Interview

Interview "Die Verunsicherung ist spürbar": Klaus Bednarz im Gespräch

Stand: 27.08.2007 09:58 Uhr

Klaus Bednarz, ehemaliger Moderator des Magazins "Monitor", war ARD-Sonderkorrespondent im Studio New York. tagesschau.de sprach im September 2003 mit ihm über seine persönlichen Eindrücke von Manhattan.

tagesschau.de: Sie waren seit den Anschlägen vor zwei Jahren nicht mehr in New York. Wie hat sich die Stadt verändert?

Klaus Bednarz: Auf den ersten Blick scheint New York zur Normalität zurückgekehrt zu sein. Wenn man allerdings genauer hinschaut, bemerkt man, dass nichts so ist wie vor dem 11. September 2001. Augenfällig wird dies in vielerlei Hinsicht: Da ist zunächst das große Aufgebot an Polizei und Sicherheitskräften in der ganzen Stadt. Auf den Straßen und den U-Bahnhöfen sieht man heute viel mehr Uniformen, als noch vor zwei Jahren. Da ist das strenge Regime in Manhattan: Fast alle Hochhäuser darf man nur noch mit einem speziellen, eigens angefertigten Ausweis betreten, der beim Betreten und Verlassen des Gebäudes kontrolliert wird – das gilt im Übrigen auch für das ARD-Studio in New York. Das sind Veränderungen, die äußerlich bemerkbar sind.

Wenn man noch genauer hinschaut, ist die Verunsicherung der New Yorker auch zwei Jahren nach den Anschlägen spürbar: Zum Beispiel gibt es sehr viele Menschen, die fast automatisch in den Himmel schauen, wenn ein Flugzeug über Manhatten fliegt. Und man trifft noch immer sehr viele, die sagen: "Wir fahren nicht mehr mit der U-Bahn", "Wir gehen nicht mehr in Hochhäuser" oder "Wir bekommen immer ein beklemmendes Gefühl, wenn wir in einen Lift gehen".

Insgesamt hat es den Anschein, dass New York ein wenig weicher geworden und das Zusammengehörigkeitsgefühl gewachsen ist. Man hat das Gefühl, dass die Menschen – unabhängig ihrer Herkunft und sozialen Situation - nach dem 11. September zusammengerückt sind.

tagesschau.de: New York gilt gemeinhin als die weltoffenste Stadt der USA. Sie haben die verschärften Sicherheitsmaßnahmen angesprochen. Ist die Stadt heute der Welt noch so zugewandt wie vor den Anschlägen?

Bednarz: Die Stadt ist nach wie vor weltoffen. Andererseits fühlt sich die Mehrheit der New Yorker, die ich gesprochen habe, auch heute nicht sicher. Sie sind nicht davon überzeugt, dass es keine neuen Terroranschläge geben wird. Im persönlichen Gespräch klingt diese Besorgnis immer wieder an. Es herrscht die Gewissheit, dass es letztlich keinen Schutz gegen neue Terroranschläge gibt. Das bestimmt das Verhalten vieler Menschen in New York.

tagesschau.de: Vor wenigen Wochen kam es zu dem größten Stromausfall in der amerikanischen Geschichte – ganz New York lag im Dunkeln. Wie haben die Menschen reagiert?

Bednarz: Bei dem Stromausfall herrschte natürlich zunächst einmal das blanke Entsetzen. Fast alle dachten an einen neuen Terroranschlag. In dem Moment aber, in dem über die Radios – das war das einzige noch funktionierende Kommunikationsmittel – gemeldet wurde, es handele sich mit Sicherheit um keinen Anschlag, sondern um einen Stromausfall aus technischen Gründen oder aufgrund menschlichen Versagens, haben es die New Yorker sehr gelassen genommen. Sie gingen fast spielerisch mit der Situation um, auf den Straßen herrschte mitunter eine fast ausgelassene Stimmung, obwohl viele Menschen die Innenstadt wegen der gesperrten Tunnel und Brücken nicht mehr verlassen konnten. Aber eines ist trotzdem ganz klar: Die unterschwellige Angst ist in der Stadt immer spürbar.

tagesschau.de: Wie sehen die New Yorker dem Datum 11. September 2003 entgegen?

