Interview

Interview mit Timothy Seaklon "Amerikaner seit Tagen in Sichtweite"

Stand: 29.08.2007 00:25 Uhr

Nach dem Rücktritt des liberianischen Präsidenten Charles Taylor könnte sich die Lage in dem westafrikanischen Land etwas entspannen. Über die Situation in Monrovia und die Aussichten auf Frieden sprach tagesschau.de mit dem liberianischen Journalisten Timothy Seaklon.

tagesschau.de: Herr Seaklon, Sie sind zurzeit in Monrovia. Was haben Sie von der Abdankungszeremonie Taylors mitbekommen?

Seaklon: Die Zeremonie war nur wenigen Menschen direkt zugänglich. Eine direkte Auswirkung des Machtwechsels ist, dass der Waffenstillstand hält. Man hört - erstmals seit Wochen - keine Schüsse, wenn man auf die Straße geht.

tagesschau.de: Wie ist die Stimmung auf den Straßen Monrovias?

Seaklon: Gemischt. Charles Taylors Freunde und Anhänger und einige Verwandte, die noch nicht ins Ausland fliehen konnten, fürchten um ihr Leben. Aber die Mehrheit ist wohl sehr erleichtert über Taylors Rücktritt, denn er ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Frieden.

tagesschau.de: Wie gut kann die ECOMIL für Ruhe sorgen und ein Massaker an Taylors Gefolgsleuten verhindern?

Seaklon: Nach meiner Einschätzung sind es viel zu wenige Soldaten, um Rebellen und Regierungsanhänger dauerhaft zu trennen. Heute hieß es unter uns Journalisten, dass bisher 726 nigerianische Soldaten in Monrovia sind. Regierung und Rebellen zählen jeweils Tausende.

tagesschau.de: Sie rechnen also mit weiteren Kämpfen - trotz Taylors Abgang?

Seaklon: Ja, und am wahrscheinlichsten werden diese um die Kontrolle des Hafens ausbrechen. Taylors Abgang ist keine Garantie für einen dauerhaften Frieden. Sein Nachfolger Blah ist sein enger Vertrauter, weswegen die Rebellen ihn ablehnen. Wir brauchen Neuwahlen, aber solange die Kämpfe nicht enden, können wir keine ordentlichen Wahlen abhalten.

tagesschau.de: CNN meldet, dass die USA ihre Kriegsschiffe mit 2000 Elitesoldaten an Bord inzwischen auf Sichtweite an die Küste herangesteuert haben.

Seaklon: Ich habe die ersten US-Kriegsschiffe vor einer Woche gesehen. Die Amerikaner sind seit Tagen in Sichtweite. Das hat vermutlich auch Taylor überzeugt, abzudanken und ins Exil zu gehen.

tagesschau.de: Glauben Sie, dass Taylor für immer verschwindet?

Seaklon: Das kann man bei ihm nicht sicher sagen. Sicher ist aber, dass Liberia auf Jahre Hilfe braucht, um über Taylor hinwegzukommen.

tagesschau.de: Bisher schicken nur afrikanische Staaten Friedenssoldaten nach Liberia. Sollten sich die USA und die Europäer stärker für Ihr Land engagieren?

Seaklon: Die USA sind am stärksten in der Pflicht, allerdings brauchen wir auch humanitäre und wirtschaftliche Hilfe aus Europa, wenn wir wieder auf die Beine kommen wollen.

Timothy Seaklon ist Nachrichtenchef der liberianischen Tageszeitung "Inquirer".

Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de