Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern beim Gedenken in Christchurch zwei Wochen nach dem Anschlag
Porträt

Jacinda Ardern Die Kümmerin muss liefern

Stand: 17.10.2020 03:10 Uhr

Mit Empathie führte Neuseelands Premierministerin Ardern ihr Land durch mehrere Krisen. Ihre Anhänger erwarten nun aber handfeste Ergebnisse.

Wo Jacinda Ardern derzeit auftritt, ist sie umringt von Wählern. Es sind die letzten Tage im Wahlkampf ohne Masken und Abstand, denn Neuseeland ist offiziell Covid-19-frei. Mitte März hatte die Premierministerin die Grenzen schließen lassen und ihrem Land einen knallharten Lockdown verordnet. Mit Sprüchen wie "Wir sind ein Team von fünf Millionen", schwor sie ihre Landsleute ein. Die Wirtschaft brach ein, doch viele Wähler sind ihr heute dankbar, dass sie dafür jetzt weitgehend ihren normalen Alltag wiederhaben.

Neuseelands Premierministerin kann Menschen für sich einnehmen. Sie ist sozialdemokratisch, progressiv - und für eine Regierungschefin mit 40 Jahren verhältnismäßig jung. Sie ist beliebt, auch bei Menschen, denen ihre Politik nicht schmeckt. Oft bei wichtigen Terminen mit dabei: ihr Partner Clarke Gayford und Tochter Neve Te Ahora.

Ahora heißt Liebe in der Sprache der Maori. Neuseelands Kolonialgeschichte ist ab 2022 Pflichtfach in den Schulen - das hat Ardern durchgesetzt. Sie selbst lernt auch Maori und sagt: "Wir Neuseeländer sind bereit, ehrlich über unsere Geschichte zu reden, uns selbst in Frage zu stellen. Aber wir bleiben dabei optimistisch. Schon allein das unterscheidet uns von anderen."

Ihr Credo: Mehr Menschlichkeit

Jacinda Ardern ist als Tochter eines Polizisten in einem Mormonenhaushalt aufgewachsen. Bereits mit 17 wird sie Sozialdemokratin. Mehr Menschlichkeit in einer globalisierten Welt - das ist ihr Credo: In ihrem Staatshaushalt gibt es daher ein "Wellbeing Budget", ein Budget für das Wohlbefinden. Es sieht mehr Geld für arme Familien und für psychologische Betreuung vor.

Themen, die auch vielen Maori wichtig sind, so Fernsehmoderator Scotty Morrison. Und doch seien viele von ihr enttäuscht. Ardern habe beim Amtsantritt viel versprochen, aber noch immer seien Maori genauso arm wie vorher. "Sie holen ein paar Statistiken hervor, die zeigen, wieviel Geld sie in die ländlichen Gebiete investieren und wie das den Maori helfen kann, Jobs zu bekommen und damit einen höheren Lebensstandard und eine bessere Gesundheit", kritisiert Morrison. "Ich glaube, viele Maori hätten lieber ein paar mehr greifbare Ergebnisse."

Mit Kind vor die UN

Kurz nach Amtsantritt 2017 wird Arderne schwanger, lebt ein modernes Familienbild: Vor allem ihr Partner kümmert sich um Tochter Neve. Als erste Staatschefin nimmt sie ihr Baby mit zur UN-Vollversammlung. Sie spricht über den Klimawandel und kündigt ein Nullemissionsgesetz für ihr Land an. Im traditionell geprägten Südwesten Neuseelands ist man nicht begeistert.

Die Klimapolitik der Regierung Ardern hat die idyllische Welt von Schafbauern wie Randall Aspinall ins Wanken gebracht. Schafe und Kühe sind für einen Großteil aller CO2-Emissionen des Landes verantwortlich. Nun sollen die Bauern bis 2030 mindestens zehn Prozent Emissionen einsparen, sonst drohen Strafen. Politisch naiv nennt das Randall: "Ihre Regierung ist so unerfahren, weiß nicht recht, wie man ein Land, wie man ein Unternehmen erfolgreich führt und Veränderungen umsetzt. Vieles wird nur aus ideologischen Gründen schnell durchgezogen statt gründlich zu durchdenken, wie man es am besten machen sollte."

Neuseelands Premierministerin Ardern reist 2018 zu den Vereinten Nationen mit ihrem neugeborenen Kind an.

Mit Baby zur UN - dieser Auftritt trug Premierministerin Ardern viele Sympathien ein.

Mit Empathie gegen den Terror

2019 geht ein Bild um den Globus: Ardern mit Kopftuch nach dem Terroranschlag in Christchurch. Sie ändert die Waffengesetze und zeigt der Welt, wie man eine Krise mit Stärke und Empathie bewältigt und sagt: "They are us - Die Muslime gehören zu uns."

Das kommt an. Auch am privaten King's College, einer Institution in Neuseeland. Die Schule steht für konservative Werte. Doch viele Elf- und Zwölfklässlerinnen sind im Jacinda-Fieber. Queen Cindy nennen sie hier manche. Die Premierministerin hat die Studiengebühren fürs erste Studienjahr abgeschafft, aber vor allem, so erzählen sie, kann die 40-Jährige Menschen für Politik begeistern.

Nur stark auf Titelbildern?

International wird die Premierministerin für ihren empathischen Regierungsstil von vielen als "Anti-Trump" gefeiert: Sie war auf den Titelblättern von "Vogue", "Vanity Fair" und "Time Magazine". Die Opposition zu Hause aber spottet: Sie sei mehr Cover Girl als politisches Schwergewicht. Deshalb hat Ardern in den letzten Monaten des Wahlkampfs alle internationalen Interviewanfragen abgelehnt, ihre volle Konzentration gilt jetzt den Wählern daheim.

Ausgerechnet in der Sozialpolitik hat sie bisher kaum geliefert. Die Kinderarmut ist nach wie vor hoch und in Auckland sind Wohnungen und Häuser für Normalverdiener kaum zu bezahlen. Eine "Menschenrechtskrise", urteilt die UN. 100.000 neue Wohnungen in zehn Jahren hat die Regierung Ardern versprochen, aber bisher ist kaum etwas gebaut.

Vor neuem Mandat und mit glänzenden Aussichten

Auch bei bei Aucklander Radiostation "Newstalk ZB" wird das kritisiert. Einer der einflussreichsten, konservativen Kommentatoren hier ist Mike Hosking. Er führt jede Woche mit Ardern ein Interview. Ohne die Covid-Pandemie hätte es für die Premierministerin knapp werden können, sagt Hosking. Nun bekommt sie wohl eine zweite Amtszeit. Egal, wie es ausgeht, der Kommentator prophezeit der Globalistin noch eine lange Karriere auch jenseits des kleinen Neuseelands, zum Beispiel bei der UN. "Wenn die Wähler hier sie morgen feuern, würde sie irgendwo auf der Weltbühne landen und versuchen, das Klimaproblem zu lösen oder die Armut oder was auch immer. Sie ist durch und durch Politikerin", sagt Hosking.

Im Moment sieht alles erst einmal nach einer zweiten Amtszeit aus. Die Opposition mit der konservativen National Party ist nach mehreren Führungswechseln deutlich geschwächt. Ardern hat gezeigt, dass sie in großen Krisen die richtigen Worte findet, doch in den kommenden Jahren erwarten ihre Landsleute nun von ihr konkrete Ergebnisse - vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 17. Oktober 2020 um 03:15 Uhr.