Ringen um die Unabhängigkeit des Kosovo "Das Völkerrecht steht auf Serbiens Seite"
Wolfgang Ischinger, Deutschlands Botschafter in Großbritannien, soll die EU künftig bei den Verhandlungen über den Status des Kosovo vertreten. Das bestätigte der EU-Außenbeauftrage Javier Solana. Der deutsche Diplomat hat keinen leichten Job, denn die Suche nach einer Lösung für den Konflikt droht zu einer Zerreißprobe für die Europäer zu werden: Sollte die Führung des Kosovo einseitig die Unabhängigkeit erklären, bricht der Konsens in der EU auf. Außerdem befürchtet man nicht nur in Brüssel, dass ein solcher Schritt Konflikte in anderen Regionen anheizen würde.
Von Silvia Stöber, tagesschau.de
Die Europäische Union hatte alles auf eine Karte gesetzt: Das Problem Kosovo sollte mit einer neuen UN-Resolution gelöst und so Streit inner- und außerhalb der EU verhindert werden. Zwei wichtige Punkte waren in der Erklärung enthalten: Zum einen soll die EU von den Vereinten Nationen die Verwaltung des Kosovo übernehmen. Dafür gab es von allen Seiten Zustimmung. Die Vorbereitungen für die Friedensmission im Kosovo laufen bereits seit April 2006, doch gerät dieses Projekt nun ins Stocken, da die UN-Resolution am zweiten, weitaus heikleren Punkt gescheitert ist: welchen Status das Kosovo erhalten soll. Russland lehnte eine "überwachte Unabhängigkeit" des Kosovo ab, weil Serbien strikt gegen jede Form der Unabhängigkeit ist.
Damit gerät nicht nur der Zeitplan, sondern auch die Einigkeit der EU ins Wanken. Denn nur für eine von den Vereinten Nationen abgesegnete Unabhängigkeit gab es die volle Zustimmung der EU-Mitgliedsstaaten. Sollte das Kosovo einseitig seine Unabhängigkeit erklären und die USA das anerkennen, würden die Reihen der EU aufbrechen. Eine kleine Anzahl von Staaten signalisiert bereits, dass sie den USA auch gegen den Willen Russlands und Serbiens folgen würden. Länder wie Rumänien und Griechenland würden sich diesem Weg strikt verweigern. Dafür gibt es schwerwiegende Gründe.
Unabhängigkeit steht gegen Völkerrecht
Eine einseitig anerkannte Unabhängigkeit des Kosovo hätte Signalwirkung über Europa hinaus. Denn ohne Zustimmung Serbiens und der Vereinten Nationen würde die Unabhängigkeit dem Völkerrecht widersprechen. Die jetzt gescheiterte UN-Resolution geht auf den im März vorgelegten Plan des UN-Unterhändlers Martti Ahtisaari zurück. Darin wird den Kosovo-Albanern erstmals eine beschränkte Unabhängigkeit zugestanden. Zuvor war dem Drängen nach einer Loslösung von Serbien immer mit dem Argument begegnet worden, zunächst sollten demokratische Strukturen im Kosovo errichtet werden, dann sei eine Unabhängigkeit möglich.
Solange es keine neue Entscheidung der Vereinten Nationen gibt, gilt die UN-Resolution 1244 aus dem Jahre 1999. Darin wird die Status-Frage offen gelassen. Die "territoriale Unversehrtheit" Serbiens wird aber mit Bezug auf die Schlussakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 ausdrücklich anerkannt. Deshalb berufen sich Serbien und Russland immer wieder auf diese Resolution.
"Die Serben haben das Völkerrecht auf ihrer Seite", erläutert die Kosovo-Expertin Marie-Janine Calic von der Universität München diesen Passus. Außerdem stünden im Falle einer Unabhängigkeit "handfeste Fragen" im Raum, wie das Problem der serbischen Flüchtlinge, die nicht mehr in das Kosovo zurückkehren könnten. Klaus Segbers, Professor für Politikwissenschaft und Osteuropapolitik an der Freien Universität Berlin, warnt zudem vor dem falschen Signal: Die Befreiungsarmee für den Kosovo (UCK), dürfe nicht am Ende mit einer Unabhängigkeit ohne Bedingungen dafür belohnt werden, dass sie immer wieder Gewalt praktiziert und auch angedroht habe, sollte die Unabhängigkeit nicht kommen.
