Interview

Stefan Mair im Interview "Aktionen des Gegners sind kaum kalkulierbar"

Stand: 29.08.2007 05:41 Uhr

Die Risiken eines Einsatzes in Kongo seien für die EU-Truppe ohne Zweifel vorhanden - man dürfe die Konfliktparteien aber auch nicht überschätzen, meint Stefan Mair von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Kommandanten der größtenteils jugendlichen Soldaten seien sich der militärischen Überlegenheit der Ordnungsmacht, die die EU darstelle, bewusst. 

tagesschau.de: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die EU in Kongo in Eigenregie militärisch aktiv, ohne Unterstützung der NATO. Und das ausgerechnet in einem riesigen Krisengebiet, in dem seit Jahren Krieg herrscht. Wird sich die EU an dieser Mission nicht die Finger verbrennen?

Mair: Zwei Konfliktszenarien müssen unterschieden werden: Zum einen ist da der Kongo-Konflikt als Ganzes, der seit Februar 2001 relativ ruht. Zumindest wird im Großen und Ganzen ein Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien eingehalten. Es gibt einen Friedensprozess, der zwar mühsam ist, aber immerhin vorankommt.

Und dann gibt es das aktuelle Konfliktszenario in der Ituri-Region, das mit dem Krieg verbunden war, aber jetzt eine eigenständige Dynamik entwickelt hat. Im Moment geht es um den Konflikt im Ituri-Distrikt und nicht um den Kongo-Konflikt als Ganzes. Insofern sollte man sich nicht allzu sehr vor den Risiken fürchten, auch in den Kongo-Konflikt hineingezogen zu werden.

tagesschau.de: Dennoch werden auf die EU vermutlich Kampfeinsätze zukommen. Ist die Truppe dafür schon gerüstet? Die EU-Eingreiftruppe wurde zwar kürzlich beschlossen, befindet sich aber noch im Aufbau.

Mair: Man kann nicht ausschließen, dass es zu Kampfhandlungen kommen wird. Man muss allerdings auch sehen, dass der potenzielle Gegner schlecht ausgerüstet und ausgebildet, militärisch absolut unterlegen ist. Das Hauptrisiko besteht darin, dass die Aktionen des Gegners wenig kalkulierbar sind: Viele Kindersoldaten sind im Einsatz, die sehr stark unter Drogen gesetzt werden. Man muss also die Risiken sehen, sollte sie militärisch aber auch nicht überschätzen.

tagesschau.de: Stichwort Risiken: Die USA sind vermutlich auch angesichts der gescheiterten Blauhelm-Mission in Somalia erleichtert, dass sie keine Truppen schicken müssen?

Mair: Die Amerikaner würden sich dort überhaupt nicht engagieren wollen. Sie haben natürlich das Somalia-Trauma noch nicht hinter sich. Kongo und Somalia sind aber nicht unbedingt miteinander vergleichbar: Im Kongo gibt es einen politischen Fahrplan zur Lösung des Konflikts. Der aktuelle Fall stellt - wie gesagt - innerhalb dieses Konflikts ein relativ überschaubares Szenario dar. Auch die militärischen Voraussetzungen sind heute anders als in Somalia.

tagesschau.de: Ist der Vorstoß der EU, sich jetzt im Kongo zu engagieren, auch ein Versuch, sich nach dem Streit um eine einheitliche Linie in der Irak-Frage außenpolitisch zu profilieren?

Mair: Das ist mit Sicherheit ein wichtiges Motiv, zumindest für die Franzosen. Den Europäern wurde in der Vergangenheit immer wieder von den Amerikanern unterstellt, sie seien weder willens noch in der Lage, international Verantwortung zu übernehmen und eigenständig zu handeln. Ich glaube, gerade Frankreich sieht die Intervention in Ituri als Gelegenheit, jetzt zu demonstrieren, dass dies nicht so ist, das Europa sowohl in der Lage als auch Willens ist, selbst fernab der eigenen Grenzen international Verantwortung zu übernehmen.

Die Fragen stellte Susanne Ofterdinger, Interview vom 4. Juni 2003