Hintergrund

Von Chaos und Anarchie zum Gottesstaat? Somalia: Der zerfallene Staat

Stand: 27.12.2006 17:25 Uhr

Seit 15 Jahren kämpfen Regierungsarmee, Warlords und Islamisten um die Macht in Somalia. Kurz vor Weihnachten eskalierte der Konflikt in einem Krieg mit Äthiopien. Auch nach Vertreibung der Islamisten durch somalische Regierungstruppen und ihre äthiopischen Verbündeten kann von Entspannung keine Rede sein.

Seit 15 Jahren kämpfen Regierungsarmee, Warlords und Islamisten um die Macht in Somalia. Gegen Ende des Jahres 2006 eskalierte der Konflikt in einem Krieg mit Äthiopien. Auch nach Vertreibung der Islamisten durch somalische Regierungstruppen und ihre äthiopischen Verbündeten kann von Entspannung keine Rede sein.

Seit 15 Jahren herrscht in Somalia ein blutiger Bürgerkrieg. Zahlreiche rivalisierende Clans kämpfen seit dem Sturz des Diktators Siad Barre im Jahr 1991 um Macht und Einfluss - und die Regierungstruppen gegen die Islamisten. Den Kämpfen fielen Schätzungen zufolge eine halbe Million Menschen zum Opfer. Eine internationale Intervention unter Führung der USA scheiterte 1995. Nur die nordöstlichen Provinzen Somaliland und Puntland, die sich Anfang, beziehungsweise Ende der neunziger Jahren unabhängig erklärten, sind einigermaßen stabil. Sie wurden international aber nie anerkannt.

In allen anderen Provinzen herrschen Chaos und Anarchie. Dem Zerfall des Staates konnte auch die 2004 nach langwierigen Verhandlungen eingesetzte Übergangsregierung nichts entgegensetzen. Die Interimsregierung unter Abdullahi Yusuf Achmed war zu schwach, um als Ordnungsmacht respektiert zu werden und die rivalisierenden Warlords an einen Tisch zu bringen. Die Kämpfe zwischen Regierungsarmee, Warlords und Islamisten gingen weiter.

Furcht vor dem Gottesstaat

Im Juni 2006 übernahm die "Union islamischer Gerichte", wie sich die somalischen Islamisten selbst nennen, die Macht in der Hauptstadt Mogadischu. Viele der knapp neun Millionen Somalis, die zu mehr als 99 Prozent sunnitische Moslems sind, waren erleichtert, als die Rebellen in die Stadt einzogen - bedeutete dies doch das Ende der Schreckensherrschaft der Warlords. Die "Scharia", das islamische Recht, verhieß Ordnung und Stabilität. Zugleich fürchteten aber viele Somalis, dass die Islamisten ein fundamentalistisches Regime nach Vorbild der Taliban in Afghanistan errichten könnten.

Nach der Eroberung Mogadischus schicken sich die Islamisten an, ganz Somalia unter ihre Kontrolle zu bringen. Somalias Islamisten-Chef Scheich Hassan Dahir Aweys träumte offen von einem "Groß-Somalia“, zu dem er auch die äthiopische Grenzregion Ogaden zählt, in der mehrere Millionen ethnische Somalis leben, die Muslime sind.

Krieg mit Nachbar Äthiopien

Im Dezember 2006 nehmen die Kämpfe zwischen Regierung und Islamisten zu - inzwischen hat der Nachbar Äthiopien offiziell eingegriffen und sich auf Seiten der somalischen Regierungstruppen gestellt. Um keinen Preis will das christliche Land einen Gottesstaat an seiner Grenze dulden. Bedroht fühlt sich Addis Abeba zum einen, weil sich die somalischen Islamisten mit Eritrea verbündet hat. Äthiopien fürchtet aber auch einen Angriff auf sein eigenes Terroritorium. Unterstützung findet Addis Abeba in den USA. Washington befürchtet, Somalia könne zum Sammelbecken internationaler Terroristen werden.

Am 21. Dezember 2006 erklären die Islamisten, Somalia befinde sich im Krieg mit Äthiopien. Addis Abeba erklärt drei Tage später seinerseits den Islamisten den Krieg. Am 28. Dezember erobern äthiopische und somalische Regierungstruppen Mogadischu zurück und zwingen die Islamisten zum Rückzug. Am 1. Januar 2007 fällt die Hafenstadt Kismayo als letzte Hochburg der Islamisten. Eine Aktion zur Entwaffnung der somalischen Bürger läuft an, doch die Befürchtung besteht weiter, dass sich viele der Islamisten weiter versteckt in der Hauptstadt oder anderen Landesteilen aufhalten - und vielerorts auch noch auf den Rückhalt aus der Bevölkerung bauen können.

Angst vor einem Flächenbrand am Horn von Afrika

Der Krieg zwischen Äthiopien und den somalischen Islamisten hat wieder einmal gezeigt, wie instabil die Lage am Horn von Afrika ist. Denn dieser Konflikt könnte sich leicht zu einem Krieg zwischen Christen und Muslimen ausweiten - und den Kontinent spalten. Die Folge wäre eine Krise globalen Ausmaßes.