Kommentar zum EU-Gipfel Ein echtes Drama mit Heldin und tragischer Figur
Von Peter Heilbrunner, ARD-Hörfunkstudio Brüssel
Im jüngsten Drama von Brüssel fehlte es wirklich an nichts: Der Gipfel bewegte sich ständig zwischen totalen Triumph und grandiosem Scheitern. Mit Angela Merkel hatte das Spitzentreffen eine echte Heldin, mit dem polnischen Präsidenten Lech Kaczynski irgendwie auch eine tragische Figur; ferngesteuert von seinem Zwillingsbruder Jaruslaw in Warschau musste er eine eigentlich unmögliche Mission zu Ende führen: Polens heutiges Stimmgewicht in der 27er-Gemeinschaft zu sichern. Das hat zumindest auf dem Papier geklappt – die bisherigen Regeln werden bis 2014 fortgeschrieben, während der Rest des Reformvertrages bereits im übernächsten Jahr in Kraft treten soll. In der Praxis wird es darauf nicht allzu sehr ankommen, schließlich heißt das Motto der EU: Lieber Kompromisssuche im Vorfeld statt Kampfabstimmung in der Ministerrunde. Doch mal abgesehen von den praktischen Auswirkungen: Das Verhalten der Polen war unerträglich.
Als es in Brüssel mit dem Präsidenten schon nach Einigung aussah, meldete sich der Regierungschef zu Hause zu Wort und drohte erneut mit einem Veto. Ein Vorgehen ohne Beispiel in Europa. Angela Merkel hat richtig reagiert in diesem Moment und nicht gezögert, Warschau die rote Karte zu zeigen. Während andere in hektischer Krisendiplomatie nach einer Lösung suchten. Vor allem aber hat die Auseinandersetzung eines gezeigt: Wie notwendig es ist, die Blockademöglichkeiten einzuschränken – genau wie es diese Vertrags-Reform vorsieht.
Weg frei für die Rundumerneuerung
Trotz des ganzen Verhandlungs-Pokers mit Polen darf man eines nicht übersehen: Weil sich die Staats- und Regierungschefs in Brüssel geeinigt haben, wird der Weg frei für eine Rundumerneuerung der EU. Mehr Rechte für das Parlament, ein eigener Außenminister für die Union, der – kleines Manko – nur nicht so heißen darf, eine engere Zusammenarbeit in noch mehr Politikbereichen. Unterm Strich also haben die Gipfelteilnehmer das meiste von dem übernommen, was schon in der Verfassung stand.
Dass der Text nun noch sperriger geworden ist als es der frühere Entwurf bereits war, ist nicht wirklich wichtig. Was zählt, ist das Ergebnis: Die EU wird handlungsfähiger, hat wieder Zeit für die Lösung wirklicher Probleme und beendet ihre zwei Jahre dauerende Nabelschau. Nur zur Erinnerung: Noch im vergangenen Sommer hielten es fast alle für unmöglich, die Krise um den Reformvertrag zu lösen.
Merkel ist ihren Weg unbeirrt gegangen
Dass dies nun gelungen ist, das allein ist schon ein Erfolg für Angela Merkel. Sie hat die Chance beherzt ergriffen, die sich ihr darbot anlässlich der Feierlichkeiten zum 50.Geburtstag der Römischen Verträge. Während der Feiern in Berlin hat die Bundeskanzlerin ihre Gäste auf eine Modernisierung der EU verpflichtet – und am Ende kamen sie aus dieser Verpflichtung nicht mehr raus. Im März hat die deutsche Kanzlerin den Grundstein gelegt für ihren Erfolg heute – unbeirrt ist sie diesen Weg weitergegangen bis heute früh um fünf Uhr.
Es ist ein historischer Tag für die EU, das kann man ohne Übertreibung sagen. Die Gemeinschaft hat sich fit gemacht für das neue Jahrhundert, aber auch für ihre weitere Ausdehnung: Kroatien und weitere Balkanstaaten warten schon. Nur eine Chance haben die 27 in den vergangenen Tagen vergeben: Ihrer Einigung etwas Glanz zu verleihen – stattdessen dominierte einmal mehr der gipfelübliche Zank.