Interview

Walter Posch im Interview Europäische Abwehrstrategien

Stand: 26.08.2007 13:05 Uhr

Mit den Anschlägen von Madrid hat der islamistische Terrorismus auch Europa erreicht. Seither wurde unter anderem ein neuer EU-Koordinator zur Terrorbekämpfung eingesetzt. tagesschau.de sprach mit Terrorexperte Walter Posch vom Europäischen Institut für Sicherheitsstudien.

tagesschau.de: Welche terroristische Bedrohung sehen Sie momentan für den EU-Raum?

Posch: Prinzipiell hat es für den EU-Raum immer eine terroristische Bedrohung gegeben, in den letzten Jahren hat die Bedrohung durch religiöse Extremisten aus dem Nahen und Mittleren Osten aber zugenommen. Die bis jetzt größte Gefahr scheint aus jenen Kreisen zu drohen, die für die Anschläge in Spanien verantwortlich sind. Das sind gewisse radikale Islamisten, in diesem Fall aus Nordafrika, die sich radikal-sunnitischen Richtungen verschrieben haben und im allgemeinen den "puritanischen" Richtungen des Islam wie den Salafisten und Wahhabiten zugerechnet werden. Wobei diese Zuordnung nicht in jedem Fall korrekt sein muss.

tagesschau.de: Worauf sollten sich die EU-Bürger einstellen?

Posch: Die Zunahme einer potenziellen Bedrohung ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer tatsächlichen Zunahme von Anschlägen, weil ja auch auf der "Gegenseite", also im Bereich der Terrorabwehr, nachgezogen wird.


Auf der anderen Seite gilt natürlich: Seit dem 11. September 2001 ist alles vorstellbar. Das kann von einem konventionellen Angriff mit Bomben bis zu gefährlicheren Anschlägen mit biologischen oder gar einer "schmutzigen", radioaktiven Bombe reichen. Dennoch ist es nicht so, dass man den Terroristen gegenüber wehr- und machtlos dasteht.

tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die europäischen Abwehrstrategien, insbesondere die Maßnahmen nach den Anschlägen vom 11. März 2004?

Posch: Terrorabwehr wird sowohl von Seiten der Nationalstaaten als auch von Seiten der EU wahrgenommen. Viele Schritte wie die Gründung der gemeinsamen Polizeibehörde Europol wurden schon vor dem 11. März gesetzt. Nach dem 11. März haben die meisten Nationalstaaten notwendige - und wahrscheinlich schon längst fällige - Schritte gesetzt. Ich nenne ein sehr simples Beispiel: die Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse im Bereich der mit der Terrorabwehr betrauten Institutionen. Die EU hat ihrerseits wichtige Schritte vollzogen, die auf dem ersten Blick vielleicht "nur" bürokratischer Natur sind. Etwa der einheitliche europäische Haftbefehl oder der neu geschaffene Posten eines "Counter-Terrorism Coordinator".

tagesschau.de: Sie sind von Haus aus Orientalist. Wie weit gehen die Parallelen zwischen den Anschlägen von Madrid und denen von Istanbul?

Posch: Das Muster mag dasselbe sein, aber es gibt doch große Unterschiede: in der Türkei waren es Gruppen aus dem Land selbst, in Spanien Zellen aus Nordafrika. In beiden Fällen wird eine Beziehung zur Al Kaida nur vermutet und konnte bisher nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. In Nordafrika gibt es genügend radikale Gruppen, die einen Bin Laden nicht brauchen, um ihre Handlungen für sich zu rechtfertigen. In der Türkei wiederum konnten die gefährlichsten Gruppen wie "IBDA-C" und die türkische Hisbollah von den Sicherheitskräften zerschlagen werden: Offensichtlich ist jetzt aber eine neue Generation herangewachsen, die, wie es scheint, das Erbe der beiden angetreten hat.

tagesschau.de Wie ernst sind "Friedensangebote", wie sie Mitte April 2004 von der Al-Kaida-Spitze kamen, zu nehmen?

Posch: Die Kernfrage ist doch die: Kann man mit Terroristen verhandeln? Die europäischen Regierungen haben mit ihrer Ablehnung eine klare Antwort gegeben. Es ist daher müßig, sich darüber Gedanken zu machen, ob Osama Bin Laden aus einer Position der Schwäche heraus das Angebot vorgelegt hat oder ob andere Motivationen dahinter stehen. Kurz zuvor hatte Bin Ladens Stellvertreter Sawahiri - der streng genommen einer eigenen Organisation vorsteht - ja noch Drohungen gegen Frankreich ausgestoßen.

Die Fragen stellte Christian Radler, tagesschau.de