Fall "Diciotti" Erpresst Italien die EU?
Mit dem Fall des Küstenwachenschiffs "Diciotti" setzt Italien die EU unter Druck: Am Nachmittag kommen Vertreter der EU-Länder in Brüssel zusammen, um über die Verteilung der Bootsflüchtlinge zu beraten.
Die Lage ist vertrackt: Auf der "Diciotti", dem Schiff der italienischen Küstenwache, befinden sich noch immer knapp 150 Menschen. Sie sind seit Tagen im sicheren Hafen von Catania, aber an Land gehen dürfen sie nicht.
Verboten hat das der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechten, fremdenfeindlichen Partei Lega. Er scheint die Flüchtlinge als eine Art europapolitische Geisel zu nehmen, um andere EU-Länder dazu zu bringen, die Menschen bei sich aufzunehmen.
Die italienische Politikerin Laura Boldrini spricht mit Migranten an Bord der "Diciotti". Die Minderjährigen konnten das Schiff inzwischen verlassen, die übrigen Menschen müssen an Bord bleiben.
Großherzigkeit - auf Anweisung der Staatsanwaltschaft
Immerhin durften Kinder und Jugendliche an Land gehen. Das hatte allerdings nicht mit Menschlichkeit zu tun, sondern mit der Ankündigung der italienischen Staatsanwaltschaft, rechtlich gegen das Festhalten der Minderjährigen auf dem Schiff vorzugehen.
Innenminister Salvini sagte in einem Handyvideo auf seiner Facebook-Seite: "Die Kinder können von Bord gehen - sofort. Italien ist ein großherziges Land. Aber bei diesen Männern, die 20, 30, 40 Jahre alt sind, die kräftig und gesund sind und ins Fitnessstudio gehen, sage ich: Basta, es reicht."
Erpresst Italien die EU?
Vor allem die italienische Regierung nimmt seit einigen Wochen eine Blockadehaltung ein. Nicht nur Booten privater Hilfsorganisationen, sondern auch Schiffen der staatlichen Küstenwache wird, wenn überhaupt, erst nach mehreren Tagen auf See erlaubt, in einen Hafen einzulaufen. Dort müssen die Flüchtlinge dann so lange an Bord ausharren, bis sich Abnehmerländer für sie gefunden haben. Kritiker in Brüssel sprechen von Erpressungsmethoden.
Die Migranten auf der "Diciotti" werden von Land aus mit Lebensmitteln versorgt.
EU-Vertreter beraten mit Italien
Der Fall "Diciotti" und die festgefahrene Lage in der EU-Flüchtlingspolitik sind der Anlass dafür, dass am Nachmittag Vertreter von zwölf EU-Ländern in Brüssel zusammenkommen, um über die Verteilung von Bootsflüchtlingen zu beraten. Für Deutschland sitzt Jan Hecker am Tisch, der außenpolitische Berater von Bundeskanzlerin Merkel und Migrationsexperte.
Neben Deutschland sind auch Vertreter aus Österreich und den Niederlanden, sowie den Mittelmeerländern Italien, Spanien, Griechenland und Frankreich mit dabei, erfuhr das ARD-Studio Brüssel aus EU-Kreisen.
Ziel des Treffens ist es, über einen gemeinsamen europäischen Ansatz zu diskutieren - und auch darüber, wie einige EU-Länder in den vergangenen Wochen bereits Verantwortung bei der Aufnahme von Flüchtlingen geteilt haben, sagte ein Sprecher der EU-Kommission.
Keine großen Entscheidungen erwartet
Da bei dem Treffen allerdings nur knapp die Hälfte aller EU-Länder vertreten ist, wird die Runde wohl keine weitreichenden Entscheidungen vorbereiten können. Hinzu kommt, dass vor allem Vertreter von Ländern am Tisch sitzen, die einen gewissen "Anziehungsfaktor" haben, in die also die meisten Flüchtlinge wollen, wie zum Beispiel Deutschland und die Niederlande.
Was bei dem Treffen herauskommen kann, ist ungewiss. Es könnte allgemein gehaltene Solidaritätsbekundungen gegenüber Italien, Malta und den anderen betroffenen Mittelmeerländern geben - möglicherweise auch eine Lösung für die Flüchtlinge an Bord der "Diciotti", in dem sich einige EU-Länder dazu bereit erklären, die Menschen bei sich aufzunehmen.
Die grundsätzliche Frage bleibt
Sollte das geschehen, wäre der Fall "Diciotti" erst einmal gelöst. Unbeantwortet bliebe aber die Frage, was in Zukunft mit Rettungsschiffen passieren wird, die Flüchtlinge in italienischen Häfen von Bord gehen lassen wollen. Das Drama der "Diciotti" und aller anderen Rettungsschiffe der vergangenen Wochen macht deutlich, dass die europäische Asylpolitik derzeit total blockiert ist.