Interview

Interview zu UN-Generalsekretär Annan "Unabhängig mit großem Charisma"

Stand: 18.08.2018 12:46 Uhr

Zehn Jahre stand Kofi Annan an der Spitze der Uno. In dieser Zeit musste er in schweren internationale Krisen vermitteln, die Reform der Uno vorantreiben und sich zugleich schwerer Vorwürfe erwehren. Wie also sieht die Bilanz des gebürtigen Ghanaers aus? tagesschau.de sprach darüber mit dem ehemaligen deutschen UN-Botschafter Gunter Pleuger.

tagesschau.de: Als Kofi Annan 1997 sein Amt als UN-Generalsekretärs antrat, ging ihm der Ruf eines Reformers voraus. Ist er diesen Erwartungen gerecht geworden?

Gunter Pleuger: Kofi Annan hat mehr als alle seine Vorgänger für eine Runderneuerung der Vereinten Nationen getan. Insbesondere in seiner zweiten Amtsperiode hat er über seine Reformkommission über 101 Vorschläge vorgelegt, um die Uno für die neuen Bedrohungen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts fit zu machen. Davon ist bislang relativ wenig umgesetzt worden, aber das wird das Erbe Annans sein: diese Runderneuerung der Vereinten Nationen zu vollenden.

tagesschau.de: Zu den dunkelsten Stunden von Annans Amtszeit zählten wohl 1999 die Nato-Angriffe auf das damalige Jugoslawien sowie der Irak-Krieg. Beides war nicht durch ein UN-Mandat gedeckt. Ist die internationale Bereitschaft, bei der Friedenssicherung auf die Uno zu bauen, im vergangenen Jahrzehnt schwächer geworden?

Pleuger: Im Kosovo-Krieg stand die internationale Staatengemeinschaft vor der Situation, entweder wegen eines von Russland im Sicherheitsrat angedrohten Vetos mit anzusehen, wie tausende ermordet und hunderttausende von Menschen vertrieben werden oder aber ihre Verantwortung wahrzunehmen, diese Menschen zu beschützen. Die Diskussion nach der Kosovo-Intervention hat aber dazu geführt, dass die Staatengemeinschaft auf dem Gipfel zum 60-jährigen Jubiläum der Uno in der Abschlusserklärung das Prinzip akzeptiert hat, dass es eine Verantwortung der Staaten und Staatengemeinschaft gibt, Bürger zu schützen.

tagesschau.de: Noch deutlicher war die Ablehnung des Irak-Kriegs durch die Uno.

Pleuger: 2003 hat der Sicherheitsrat klar entschieden: Er will diesen Krieg nicht. Eine von den USA vorbereitete Resolution ist im Rat nicht zur Abstimmung gestellt worden, weil eine deutliche Mehrheit gegen diese Resolution war. Der Krieg hat sich also außerhalb der Uno vollzogen, und das hat die Vereinten Nationen in eine tiefe Krise gestürzt. Inzwischen haben aber alle festgestellt, dass wir die Uno als einziges globales multilaterales Instrument brauchen. Auch in Washington macht sich diese Erkenntnis zunehmend breit, was man etwa an dem Bericht der Baker-Kommission zum Irak-Krieg sehen kann.

"Große moralische Macht"

tagesschau.de: Annan galt anfänglich als Favorit der USA, am Ende wohl kaum noch. Was kann ein UN-Generalsekretär erreichen, wenn das Verhältnis zur letzten Supermacht zerrüttet ist?

Pleuger: Das ist natürlich ein Problem. Aber die Vereinten Nationen sind keine Weltregierung, sondern eine stehende Konferenz der Mitgliedsstaaten. Der Generalsekretär hat keinen eigenen Dollar und keine eigenen Soldaten. Er kann nur das machen, was die Mitglieder ihm erlauben. Die politischen Entscheidungen werden mit Mehrheitsentschluss in den Gremien gefasst. Ich glaube, Kofi Annan hat vor allem durch seine ungeheure Ausstrahlung von Integrität gewirkt , die ihm eine große moralische Macht verliehen hat, und durch sein stetes Bemühen um Menschenrechte und Vermittlung in Konflikten. Die Voraussage von US-Präsident George W. Bush, dass die Vereinten Nationen in der Bedeutungslosigkeit versinken würden, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil - die Uno ist wieder da. Das gilt für viele Konflikte, wie etwa das iranische Atomprogramm, wie etwa Nordkoreas nukleare Experimente. Die Uno hat im Kongo erfolgreich die Wahlen beschützt, sie ist im Libanon und will Friedenstruppen in den Sudan schicken.

tagesschau.de: Gleichwohl hat es ja seitens USA auch Versuche gegeben, gerade Annans moralische Integrität im Zuge des Oil-for-food-Skandals in Zweifel zu ziehen.

Pleuger: Das hat Kofi sehr mitgenommen. Diese Kampagne hat ihn so geschwächt, dass er darüber krank geworden ist. Er hat sich aber gefangen und es dabei verstanden, von allen unabhängig zu bleiben und seine Integrität zu bewahren. Er hat keinem Druck nachgegeben. Diese Haltung hat ihm unter den übrigen Mitgliedsstaaten eine Unterstützung und Solidarität verschafft, wie sie kein Generalsekretär vor ihm gehabt hat. Ich erinnere mich an einen Auftritt Annans Ende 2004, als er seinen Reformbericht vorlegte. Zu dieser Zeit stand er massiv in der Kritik, Rücktrittsforderungen waren laut geworden. Zu diesem Termin erschienen fast alle UN-Botschafter, was ungewöhnlich war. Sie spendeten Annan sechs Minuten lang stehende Ovationen – nicht für seinen Bericht, sondern als Ausdruck der Solidarisierung mit ihm. Das war eine klare Demonstration.

"Freundlichkeit und Sympathie"

tagesschau.de: Sie hatten viele Begegnungen mit Annan. Was ist ihnen als eindrücklich in Erinnerung geblieben?

Pleuger: Annan ist ein Mann von großem Charisma, der seine Gesprächspartner durch Freundlichkeit und Sympathie sofort gewinnt. Er hat auch bei allen Schwierigkeiten seinen Humor nicht verloren. Als er kürzlich von seinem Abschiedsessen bei Präsident Bush und UN-Botschafter John Bolton zurückkam, wurde er gefragt, ob man bei Tisch den Friedensgesang Kumbaya angestimmt habe. Annan antwortete, das habe man nicht - und er bezweifle auch, dass Bolton die Melodie kennt (lacht). Ich habe mit Annan sehr eng zusammengearbeitet. Annan war sehr an Deutschland interessiert. Ich glaube, es gibt kaum ein anderes Land, dass er öfter besucht hat. Er hat hier nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft großes Ansehen. Ich begleitete ihn einmal zu einer Rede nach Tübingen. Fünf Hörsäle waren gepackt voll mit Menschen, die von seiner Rede berührt und begeistert waren.

Schwierige Aufgaben für den Nachfolger

tagesschau.de: Nachfolger Ban Ki-Moon tritt also ein schweres Erbe an. Was sollte er anders machen als Annan?

Pleuger: Nicht jeder neue Generalsekretär sollte alles anders machen als sein Vorgänger – das gilt auch für andere Berufe. Ban Ki-Moon wird die Reformdiskussion wiederbeleben müssen, die zur Zeit etwas ruht. Er hat die große Aufgabe, die notwendige Solidarität der Mitgliedsstaaten und das Vertrauen in die UN-Organe so wiederherzustellen, dass die von Annan initiierten Reformen zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden können.

Die Fragen stellte Eckart Aretz, tagesschau.de