Nach den Anschlägen Eine Bestandsaufnahme

Stand: 30.08.2007 11:52 Uhr

"Die Welt wird nicht mehr die sein, die sie einmal war" war nach den Anschlägen in New York und Washington überall zu hören. Im Nachhinein erscheint der plakative Satz visionär, denn tatsächlich hat sich das Gesicht der Welt in vielerlei Hinsicht grundlegend verändert.

Der 11. September wirft lange Schatten. Noch heute - ein Jahr nach den Terroranschlägen in New York und Washington - sind die Bilder der zusammenstürzenden "Twin Towers" in New York präsent.

Rückblende: Der Ablauf der Ereignisse

Am Morgen des 11. September bringen Terroristen vier Flugzeuge der Gesellschaft "America Airlines" in ihre Gewalt. Als die erste Maschine in den Nordturm des World Trade Center rast, glaubt man noch an einen Unfall. Dann jedoch überschlagen sich die Ereignisse: Eine weitere Boeing 767 trifft wenige Minuten später den zweiten Turm, ein drittes Flugzeug das Verteidigungsministerium in Washington. Eine vierte entführte Maschine wird - wohl dank des mutigen Einschreitens von Passagieren - nahe Pittsburgh zum Absturz gebracht.

Als rund eine Stunde später zuerst der Südturm, dann der Nordturm des World Trade Center in sich zusammenstürzen, gehen die Behörden bereits von einem Terroranschlag aus. Die Zwillingstürme reißen – wie man heute weiß - fast 3000 Menschen in den Tod. Zu so früher Stunde war nur ein kleiner Teil der Büros belegt. 50.000 Menschen hätten in dem Gebäude gearbeitet, wäre es voll besetzt gewesen. Die Behörden halten sich zurück, geben keine Schätzung der möglichen Opferzahlen heraus. Doch New Yorks damaliger Bürgermeister Rudolph Giuliani - permanent auf den Straßen der Stadt im Einsatz - bringt die Befürchtungen auf den Punkt, als er sagt: "Es werden mehr sein, als wir ertragen können".

US-Präsident George W. Bush verlässt aus sicherheitspolitischen Erwägungen nur wenig später Florida mit unbekanntem Ziel. Erst am Abend tritt er in Washington vor die Presse und kündigt die "gnadenlose Verfolgung" der Täter an. Wenig später haben die US-Ermittlungsbehörden den radikal-islamistischen Terroristen Osama Bin Laden und sein Terrornetzwerk Al Kaida als Verantwortliche für die Anschläge ausgemacht.

"Die Welt wird nicht mehr die sein, die sie einmal war"

Weltweit verfolgen die Menschen fassungslos die Ereignisse an den Bildschirmen. Schock, Entsetzen und Trauer sind auch in Deutschland die vorherrschenden Reaktionen bei den Politikern, die kurz nach der Katastrophe vor die Kameras treten. Die Welt, so die nahezu einhellige Meinung, wird nach den Anschlägen nicht mehr die sein, die sie einmal war. Politiker in aller Welt versichern den USA ihre Solidarität – eine hilflos anmutende Geste angesichts der Katastrophe.

Ein Jahr nach den Anschlägen hat sich das Gesicht der Welt tatsächlich verändert, sind die Auswirkungen des 11. September nach wie vor spürbar. Zwar ist das Taliban-Regime in Afghanistan gestürzt, die USA jedoch führen weiter einen Krieg gegen den Terrorismus, dessen Ende nicht abzusehen ist. Die Innere Sicherheit wurde einmal mehr zum Top-Thema der Innenpolitik. Scharfe Gesetze zur Stärkung der Sicherheit - an die vor dem 11. September wohl nicht zu denken gewesen wäre - passieren die Parlamente der westlichen Staaten, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen.

