Sudan "Größte Katastrophe der Welt"

Stand: 20.12.2018 14:41 Uhr

Der ehemalige UN-Sondergesandte in Sudan, der frühere deutsche Innenminister Gerhard Baum, bezeichnet die Lage in der westsudanesischen Krisenregion Darfur als die "größte humanitäre Katastrophe der Welt". Wenn die internationale Gemeinschaft nicht einschreite und sich Sudan besinne, dann werde das Land "auseinanderknallen", so Baum.

tagesschau.de: Die UNO hat in ihrem jüngsten Bericht zur Menschenrechtslage in Darfur "massive und grausame Menschenrechtsverletzungen" festgestellt. Wie beurteilen Sie die Lage dort?

Gerhard Baum: Es sind eine Million Menschen auf der Flucht. Frauen werden systematisch vergewaltigt. Die Zivilbevölkerung wird bombardiert. Genug, um dort von ethnischen Säuberungen zu sprechen - und von der größten humanitären Katastrophe, die zurzeit auf der Welt besteht, ohne dass bisher wirklich durchgreifend Abhilfe erfolgt ist.

tagesschau.de: Die UN-Menschenrechtskommission hätte Ende April die Chance gehabt, die sudanesische Regierung mit einer Resolution formell zu verurteilen. Das ist nicht geschehen, unter anderem weil die Europäische Union eingeknickt ist. Warum?

Baum: Für eine Resolution gab es keine Mehrheit. In der UN-Kommission sind leider die Staaten in der Mehrheit, die nicht unbedingt Menschenrechtsverteidiger sind. Die EU stand vor der Frage, ob sie nichts mit nach Hause bringt oder einen schwächeren Beschluss als die Resolution. Der aber sieht immerhin einen Mechanismus vor, nämlich die Menschenrechtsbeobachtung in Sudan im nächsten Jahr. Das heißt: Es wird eine Berichterstattung über die Menschenrechtssituation in ganz Sudan erfolgen. Und daher hat die EU zugestimmt. Hätte sie das nicht getan, dann wäre die Konferenz ergebnislos geblieben.

tagesschau.de: Welche Länder blockieren denn?

Baum: Ach, da gibt es eine ganze Reihe - von Kuba über Syrien, bis hin zu einem Teil der afrikanischen Staaten. Die Kommission ist seit einiger Zeit in einer Krise, weil die Staaten, die die Intervention der Staatengemeinschaft in Sachen Menschenrechte fürchten, eine deutliche Mehrheit haben. Und das führt dazu, dass sich die Täter zum Teil gegenseitig gegen die Klagen der Opfer schützen. Aber das ist ja nichts Neues.

tagesschau.de: Die USA drängten bei der UN-Menschenrechtskonferenz in Genf auf eine deutlichere Resolution. Warum? Hängt das auch mit wirtschaftlichen Interessen und dem Ölvorkommen in Sudan zusammen?

Baum: Also die USA haben den Friedensprozess, der zwischen Nord und Süd in Sudan starke Fortschritte gemacht hat, maßgeblich mit herbeigeführt. Sie üben Druck auf beide Kriegsparteien im Norden und im Süden aus. Und der hat sich ausgezahlt. Sicherlich gibt es auch wirtschaftliche Interessen. Aber das Öl spielt keine große Rolle. Den Amerikanern geht es vielmehr darum, die Afrikaner im Süden Sudans gegenüber den mächtigen, dominierenden Arabern im Norden zu schützen. Das liegt im Konflikt zwischen Christentum und Islam begründet. Die Amerikaner glauben, dass der islamische Norden den christlich-animistischen Süden dominieren will. Und sie wollen den Christen im Süden daher helfen.

tagesschau.de: Warum will das die EU nicht?

Baum: Die EU will das auch. Aber die EU hat nicht annähernd den Einfluss auf die beiden Kriegsparteien wie die Amerikaner. Die Amerikaner haben eine wesentlich stärkere Rolle, aber sie haben nicht nach Darfur gesehen. Vielmehr haben sie den Friedensprozess Nord-Süd betrieben und geglaubt, sie könnten den Konflikt in Darfur ausklammern. Das war ein fundamentaler Fehler. Erst spät haben sie jetzt eindeutig Position bezogen, wollten ein Zeichen setzen. Aber das allein reicht nicht. Die Europäer waren pragmatischer und zukunftsorientierter als die Amerikaner.

tagesschau.de: Was ist jetzt in Sudan weiter zu erwarten?

Baum: Der Waffenstillstand zwischen Nord und Süd hält im großen und ganzen. Die Friedensverhandlungen machen langsame Fortschritte. Es besteht durchaus eine Chance, dass es in absehbarer Zeit zu einem vorläufigen Abschluss kommt. Das bedeutet aber noch nicht, dass der Frieden dauerhaft gesichert ist. Die Vereinbarungen müssen zuerst umgesetzt und ihre Umsetzung von außen durch internationale Begleitung kontrolliert werden. Vor allem muss dafür gesorgt werden, dass das ganze Land in den Friedensprozess einbezogen wird. Dazu bedarf es einer Zivilgesellschaft, die die autoritären Strukturen, die im Norden und im Süden herrschen, langsam ersetzt.

Wenn man sich jetzt nicht besinnt, mit allen Gruppen und allen Regionen im Land ein neues Sudan aufzubauen, dann wird das Land auseinanderknallen und es wird keinen Frieden geben. Das betrifft besonders den Darfur-Konflikt, vor dem ich übrigens schon seit eineinhalb Jahren warne.

tagesschau.de: Was kann die internationale Gemeinschaft tun?

Baum: Kofi Annans Angebot, notfalls mit Blauhelmen in Darfur zu intervenieren oder den Waffenstillstand zu kontrollieren, halte ich für bedenkenswert.

tagesschau.de: Ist dabei auch ein Bundeswehreinsatz vorstellbar?

Baum: Das glaube ich nicht. Deutschland wird mit Experten gefordert sein - mit Experten, die helfen, die Strukturen wieder aufzubauen, die die Menschenrechtssituation beobachten, mit humanitären Experten und mit Experten für die Wasserversorgung. Deutsche Truppenkontingente sind dort nicht gefordert.

Das Interview führte Britta Scholtys, tagesschau.de