Rumänien und der EU-Beitritt "Wir sind und bleiben arme Schlucker"

Stand: 25.09.2006 20:52 Uhr

Am 1. Januar 2007 sollen Rumänien und Bulgarien Mitglieder der Europäischen Union werden. Es gilt als sicher, dass die EU-Kommission heute den Beitrittstermin bestätigt, obwohl in beiden Ländern trotz engagierter Reformen immer noch die Korruption blüht. In Rumänien sehen viele den geplanten Beitritt skeptisch. Sie haben Angst vor einem weiteren Ansteigen der Preise und einem Verfall ihres Lebensstandards.

Von Matthias Wetzel für tagesschau.de

"EU-Bürger sind wir ja ohnehin schon", lacht Regina Wagner und verweist auf ihren deutschen Pass. Den hat sich die deutschstämmige Mittsiebzigerin bei einem ihrer Besuche in Deutschland geholt. Seit mehr als 70 Jahren leben sie und ihr Mann Stefan in dem Dorf Ighisul Nou in Siebenbürgen. Die kommende EU-Mitgliedschaft Rumäniens sieht Stefan Wagner eher skeptisch. Dazu haben nicht zuletzt die vielen Preiserhöhungen in den vergangenen Jahren beigetragen, die mit dem kommenden EU-Beitritt begründet wurden. Allein der Gaspreis kletterte so hoch, dass im Winter oftmals die Rente nicht reicht. Viele können sich kein Gas leisten und müssen im Winter frieren. Wenn Wagners nicht von ihrem Sohn aus Deutschland unterstützen würden, sähe es schlecht aus.

Wer kann, versucht sein Glück im Ausland

Im Vergleich zu manch anderen im Dorf geht es den beiden Rentnern aber noch gut. Ihr Nachbar Gheorge Bisa ist arbeitslos. Sozialhilfe bekommt Bisa nicht. Er hat ein Pferd und eine windschiefe Hütte und gilt somit nicht als völlig mittellos. Der drahtige 52-Jährige muss für vier Personen sorgen. Seine beiden Töchter hat es auf der Suche nach Arbeit nach Italien verschlagen. Die beiden Enkel haben sie bei den Großeltern gelassen und versprochen, regelmäßig Geld zu schicken. Das war vor zwei Jahren. Geschickt hätten sie noch nichts, sagt Bisa und lächelt verlegen.

Bisas Töchter sind keine Einzelfälle. Viele Rumänen suchen im Ausland ihr Glück. Geschätzte zwei Millionen haben ihrem Heimatland den Rücken gekehrt. Offiziell gibt es in Rumänien sieben Prozent Arbeitslose. Doch die tatsächliche Erwerbslosigkeit liegt nach Meinung von Experten bei fast 50 Prozent. Wer keine Arbeit hat, bekommt maximal zwei Jahre Arbeitslosenunterstützung und danach noch ein Jahr Sozialhilfe, umgerechnet knapp zehn Euro pro Monat. Ein symbolischer Betrag angesichts der Preise in den neu errichteten Supermärkten - denn in der schönen neuen Warenwelt ist Rumänien schon fast auf EU-Niveau. "Wir sind und bleiben arme Schlucker, daran wird auch der EU-Beitritt nichts ändern", ist sich Bisa sicher.

Roma ohne Lobby

Besonders schlecht ist die Lage der etwa zwei Millionen Roma im Land. Heinz Gräbe, gelernter Elektroingenieur aus Hessen, kam vor neun Jahren nach Rumänien und gründete ein Kinderheim für ausgesetzte Romakinder. Derzeit betreut der 61-Jährige mit seiner Frau und einigen Helfern aus Deutschland 29 Kinder im Alter von vier bis elf Jahren. Finanziert wird das Heim von Spenden aus Deutschland und den Erträgen aus der eigenen Landwirtschaft. Die Kinder stammen meist aus Krankenhäusern, wo sie ihre Mütter nach der Geburt einfach liegen ließen. Auch Kinder, die auf der Müllkippe lebten, hat Gräbe in sein helles und freundliches Haus aufgenommen.

Die Zukunft der Roma sieht er düster. Sie bräuchten keine Förderprogramme und Gesetze aus Brüssel, meint Gräbe, sondern schlicht und einfach Arbeit, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Doch die werde auch durch die EU nicht kommen. Vielmehr werde das Leben noch teurer und die Lage der Roma noch unerträglicher werden.

Korruption blüht trotz Justizreform

Die einzigen, die nach Meinung vieler Rumänen von der EU profitierten, seien die Politiker, die sich auch jetzt schon die Taschen füllten. Angesichts der täglichen Korruptionsskandale scheint diese Kritik nicht so abwegig. Mal wird die gesamte Besatzung einer Zollstation wegen Zigarettenschmuggels festgenommen, ein anderes Mal müssen hochrangige Politiker wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten. Der letzte Ministerpräsident Adrian Nastase wurde nach einer Korruptionsaffäre aus dem Amt gejagt.

Zwar hat die rumänische Justizministerin Monica Macovei mit viel Elan eine Reform des Justizwesens angestoßen, doch das Ergebnis eines geheimen Berichtes der Justiz-Aufsichtsbehörde, der kürzlich bekannt wurde, spricht eine andere Sprache. Danach wurden 35.000 Strafverfahren eingestellt, darunter auch viele Prozesse gegen Politiker und Unternehmer mit guten Verbindungen zu Polizei und Justiz.

Späterer EU-Beitritt könnte Reformen gefährden

Der Bericht spricht von 600 zusätzlich benötigten Staatsanwälten und Ermittlern. Macovei weiß um die riesige Aufgabe. Doch die Ministerin sieht in der bevorstehenden EU-Mitgliedschaft auch eine Chance für ihre Reformen. Wenn Europa ihr Land nun fallen lasse und wegen mangelnder Fortschritte im Justizsystem den Beitritt verschiebt, dann werde ihre Arbeit schwerer, ist sich die 47-Jährige sicher.

Wenige Monate vor dem geplanten EU-Beitritt ergab eine Umfrage der "Ständigen Delegation der Europäischen Kommission in Bukarest", dass die Mehrheit der Rumänen ihr Leben ohne "Schmiergeld" gar nicht bewältigen könnten. Zwei Drittel der Menschen äußerten Angst vor dem Ansteigen der Preise und dem dramatischen Verfall ihres Lebensstandards und mehr als die Hälfte sieht im politischen Pluralismus keinerlei Vorteil.