Der Blick des Westens auf den Islam 'Kampf der Kulturen''?

Stand: 30.08.2007 12:47 Uhr

Nach den Anschlägen haben Politiker vor einem "Kampf der Kulturen" gewarnt. Dennoch nahmen die Übergriffe auf Muslime zu. Ursache dafür ist unter anderem ein undifferenziertes Islam-Bild, das nach dem 11. September auch von Teilen der Medien und Politik vermittelt wurde.

Die umstrittene Behauptung vom "Kampf der Kulturen", der unvermeidbaren und fundamentalen Konfrontation zwischen der westlichen und der islamischen Welt, hatte nach den Anschlägen von New York und Washington Hochkonjunktur. Zwar warnten Politiker davor, den Konflikt zwischen wenigen islamischen Terroristen und westlichen Demokratien derart zu vereinfachen und so den Attentätern und ihren Absichten in die Hand zu spielen. Den zahlreichen Appellen an die Bevölkerung, sich in Toleranz gegenüber Menschen arabischer Herkunft zu üben, steht jedoch eine wachsende Zahl von Übergriffen auf Muslime gegenüber.

Dieses Aufleben von Ressentiments ist aus Sicht von Experten auf eine geringe Kenntnis der islamischen Kultur in der westlichen Öffentlichkeit zurückzuführen. Schon vor den Attentaten bemängelten sie das oft diffuse Islam-Bild: Die Grundlagen und Vielfältigkeit der Religion seien kaum bekannt, die arabischen Staaten würden trotz ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtungen und Stellung zur westlichen Welt oft über einen Kamm geschoren, so die Kritik.

Scharfe Kritik an US-Medien

Die kurz nach den Anschlägen ausgestrahlten Fernsehbilder von Palästinensern, die auf den Straßen von Hebron und Gaza die Attentäter als Märtyrer feierten, taten das ihre, um ein simples Bild des Islam zu zeichnen. Sie warfen zugleich die Frage nach der Verantwortung der Medien auf. Denn Differenzierungen, wie die Frage nach dem Anteil dieser Befürworter des Terrors an der Gesamtheit der Araber, fanden zumindest in den USA kaum statt. Diese Art der Berichterstattung stieß vor allem in islamischen Staaten auf scharfe Kritik.

Der Chefredakteur der staatstreuen ägyptischen Zeitung "al-Ahram", Ibrahim Nafia, sah die arabische Welt dermaßen hart angegriffen, dass er die Politik seines Landes in einem Artikel mit dem Titel "Was will die Washington Post?" scharf verteidigte. Das US-Blatt lege jede Kritik an Washington als feindlichen Akt gegen den Westen aus. "Doch Ägypten lässt sich nicht von den amerikanischen Medien erpressen oder bedrohen", so Nafia. Noch weiter ging der syrische Informationsminister Adnan Umran: Auf einem Treffen der Arabischen Liga bezeichnete er die westliche Berichterstattung als eine "Kampagne gegen alle Muslime".

US-Medien auf Patriotismus geschaltet

Umrans Kritik mag überzogen und politisch motiviert sein. Unstrittig ist aber, dass weite Teile der US-Medien nach den Anschlägen auf eine pro-amerikanische und anti-islamische Berichterstattung umschwenkten. Dies traf mitunter selbst auf Zeitungen zu, die sonst für ihre differenzierte und kritische Haltung bekannt sind. In der renommierten "New York Times" etwa verlangte der prominente Kolumnist William Safire eine pro-amerikanische Berichterstattung: Als der von der Regierung finanzierte Radiosender "Voice of America" (VoA) einen "wichtigen Führer der größten islamistischen Gruppierung in Ägypten" interviewte, aber nicht erwähnte, dass dieser unter dem Verdacht stand, für ein Massaker an 58 ausländischen Touristen verantwortlich zu sein, forderte Safire scharf: "Aus Steuergeldern finanzierte Sender sollten auf Seiten Amerikas stehen."