Irak-Offensive erschüttert Gleichgewicht

Auch die internationale Politik ist weit davon entfernt, zum Alltagsgeschäft zurückzukehren. Vorbei sind die Zeiten der "uneingeschränkten Solidarität" mit den Vereinigten Staaten, zumindest einige Verbündete kritisieren den "Unilateralismus" Washingtons. Die USA indes führen allen Mahnungen zum Trotz den Krieg gegen den Terror weiter, ein Ende ist nicht abzusehen. Die Warnungen aus Europa - und vor allem aus Deutschland - vor einem Angriff auf den Irak sorgen zwar für heftige Verwerfungen im transatlantischen Verhältnis, scheinen aber in Washington nicht gehört zu werden.

Hierzulande wird ein Militärschlag gegen den Irak eifrig diskutiert. Zwar sprachen sich sowohl SPD als auch Union dagegen aus, das Thema für den Wahlkampf zu nutzen, doch derzeit kommt keine Partei am Irak vorbei. Zu verunsichert sind die Menschen ob einer US-Offensive gegen das Regime in Bagdad und den Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten. Diese nämlich scheinen nicht absehbar. Eine Verunsicherung, die auch in den USA zunimmt. Wurde die Politik der Bush-Regierung in den ersten Wochen und Monaten nach den Anschlägen noch von einer Welle der Zustimmung getragen, schauen nun wieder viele US-Bürger skeptisch nach Washington. Wer nach Saddam Hussein kommen soll, ist derzeit ebensowenig klar wie die außenpolitischen Folgen, sollten die USA tatsächlich im Alleingang und ohne UN-Mandat den Irak angreifen.

Gratwanderung für die Arabische Welt

Die Drohungen aus Washington verlangen dem prowestlichen Teil der arabischen Welt einen Spagat ab. Einerseits kann sich keiner dieser Staaten der von den USA ins Leben gerufenen Anti-Terror-Koalition entziehen, ohne selbst unter Terrorismus-Verdacht zu geraten. Andererseits stehen sie unter massivem innenpolitischen Druck. Der Krieg in Afghanistan, die Angriffspläne der USA und deren Status als Schutzmacht Israels schüren auf den Straßen von Kairo bis Riad den Anti-Amerikanismus und stärken die fundamentalistischen Kräfte in diesen Ländern. Immer wieder warnen daher Staaten wir Saudi-Arabien oder Jordanien vor einem Angriff auf den Irak. Gehör scheinen Sie in Washington allerdings nicht zu finden.

Was übrigbleibt: "United We Stand"

Und in New York selbst? Aus dem Ort, an dem die Zwillingstürme in den Himmel ragten, ist eine Baugrube geworden – eine Lücke in der geschlossenen Skyline Manhattans. Fast zehn Monate lang waren auf "Ground Zero" pausenlos Helfer im Einsatz, suchten in den Trümmern nach Spuren von Opfern, trugen rund 1,8 Millionen Tonnen Schutt und Sand ab. Mitte Juli schließlich wurden die Arbeiten endgültig eingestellt – mit einer kurzen Gedenkfeier auf der Sonderdeponie "Fresh Kills". Über 1000 Mitarbeiter hatten in den dort abgeladenen Trümmern nach Leichenteilen und persönlichen Gegenständen der Opfer gesucht. Oft vergeblich, denn viele werden nie identifiziert werden können.

Jetzt streiten die New Yorker, wie "Ground Zero" wiederbebaut werden soll. Ob nun aber das World Trade Center in seiner ursprünglichen Form wieder errichtet oder das Gelände zu einer Stätte der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer wird, eines ist sicher: Der 11. September ist zu einem Symbol sowohl einer verunsicherten Nation, aber auch einer Gesellschaft geworden, die einmal mehr ihre oft beschworene Einigkeit demonstriert hat. "United We Stand"  - "Wir halten zusammen" - lautete die Parole nach den Anschlägen, und gemeinsam – so die Wahrnehmung vieler New Yorker – beginnt man, eine Form des Umgangs mit der Katastrophe zu finden.

Jan Oltmanns, tagesschau.de