Interview

Interview mit Schirin Ebadi Hoffen auf Reformen in Iran

Stand: 28.08.2007 07:06 Uhr

Als erste muslimische Frau hatte die iranische Menschenrechtlerin Schirin Ebadi im Oktober den Friedensnobelpreis erhalten. Die Ehrung wurde von Reformern in Iran gefeiert, Fundamentalisten verurteilten ihn als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Die 56-jährige Juristin hofft nun, dass sich der bedeutende Preis langfristig auf die Demokratisierung ihres Landes auswirken wird. Im Interview mit tagesschau.de spricht Ebadi über ihre Hoffnungen auf Reformen, die Situation der Frauen und das Verständnis von Demokratie und Menschenrechten in ihrem Land.  

tagesschau.de: Der Friedensnobelpreis, den Sie erhalten haben, wird von vielen in Ihrem Land, aber auch in anderen muslimischen Ländern der Region als moralische Unterstützung verstanden. Wie wirkt sich das auf Ihre tägliche Arbeit aus?

Schirin Ebadi: Die moralische Unterstützung, die dieser Preis bedeutet, wird sich erst nach und nach zeigen. Doch der Preis zeigt uns, dass unser Weg des Friedens und der Menschenrechte richtig ist. Wir stellen fest, dass wir mehr Fürsprecher gewonnen haben. Und wenn eine große Anzahl von Menschen in einer Gesellschaft etwas einfordert, werden sie es eines Tages auch erreichen. Der Preis wird sich langfristig auswirken - auf die Demokratisierung und die Achtung der Menschenrechte in Iran.

tagesschau.de: Was ist das Wichtigste, was sich für Frauen in Iran ändern müsste?

Ebadi: Wie die Frauen in anderen moslemischen Ländern haben auch wir ganz besondere Probleme. Einige meinen, das läge am Islam, aber tatsächlich ist der Grund die patriarchale Gesellschaft in den moslemischen Ländern. 66 Prozent  der Studierenden in Iran sind Frauen. In so einer Gesellschaft können die Frauen nicht ignoriert, nicht beiseite geschoben werden. Dann allerdings ist die Zahl der arbeitenden Frauen wieder weit geringer als die der Männer. Das Blutgeld, das für eine Frau im Iran gezahlt werden muss, ist halb so viel wie für einen Mann. (Anmerkung der Redaktion: Blutgeld entspricht dem islamischen Recht, der Scharia. Es wird gezahlt, wenn eine Person gewaltsam ums Leben kommt. Der Betrag ändert sich fast jährlich. Zuletzt betrug es für einen Mann etwa 8000 Euro, für eine Frau die Hälfte.) Ein Mann ist also doppelt so viel wert wie eine Frau. Das verträgt sich weder mit den Menschenrechten noch mit dem internationalen Recht. Für die Frauen von heute in Iran müssen wir viele Gesetze ändern. Nach einer Scheidung bekommt zum Beispiel noch immer der Vater das Pflegerecht für die Kinder. Auch das muss sich ändern.

tagesschau.de: Sie sagten kürzlich, Veränderung in Iran müsse von innen kommen, nicht durch Einmischung von außen. Welche Kräfte können die Veränderungen bringen?

Ebadi: Das Wichtigste, was sich in Iran ändern muss, ist die patriarchale Kultur. Damit meine ich nicht nur das Verhalten der Männer, denn diese Kultur wird leider auch von Frauen gestützt. Es gibt viele Männer, die sich sehr für demokratische Veränderung einsetzen - liberale Denker. Wir sollten nicht vergessen, dass jeder Mann, der hier Gewalt und Unterdrückung anwendet, von einer Mutter aufgezogen wurde. Wir brauchen eine umfassende, kulturelle Revolution und die muss in den Schulen, mit dem Bildungssystem anfangen. Doch so eine kulturelle Entwicklung geschieht nicht über Nacht.

tagesschau.de: Wieviel Geduld müssen Frauen und "liberale Denker" haben?

Ebadi: Ich bin ganz optimistisch. Wenn ich vor zwanzig Jahren so gesprochen hätte wie heute, hätte ich mich nicht nach Hause getraut. Ich hätte mich verstecken müssen. Heute sprechen viele Frauen ihre Forderungen offen aus. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich eines Tages diesen Friedensnobelpreis erhalten würde. Ich hätte mir nicht einmal vorstellen können, dass ich den Preis mit 80 Jahren bekommen könnte. Für soziale Veränderungen gibt es kein Zeitlimit.

tagesschau.de: Gibt es in der östlichen und der westlichen Kultur ein unterschiedliches Verständnis über Demokratie und Menschenrechte?

Ebadi: Das Verständnis von Menschenrechten ist weltweit gleich. Menschenrechte bedeuten immer, dass die Menschen das Recht haben müssen, selbst über ihr Schicksal, ihre Zukunft zu bestimmen. In einer demokratischen Gesellschaft wird das umgesetzt, was die Mehrheit der Leute fordert. Sie haben das Recht, ihre Vertreter frei zu wählen; sie leben, wie sie es möchten. Und da gibt es keinen Unterschied, egal ob Sie in Deutschland oder in Iran leben. Wir alle streben danach. Vielleicht fordern die Iraner andere Rechte für sich, als die Westeuropäer für sich fordern, das ist ihr demokratisches Recht. Wichtig ist in jedem Fall die Freiheit, sagen zu können, was man denkt. Und dass ein Land so regiert wird, wie es die Mehrheit seiner Bevölkerung möchte.

Das Interview führte Karin Leukefeld für tagesschau.de