Benjamin Netanyahu
analyse

Krieg in Nahost Netanyahus Kampf an mehreren Fronten

Stand: 02.12.2024 04:32 Uhr

Israels Premier Netanyahu steht unter Druck: Gegen ihn läuft ein Prozess wegen Korruption und Amtsmissbrauch. Zudem ermittelt der Inlandsgeheimdienst wegen Geheimnisverrats. Netanyahu wettert gegen die Justiz.

Benjamin Netanyahu ist ein Premierminister im Krieg. Wenn er besonders betonen will, wie sehr Israel zur Zeit bedroht wird, dann spricht er von einem "Krieg an sieben Fronten", den er führt. Er sei der einzige, der das Land schützen könne.

Statt sieben Fronten sprechen Beobachter inzwischen von einer achten Front, die hinzugekommen sei. Denn der Premier kämpft gegen einige der wichtigsten Institutionen des Landes: gegen die Justiz und einen Prozess wegen Korruption und Amtsmissbrauch in mehreren Fällen.

Zudem geht es um den Inlandsgeheimdienst, der in seinem direkten Umfeld wegen Geheimnisverrats ermittelt. Enge Mitarbeiter sollen geheime Informationen weitergegeben haben, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen - möglicherweise mit dem Wissen Netanyahus. Der Premier wehrte sich in einer Videobotschaft auf Facebook Ende November gegen die Vorwürfe mit markigen Worten: "Diese Hexenjagd ist nicht nur gegen mich, den Premier gerichtet", sagte er. "Sie richtet sich gegen Euch, gegen das Volk, das mich gewählt hat, und meine Führung, um unsere Feinde zu bezwingen."

Beobachter sprechen von Krieg gegen die Demokratie in Israel

Netanyahus Krieg gegen israelische Institutionen ist für kritische Beobachter wie Matan Hodorov am Ende auch ein Krieg gegen Israel als demokratischer Staat. "Ich glaube wirklich, dass das die achte Front ist", sagte Hodorov im Fernsehsender Channel 13. "Wenn sich mitten im Krieg die Spitzen des Sicherheitsapparats und die Rechtsberater, die den Staat vor internationalen Gerichtshöfen verteidigen, auch mit dem Premierminister auseinandersetzen müssen, der gleichzeitig versucht, sie von ihren Posten abzusetzen und wie ein autokratischer Herrscher versucht, die Gremien zu beherrschen, die ihn eigentlich kontrollieren sollten, dann ist das die achte Front gegen die israelische Demokratie."


Netanyahu ist der erste israelische Premierminister, der während seiner Amtszeit angeklagt wird. Eigentlich sollte er diese Woche vor Gericht erscheinen und aussagen. Drei Tage die Woche, jeweils mehr als sechs Stunden. Die Gerichtstermine wurden noch einmal um ein paar Tage verschoben, aber im Raum steht die Frage, ob er angesichts dieses Prozesses überhaupt sein Amt ausüben kann.

Kommunikationsminister kritisiert Justiz

Für seine Getreuen ist das ein Grund, die israelische Justiz infrage zu stellen. "Ich mache mir keine Sorgen um eine mögliche Amtsunfähigkeit", sagte Kommunikationsminister Shlomo Karhi. Das sei nicht realistisch. "Es gibt keinen demokratischen Staat, in dem ein Beamter den Premierminister für amtsunfähig erklärt, nur, weil ihm sein Vorgehen nicht gefällt. Das ist keine Demokratie. Wir sind noch nicht an dem Punkt eines juristischen Putschs angelangt", sagte der Minister. Das Gericht habe keine Befugnis. Die einzigen, die befugt seien, den Premierminister seines Amtes zu entheben, seien entweder die Abgeordneten oder das Volk an der Wahlurne, betonte Karhi.

Bereits vor dem 7. Oktober hatten Netanyahu und seine rechtsextremen und ultrareligiösen Koalitionspartner versucht, den Einfluss der Regierung auf die Justiz zu vergrößern - zum Beispiel mit Blick auf die Ernennung von Richterinnen und Richtern. Viele Bürger sehen das als Gefahr für den Rechtsstaat Israel. Woche für Woche gingen Hunderttausende im Protest auf die Straße.

Welche Rolle spielt der Inlandsgeheimdienst?

Inzwischen wettert Netanyahu aber auch gegen Institutionen wie den Inlandsgeheimdienst Schin Bet, weil der gegen ihn ermittelt. "Für Netanyahu ist der Inlandsgeheimdienst eine echte Bedrohung", sagte der ehemalige Chef der Behörde, Ami Ayalon. "Er ist die einzige Organisation, die zerstört werden muss, wenn der Premierminister ein autoritäres System wählt und die Demokratie zerstören will." Es sei die einzige Organisation, die per Definition die Aufgabe habe, die Demokratie und ihre Einrichtungen zu verteidigen, sagte Ayalon. "Das heißt, dass ihm jeder Sicherheitsbeamter sagen würde, er sei hier, um dem Königreich aber nicht dem König zu dienen."

Israels Kommunikationsminister Karhi hat bereits offen davon gesprochen, dass die Regierung das "Regime" verändern könne. Netanyahu selbst verweist auf die anderen Fronten und sagt, dass das Land zusammenstehen müsse. "Bürger Israels, wir kämpfen an sieben Fronten und wir kämpfen auch an dieser Front", sagte der Premier. "Am Ende wird die Wahrheit siegen. Geben Sie dem Terror nicht nach und verlieren Sie nicht die Hoffnung." Große Massenproteste gegen ihn und seine Regierung muss Netanyahu zur Zeit wohl nicht fürchten. Dafür fehlt vielen Israelis nach fast 14 Monaten Krieg die Kraft.