Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Wer will was speichern und warum?

Stand: 07.11.2007 10:50 Uhr

Mit Telefon- und Verbindungsdaten könnten nach Ansicht der EU Terroristen und Verbrecher überführt werden - deshalb müssen sie mindestens sechs Monate lang gespeichert werden. Auch in Deutschland soll dies bald Gesetz sein.Datenschützer warnen dagegen vor dem Überwachungsstaat, der sämtliche Bürger unter Generalverdacht stellt. tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Von Fiete Stegers, tagesschau.de

Warum beschäftigt sich die EU mit der Überwachung und Speicherung von Telefon- und Internet-Daten?

Auslöser ist die Angst vor weiteren Terroranschlägen. So kamen Ermittler nach den Attentaten von London einem Verdächtigen durch die Anrufe auf seinem Handy auf die Spur. Um auch nachträglich herausfinden zu können, wer wann mit wem telefoniert oder sich wie oft ins Internet eingewählt hat, verlangen Innenpolitiker die Speicherung der Verbindungsdaten, so dass Polizei und Staatsanwaltschaft darauf zugreifen können. Schon kurz nach dem 11. September hatte sich der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs für den Ausbau der Datenspeicherung ausgesprochen. Auch die EU-Kommission forderte eine entsprechende Regelung.

Es gab immer wieder Berichte über Entschlüsse zur Vorratsdatenspeicherung. Ist das Thema nicht längst durch?

Keineswegs. Jahrelang gab es zwar verschiedene Entwürfe und Vorschläge unterschiedlicher EU-Institutionen, aber noch keinen Entschluss. Erst Ende 2005 beschloss das EU-Parlament auf Druck der Staats- und Regierungschefs die nun gültige Richtlinie, im Februar 2006 stimmten die Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat zu. Diese müssen die Regeln nun noch in nationales Recht umsetzen.

Wie war die Rechtslage in der EU bisher?

Je nach Land gelten sehr unterschiedliche nationale Regelungen. In Deutschland müssen Telekommunikationsanbieter die Daten nach Beenden der Verbindung eigentlich unverzüglich löschen, es sei denn, sie benötigen sie zu Abrechnungszwecken. Dies führt in der Praxis dazu, dass deutsche Telefonanbieter Verbindungsdaten durchaus eine Zeit speichern.

Wer ist für die Vorratsdatenspeicherung?

Auf der Ebene der EU-Mitgliedsländer wurde der erste konkrete Vorschlag 2004 von Großbritannien, Irland, Schweden und Frankreich eingebracht. Großbritanniens Innenminister Charles Clarke machte während der britischen Ratspräsidentschaft kräftig Druck für die Umsetzung. Aber auch die Creative Media and Business Alliance, eine Lobbygruppe der Musikindustrie, hat sich für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen: Sie hofft offenbar, die Daten auch für die Verfolgung von Schwarzkopierern und Tauschbörsenbetreibern nutzen zu können. In Deutschland unterstützt zum Beispiel die Gewerkschaft der Polizei die Vorratsdatenspeicherung für die Ermittlung bei mittleren bis schweren Straftaten.

Vorratsdatenspeicherung

Festnetz, Mobil- und Internetelefonie: Beteiligte Telefonnummern, Dauer, Datum und Uhrzeit der Gespräche. Mobiltelefone: zusätzlich der Standort der Anrufer bei Gesprächsbeginn, die eindeutig dem Gerät zugeordnete IMSI-Nummer sowie SMS-Verbindungsdaten Internet: die dem Computer vom Internetprovider zugeteilte jeweilige IP-Adresse, der Anschluss, über den die Internet-Verbindung hergestellt wird, Dauer, Datum und Uhrzeit der Verbindung E-Mail: Adressen, Ein- und Ausgangsdaten der Kommunikationspartner (Daten aus dem E-Mail-Header) Die Inhalte der Kommunikation sollen nicht gespeichert werden.

Was sagen die Kritiker?

Sie haben zwei Hauptargumente: Die 450 Millionen EU-Bürger dürften nicht durch eine generelle Speicherung ihrer Verbindungsdaten unter Pauschalverdacht als Terroristen oder Kriminelle gestellt werden. Außerdem müsse die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt werden, sprich, keine allgemeine Überwachung für einen relativ geringen Nutzen eingeführt werden. Entsprechend äußerten sich etwa die Datenschutzbeauftragten der EU-Mitgliedsländer. Besonders kritische Gegner sehen einen weiteren Schritt zum Überwachungsstaat. Unzufrieden mit den meisten Vorschlägen zur Vorratsdatenspeicherung sind auch Provider- und andere Internet-Firmen: Sie sehen durch den Aufwand für die Datenspeicherung deutliche höhere Kosten auf sich zu kommen. In Deutschland sollen ihnen die Kosten nicht ersetzt werden.

Was wird genau gespeichert?

In erster Linie geht es um Verbindungsdaten, nicht um die Inhalte der Kommunikation: Wer hat sich mit welcher IP-Adresse ins Internet eingewählt? Wann wurde von welchem Apparat welche Telefonnummer angerufen? Aus welcher Mobilfunk-Zelle hat ein Teilnehmer telefoniert? Einige Datenschützer mahnen aber an, dass sich von dem einen sehr schnell auf das andere schließen lässt und sich bei SMS Verbindungsdaten und Inhalt der Nachricht aus technischen Gründen gar nicht trennen lassen. Auch Anonymisierungsdienste im Interrnet müssen die Daten speichern.

Was passiert nun in Deutschland?

Nach Plänen der Großen Koalition soll die EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt und zugleich erweitert werden. Der Bundestag soll im November (9.11) einen entprechenden Gesetzentwurf verabschieden, damit dieser zum 1. Januar 2008 in Kraft treten kann. Mit dem Gesetz sollen zugleich auch neue Regeln für die Telefonüberwachung auf den Weg gebracht werden.

Die Daten sollen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten sowie ausländischen Staaten für die Verfolgung "erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten" zur Verfügung stehen. Nach Darstellung des Bundesjustizministeriums sollen Polizei und Staatsanwaltschaft nur mit einem richterlichen Beschluss darauf zugreifen können. Auch Geheimdienste wie der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst sollen nach den Plänen der Regierung die Daten nutzen dürfen.

Wird es Klagen gegen einen Beschluss geben?

Mit Sicherheit. Deutsche Bürgerrechtler und Datenschützer bereiten bereits eine Sammelklage vor dem Bundesverfassungsgericht vor. Eingereicht werden soll die Verfassungsbeschwerde, falls die Vorratsdatenspeicherung in Kraft tritt. Der irische Justizminister Michael McDowell hat bereits 2006 Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eingereicht. Entschieden wird vorraussichtlich 2008.

Deutsche Kläger könnten mit einem Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung argumentieren. Parlamentsberichterstatter Alvaro sieht außerdem eine Handhabe für kleinere Unternehmen: Sie könnten die Richtlinie als Verstoß gegen die Gewerbefreiheit darstellen, weil die Speicherung für sie erhebliche Mehrkosten bedeute.

Gibt es eine Alternative zur Vorratsdatenspeicherung?

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz empfiehlt die "Quick Freeze“-Methode: Statt generell Daten zu protokollieren, sollten die Ermittlungsbehörden die Möglichkeit haben, ab einem bestimmten Verdachtsmoment speichern zu lassen. So wird es schon bisher teilweise gemacht. Vielen Innenministern reicht das aber nicht.