Unabhängigkeit würde weltweit Reaktionen hervorrufen
Die Entwicklung im Kosovo wird in vielen Regionen mit großem Interesse verfolgt. Denn auch wenn die EU immer wieder von einem einzigartigen Fall spricht, der nicht auf andere Konflikte übertragen werden könne, würde eine Unabhängigkeit ohne Zustimmung Serbiens Signalwirkung ausüben. "Die Serben in Bosnien-Herzegowina schauen sehr genau auf die Entwicklung", sagt die Kosovo-Expertin Calic: "Sie argumentieren: Wenn das Kosovo unabhängig wird, dann können wir uns auch von Bosnien lossagen." Ähnlich könnten die Basken in Spanien oder die korsischen Separatisten in Frankreich reagieren.
Auch in Georgien beeinflusst der Konflikt das Verhältnis zwischen der Regierung in Tiflis und der abtrünnigen Teilrepublik Abchasien ganz konkret: "Die georgische Regierung versucht, die Anerkennung der abchasischen Führung zu verhindern, um keine Parallelen zum Kosovo zu schaffen. Dies erschwert eine Lösung des Konflikts enorm", beklagt Walter Kaufmann, Leiter des Regionalbüros Südkaukasus der Heinrich-Böll-Stiftung in Georgiens Hauptstadt Tiflis.
Wäre der Kosovo überlebensfähig?
Doch fragt sich, ob die Kosovo-Albaner auf die Reaktionen andernorts Rücksicht nehmen wollen. Für sie gibt es kein Zurück nach Serbien. Nicht nur in ihren Augen hat Serbien nach Unterdrückung, Vertreibung und Gewalt das Recht verwirkt, das Kosovo als Teil seines Staates zu betrachten. Seit 1999 gab es keine Annäherung zwischen Serbien und dem Kosovo. Geld investiert hat Belgrad nur in Parallelstrukturen für die im Kosovo lebenden Serben.
Aber ist ein unabhängiger Kosovo überlebensfähig? Nach Meinung von Mechthild Henneke schon. Sie ist Pressesprecherin der Wirtschaftsabteilung der UN-Verwaltung UNMIK im Kosovo. Die Bevölkerung sei jung und es gebe gefragte Rohstoffe wie Kupfer, Zink und Nickel. Derzeit beteiligten sich mehrere große Energiefirmen, darunter RWE und EnBW, an der Ausschreibung eines Milliarden-Auftrags für ein Kraftwerk auf Braunkohlebasis.
Auf der anderen Seite stehen Korruption und eine Arbeitslosigkeit von etwa 40 Prozent. Hinzu kommt, dass mit einer Unabhängigkeit längst nicht alle ethnischen Fragen geklärt sind: Vor allem im Norden des Kosovo lebt ein Großteil der etwa 100.000 Kosovo-Serben. Je größer die serbischen Gemeinden seien, desto stärker würden sie sich einem Zusammenleben mit den Kosovo-Albanern verweigern, sagt Henneke. So ist nicht nur mit einer Flucht von Kosovo-Serben zu rechnen. Auch die in Südserbien lebenden Albaner haben mehrfach bekundet, sie wollten sich einem unabhängigen Kosovo anschließen.
Probleme mit einer EU-Mitgliedschaft beseitigen?
Die EU will dieses Problem lösen über finanzielle Hilfe und forcierte Anstrengungen für einen EU-Beitritt sowohl Serbiens als auch des Kosovo - möglichst bis zum Jahr 2015. Das Kalkül: Sind beide erstmal Mitgliedsstaaten, verlieren die Grenzen an Bedeutung und werden durch gemeinsame Werte ersetzt. Diese Strategie des "Stabilitätsexports" hat sich nach Meinung von Osteuropa-Experte Segbers an anderer Stelle bewährt. Als Beispiel nennt er die ungarischen Minderheiten in der Slowakei und in Rumänien sowie, in gewisser Hinsicht, auch die Lage der Minderheiten in den baltischen Ländern. Kosovo-Expertin Calic ist da skeptischer: Das Kosovo werde Mühe haben, in den nächsten Jahren ausreichend stabile Strukturen zu schaffen. Selbst bei einer Unabhängigkeit werde das Kosovo ein Protektorat bleiben. Im komplexen Gefüge der EU sei ein solches Mitglied kaum vorstellbar.
Calic sieht eine Lösung des Konflikts einzig darin, den Druck aus den Verhandlungen zu nehmen und allen Seiten mehr Zeit zu geben. In zehn Jahren könnten die Serben für eine Unabhängigkeit bereit sein, schätzt sie. Doch stellt sich die Frage, ob die Kosovo-Albaner soviel Geduld aufbringen. Im Moment sei die Lage im Kosovo ruhig, berichtet die UNMIK-Mitarbeiterin Henneke. Das liege vor allem an den Sommerferien und der bleiernen Hitze, die gerade über dem Land liege. Doch der Sommer wird nicht ewig dauern.