zu schaffen. Es gibt also große Probleme des inneren Zusammenhalts der NATO. Es gibt Fragen, inwieweit es künftig präzise militärische Aufgaben geben kann, die alle NATO-Mitglieder gleichermaßen erfassen. Wenn die Aufnahme der neuen Mitglieder abgeschlossen ist und wenn der neue NATO-Russland-Rat wirklich angefangen hat zu arbeiten, dann wird es diese entscheidenden Fragen zu beantworten geben: Wie soll diese sich erweiternde NATO den inneren Zusammenhalt wahren? Wie soll sie ihre Aufgaben darüber hinaus definieren, dass sie immer deutlicher ein großer Stabilitätsrahmen für ganz Europa wird.

Die Fragen stellte Eckart Aretz