Zum Streit zwischen der EU und Russland "Polnisches Fleisch ist kein Kernproblem der Weltpolitik"
Die Beziehungen zwischen der EU und Russland sind zurzeit so schlecht wie selten zuvor. Aber die Probleme, so Experte Klaus Segbers im tagesschau.de-Interview, lägen nicht zwischen Europäern und Russland, sondern innerhalb der EU. Und da besonders bei den osteuropäischen Staaten.
tagesschau.de: Selten waren die Beziehungen zwischen der EU und Russland so angespannt wie zurzeit. Dabei fällt auf, dass es besonders zwischen ehemaligen Sowjetrepubliken und Satellitenstaaten einerseits und Russland andererseits immer wieder zu Konflikten kommt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Klaus Segbers: Beide Seiten sind immer noch sehr empfindlich. In Russland fühlt man sich getäuscht. Man hat den Verdacht, dass frühere Zusagen westlicher Länder - zum Beispiel über das Nichtvorrücken der Nato nach Osten - nicht eingehalten wurden. Einige osteuropäische Länder sind ihrerseits besorgt, dass Russland zum Beispiel über die Energiepolitik in ihre Politik hineinzuregieren versucht. Außerdem ist es nach wie vor so, dass in vielen Ländern des früheren Ostblocks eine gewisse antirussische Haltung innenpolitischen Konsens stiftet.
"Der Streit findet innerhalb der EU statt"
tagesschau.de: Die angespannten Beziehungen zwischen Russland und den Ex-Sowjetrepubliken bzw. Satellitenstaaten sind also eher ein psychologisches Problem?
Segbers: Psychologie spielt eine große Rolle, aber es gibt natürlich auch Sachprobleme. Nur, bei diesen Sachproblemen handelt es sich nicht - wie oft berichtet wird - in erster Linie um Konflikte zwischen der EU und Russland, sondern um Probleme innerhalb der EU. Das betrifft die Energiepolitik und auch die Frage des Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien. Der Streit darüber findet innerhalb der EU statt und nicht zwischen der EU und Russland. Die EU muss sich einigen, dann erhöhen sich auch die Chancen, ihre Ziele gegenüber Russland durchzusetzen.
tagesschau.de: Ist denn der Eindruck richtig, dass der Streit, von dem Sie sprechen, in erster Linie zwischen alten und neuen EU-Staaten stattfindet?
Segbers: Es gibt den Trend, dass die Länder in Ost- und Mitteleuropa häufig amerikafreundliche Positionen beziehen. Die Regierungen Polens und Tschechiens bieten sich den USA gerne als Verbündete an, zum Beispiel in Fragen der Sicherheitspolitik. Aber man muss auch sehen, dass es in Ost-Mittel-Europa Staaten gibt, die anders verfahren. Großbritannien, das bekanntermaßen in Westeuropa liegt, verfolgt ja traditionell eine pro-amerikanische Politik.
Klaus Segbers, Jahrgang 1954, ist Professor für Politikwissenschaft und Osteuropapolitik an der Freien Universität Berlin. Als Gastdozent ist er unter anderem an den Universitäten Stanford, Harvard und Oxford tätig.
tagesschau.de: Könnte das problematische Verhältnis vieler osteuropäischer EU-Staaten zu Russland dazu führen, dass die EU in Richtung Osten außenpolitisch gelähmt wird?
Segbers: Es ist in erster Linie ein strukurelles Problem: 27 EU-Staaten - und jedes Land kann außenpolitisch sein Veto einlegen. Hätten wir in der EU eine andere Form der Entscheidungsfindung, dann könnte nicht jedes einzelne Land aus irgendeiner Befindlichkeit heraus den ganzen Geleitzug blockieren. Dann würden wir nicht alle gebannt auf das polnische Fleisch schauen, das nicht nach Russland exportiert werden darf, was - offen gesagt - kein Kernproblem der Weltpolitik ist.
"Außerodentlich grobschlächtige Diplomatie"
tagesschau.de: Liegt es denn nur an den Unstimmigkeiten in der EU? Welche Fehler machen die Russen?
Segbers: Alles was im Moment in der russischen Außenpolitik geschieht, muss man vor dem Hintergrund der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sehen. Die Frage, wer Putin nachfolgt, ist ungeklärt - das ist ein massiver Unsicherheitsfaktor in der russischen Politik, nach innen und nach außen. Ein zweiter Punkt ist, dass die Russen - milde gesagt - keine besonders geschickte Diplomatie betreiben. Das heißt, sie inszenieren sachlich durchaus begründbare Entscheidungen - wie die Erhöhung von Energiepreisen für Ost-Mitteleuropa - auf eine Weise, die außerordentlich grobschlächtig wirkt.
tagesschau.de: Haben die USA ein Interesse, die Skepsis der osteuropäischen Staaten anzuheizen und dadurch die Beziehungen zwischen der EU und Russland zu stören?
Segbers: Man liegt zumindest nicht falsch, wenn man darauf hinweist, dass die jetzige US-Regierung sehr stark auf bilaterale Vereinbarungen setzt. Das heißt, wenn die USA ein Interesse haben, etwa die Raketenabwehr zu verbessern, dann versuchen sie, das bilateral zu klären, also mit möglichen Partnerregierungen, in gewissem Sinne wieder eine "Allianz der Willigen" zu schaffen, anstatt das Ganze im Nato-Rahmen anzusprechen. Um nicht auseinanderdividiert zu werden, müsste sich Europa also zunächst einigen und seine Interessen definieren, sowohl gegenüber Russland als auch gegenüber den USA.
Keine Neuauflage des Kalten Krieges
tagesschau.de: Vor dem Hintergrund der gespannten Beziehungen zwischen den USA und Russland ist wieder von einer Neuauflage des Kalten Krieges die Rede. Sehen Sie das auch so?
Segbers: Nein. Die damalige Konstellation - also ein großer Westblock und ein großer Ostblock - ist heute nicht mehr gegeben. Außerdem haben Ost und West - trotz der Debatten - immer noch einen größeren Vorrat an Gemeinsamkeiten als an Differenzen. Man braucht sich gegenseitig in vielen Bereichen: beim so genannten Kampf gegen den Terror, bei der Kontrolle der Nuklearentwickung in Iran oder in der Afghanistan-Frage.
Die Fragen stellte Sabine Klein, tagesschau.de