Nicht nur patriotisch, sondern aggressiv gaben sich manche Kollegen Safires. Nachdem die US-Regierung Saudi-Arabien kritisiert hatte, weil 15 der 19 Selbstmordattentäter saudi-arabische Staatsbürger waren, erschien im Oktober 2001 in der "Los Angeles Times" ein Artikel mit der Überschrift "Sie sind reich, verwöhnt, und sie unterstützen den Terrorismus". Der Autor empfahl der Regierung die Bombardierung des Landes, denn die "Saudiaraber" und ihre bessere Gesellschaft hätten die Taliban und das Terrornetzwerk Al Kaida erst geschaffen und gefördert. Belege für diese Vorwürfe lieferte der Artikel nicht.

Außenpolitische Berichterstattung im Hintergrund

Zumeist blieb eine solche Berichterstattung in den USA unwidersprochen. Zurückzuführen ist dies aber nicht nur auf die Woge des Patriotismus, die das Land nach den Anschlägen erfasste. Selbstkritisch konstatieren die renommierten Medienzeitschriften "American Journalism Review" und "Columbia Journalism Review" übereinstimmend eine geringe Kenntnis außenpolitischer Zusammenhänge in der Bevölkerung, denn die US-Medien haben ihre internationale Berichterstattung in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt. Hintergrundwissen, das Differenzierungen zuließe, ist somit kaum noch vorhanden.

Derlei undifferenzierte Berichterstattung ließ sich nach den Anschlägen jedoch nicht nur in den USA beobachten. Hierzulande blieb die Mehrheit der Journalisten in ihren Äußerungen zwar vorsichtiger, dennoch: Der Springer-Verlag etwa verankerte die Solidarität mit den Vereinigten Staaten in seinen Verlagsstatuten – verstößt ein Redakteur gegen diese Richtlinie, ist das ein Grund für eine fristlose Kündigung. Die "Bild"-Zeitung forderte gar ein TV-Verbot für Ulrich Wickert, nachdem der sich kritisch über US-Präsident George Bush geäußert hatte. Zugleich schrieb Deutschlands auflagenstärkste Zeitung wochenlang über die "Angst vor dem Islam" und steckte so die Fronten in dem Konflikt deutlich ab.

Politik zwischen "Kreuzzug" und "Kriegserklärung an die zivilisierte Welt"

Auch Pauschalisierungen in der Politik stützten zunächst das Bild eines aggressiven Islam: Einen "Kreuzzug" nannte US-Präsident George W. Bush in den ersten Tagen nach den Anschlägen den bevorstehenden "Krieg gegen den Terror" und brüskierte damit die Muslime in der ganzen Welt. Zwar warnte Bush auch öffentlich vor Übergriffen auf Muslime, provozierte die islamische Welt aber erneut, als er neben Nordkorea Iran und den Irak als Teil einer "Achse des Bösen" ausmachte.

In Europa blieben die Reaktionen besonnener. Kanzler Schröder etwa bezeichnete die Terrorakte als eine "Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt" und rief zugleich zu einem toleranten Umgang mit arabischen Mitbürgern auf. Ein Aufruf, dem sich Politiker aller Parteien anschlossen. Ähnlich äußerte sich Frankreichs Präsident Jacques Chirac in einer Rede an die Nation. Großbritanniens Premierminister Tony Blair verurteilte alle Übergriffe auf Muslime als "verabscheuungswürdig" und rassistisch.

Stigmatisierung findet statt

Dennoch: Die medialen und politischen Vereinfachungen riefen offensichtlich in Teilen der Bevölkerung alte Ressentiments wach oder ließen neue entstehen. In den USA, Großbritannien und Deutschland etwa war nach den Anschlägen ein Anstieg der Übergriffe gegen Muslime zu verzeichnen.

Die Vereinten Nationen beobachten seit den Anschlägen vom 11. September eine weltweite Zunahme von Rassismus und rassistischer Diskriminierung auch von Muslimen und Arabern. Zurückzuführen ist dies nach Ansicht der Kommission neben einem Erstarken rechter Regierungen auf die Anschläge in New York und Washington.

Auf der politischen Weltbühne ist der "Kampf der Kulturen" bislang ausgeblieben, denn die Mehrheit der islamischen Staaten stellte sich – mehr oder weniger notgedrungen – an die Seite der USA. Der mit der Kampagne gegen den Terror einhergehende Argwohn gegen Araber aber könnte die Konfrontation tief ins Innere auch der Staaten tragen, die sich um die Verhinderung einer globalen Krise bemühen.

Nicole Diekmann, tagesschau.de