Anti-Amerikanismus ''Warum hassen sie uns?''
Die arabischen Länder und der überwiegende Teil der EU-Staaten wollen sich an einem Militärschlag gegen den Irak nicht beteiligen. Kritische Stimmen - auch aus dem eigenen Land - hinterfragen die US-amerikanische Politik. Die USA suchen nach Gründen: Das Außenministerium veranstaltete Anfang September eine Konferenz zum Thema Anti-Amerikanismus. Der Versuch einer Begriffsklärung.
Nach den Anschlägen vom 11. September versicherten westliche Welt und die Mehrheit der arabischen Staaten den USA ihre "uneingeschränkte Solidarität" im "Kampf gegen den Terror". Diese jedoch scheint mittlerweile an ihre Grenzen zu stoßen: Die arabischen Länder lehnten bereits Ende vergangenen Jahres einen Militärschlag gegen den Irak einstimmig ab, und auch die EU erklärte solchen Plänen auf ihrem Außenministertreffen Anfang September eine Absage. Ein Angriff auf den Irak stelle ein unkalkulierbares Risiko dar, so die Minister - eine Einschätzung, von der bisher nur Großbritannien abgewichen ist.
Angesichts der wachsenden Kritik auch von Seiten der Verbündeten fühlt sich die US-Regierung angefeindet. Das Außenministerium kündigte deshalb für Anfang September eine Konferenz zum Thema Anti-Amerikanismus an.
Anti-Amerikanismus: Pauschale Verurteilung der USA
Der Grat zwischen rationaler Kritik an der US-Politik und pauschaler Ablehnung alles Amerikanischen ist offensichtlich schmal. Nach Ansicht des US-Philosophen Richard Rorty handelt es sich beim Anti-Amerikanismus um eine pauschale Verurteilung der Vereinigten Staaten. Eine Haltung, die voraussetzt, dass ein Krieg falsch sein müsse, weil die USA ihn führe, sei anti-amerikanisch und somit nicht zu billigen. Berechtigte Kritik sei dagegen eine "eine vernünftige Haltung", so Rorty.
Seit den Anschlägen aber reagieren die USA dermaßen empfindlich auf Kritik, dass bereits die Frage nach rationalen Gründen für den Hass auf die Vereinigten Staaten den Verdacht des Anti-Amerikanismus auch gegenüber eigenen Landsleuten weckt.
Morddrohungen gegen Publizistin
Wie wenig aber Rortys Differenzierung greift, illustriert die Reaktion der US-amerikanischen Öffentlichkeit auf die Kritik der Publizistin Susan Sontag. Bereits vor den Attentaten hatte sie wiederholt die Politik der Bush-Regierung kritisiert und war dafür hart angegriffen worden.
Wenige Tage nach dem 11. September veröffentlichte Sontag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Artikel mit der Überschrift "Feige waren die Mörder nicht". Sie wandte sich gegen Journalisten und Politiker, die die Anschläge als Taten feiger Mörder und als Angriff auf die Zivilisation, Freiheit und Menschlichkeit werteten.
Sontag ließ keinen Zweifel daran, dass sie als "entsetzte und traurige Amerikanerin" die Anschläge verurteile. Die Art und Weise, mit der die Taten begründet würden, seien ihr aber zu einfach und zielten darauf, "die Öffentlichkeit noch mehr zu verdummen". Sontag fragte nach der Verantwortung der USA für die Attentate. Ihrer Meinung nach waren die Attentate ein "Angriff, der als Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der Vereinigten Staaten unternommen wurde". Das Adjektiv "feige" solle "besser auf jene angewandt werden, die Vergeltungsschläge aus dem Himmel ausführen, und nicht auf jene, die bereit sind, selbst zu sterben, um andere zu töten". Damit sprach Sontag direkt die USA an, die "immer noch Bomben auf den Irak werfen".
Sontags sachlich vorgebrachte Kritik stieß jedoch auf wenig Verständnis bei ihren Landsleuten, ihr Artikel löste einen Sturm der Entrüstung aus: Die Reaktionen hätten bis hin zu Morddrohungen gereicht, berichtete Sontag später.
Anti-Amerikanische Gründe für den "deutschen Weg"?
Der Vorwurf des Anti-Amerikanismus trifft auch die europäischen Verbündeten. Beispiel Deutschland: Als Bundeskanzler Gerhard Schröder vor wenigen Wochen klarstellte, unter seiner Führung werde es keine deutsche Beteiligung an einem Militärschlag gegen den Irak geben, musste er sich des Anti-Amerikanismus-Verdachtes erwehren. Die Berliner Zeitung "B.Z." etwa sprach der Regierung mehrfach jede Sachlichkeit ab: "Aus Angst vor dem drohenden Machtverlust" setze Rot-Grün "jetzt auf die Karte des Anti-Amerikanismus", schrieb das Blatt.
Offener Protest in der arabischen Welt
Eindeutiger scheint der Fall in der arabischen Welt gelagert zu sein. Palästinenser in Flüchtlingslagern und Ägypter auf den Straßen Kairos, die die Attentate vom 11. September feierten, erscheinen wie Anti-Amerikanismus in Reinkultur. Möglicherweise gibt es aber rationale Erklärungen jenseits des religiös motivierten Fanatismus für diese menschenverachtendenden Reaktionen auf den Mord an Tausenden unschuldiger Menschen.
So argumentiert zum Beispiel der Demokrat Al Gore, der Bush 2000 denkbar knapp unterlag. Er nannte Hunger, Armut und Unterdrückung als Gründe für anti-amerikanische Ressentiments in der arabischen Welt.
Diese macht die USA für die finanziellen und sozialen Missstände verantwortlich. Zudem beäugen die arabischen Länder die aus ihrer Sicht pro-israelische US-Politik mit Misstrauen. Die Weigerung der Vereinigten Staaten, Palästinenser-Führer Jassir Arafat weiterhin als Verhandlungspartner zu akzeptieren, verstärkt diesen Argwohn.
Die Politik der USA in der Golfregion liefert ebenfalls Zündstoff für Anti-Amerikanismus. In Saudi-Arabien zum Beispiel unterstützen die USA seit Jahren die Herrscherfamilie Saud finanziell und militärisch. Die Ölpreise bewegen sich auf einem entsprechend moderaten Niveau. Dies geht zu Lasten der Bevölkerung: Während das Haus Saud einen luxuriösen Lebensstil pflegt, verarmt ein zunehmend größerer Teil des Volkes. Aus seinen Reihen rekrutiert die erstarkende anti-westliche islamistische Opposition ihre Anhänger.
Gefahrenquelle Anti-Amerikanismus
Angesichts der wachsenden anti-amerikanischen Stimmung, besonders in der arabischen Welt, haben die USA allen Anlass, nach Gründen für den Hass zu suchen. Der zunehmende Anti-Amerikanismus könnte nicht nur die arabischen Staaten weiterhin destabilisieren, sondern in letzter Konsequenz auch die Vereinigten Staaten treffen.
Nicole Diekmann, tagesschau.de