Bednarz: Natürlich sieht man diesem Jahrestag mit einer gewissen zusätzlichen Besorgnis entgegen. Allerdings haben die Behörden erklärt, dass neue Anschläge zwar möglich sind, es aber weder konkrete Hinweise auf bestimmte Ziele noch auf Personen oder Gruppen gibt, die diese Anschläge verüben könnten. Die Sicherheitsstufe, die für das ganze Land gilt, ist wegen des Jahrestages nicht erhöht worden.

tagesschau.de: Auch in diesem Jahr werden die Gedenkfeierlichkeiten an "Ground Zero", also dem Ort, an dem einst das World Trade Center stand, stattfinden. Wie fühlten Sie sich, als Sie diesen Ort zum ersten Mal besuchten? Und wie gehen die New Yorker mit dem Platz um?

Bednarz: Es ist ein beklemmendes Gefühl. Vielen New Yorker geht das auch immer noch so. Man kann Menschen beobachten, die noch immer nicht gleichgültig an diesem Platz vorbeigehen können, obwohl sie ihn täglich auf dem Weg zur Arbeit sehen. Viele amerikanische und ausländische Touristen stehen erschüttert vor dem Gelände, das jetzt eine riesige Baustelle ist.

Rund um "Ground Zero" haben sich aber auch inzwischen eine ganze Reihe von Andenkenhändlern etabliert, die das World Trade Center als kleine Skulptur, in Acryl gegossen, an die Touristen verkaufen. Im Übrigen spielt auch hier die Politik ihre Rolle: Es werden Fotos von Saddam Hussein verkauft, von dem die Mehrheit der Amerikaner glaubt, dass er ebenfalls hinter den fürchterlichen Anschlägen vom 11. September gestanden hat.

Aber insgesamt herrscht an diesem Platz auch heute noch ein Gefühl der Trauer und der Betroffenheit bei den meisten Menschen, die an dieser Baugrube stehen oder vorbeigehen.

tagesschau.de: Der Architekt Daniel Libeskind hat nun die Pläne für die Neubebauung von "Ground Zero" geliefert. Was halten Sie von dem Entwurf?

Bednarz: Der Entwurf von Daniel Libeskind ist für meinen persönlichen Geschmack sehr kühn und zukunftsweisend. In seiner ursprünglichen Form trägt er zudem der Forderung der Angehörigen Rechnung, bestimmte Teile von "Ground Zero" unbebaut zu lassen. In erster Linie handelt es sich dabei um die Stellen - die Amerikaner nennen sie "Footprints" - auf denen die Fundamente der Türme gestanden haben.

Nun wird allerdings der Libeskind-Entwurf aufgrund von kommerziellen Überlegungen – und auch im Interesse der Stadt New York, die die Infrastruktur Manhattans insgesamt verbessern möchte – modifiziert. Teile der "Footprints", der Fußstapfen der beiden Türme, sollen doch wieder überbaut werden. Dagegen regt sich heftiger Widerstand bei den Angehörigen der Opfer. Das ist aber wohl ein Kampf, der schon heute verloren ist.

In der vergangenen Woche hat Libeskind es auf einer Pressekonferenz noch einmal deutlich gesagt: Sein Entwurf sehe zwar eigentlich vor, dass die Stellen, an denen die Zwillingstürme standen, offen und unbebaut bleiben. Aber, so räumte er ein, er sei lediglich der Architekt und müsse Kompromisse schließen. Es gebe sehr viele andere Interessen. Er sagte wörtlich: "New Yorker Baugrund ist der begehrteste der Welt".

Das Gespräch führte Jan Oltmanns, tagesschau.de