EU-Referendum in den Niederlanden Der Musterknabe wird zum Quertreiber
Der einstige Musterknabe Europas ist zum Quertreiber geworden: 2005 das Nein zur europäischen Verfassung, jetzt das Nein zum Abkommen mit der Ukraine. Wieder einmal hat das Volk die Politik überstimmt.
"Die demokratische Revolution hat begonnen. Die Bar ist geöffnet!“: In der Referendumsnacht gab es für Thierry Baudet und seine Anhänger reichlich Grund zu feiern. Als Mitinitiator des Referendums freute sich der niederländische Jurist und Publizist über das klare Votum der Bürger.
61 Prozent haben Nein gesagt und dem Land damit einen Bärendienst erwiesen. Das jedenfalls glaubt Hans de Boer, der Vorsitzende des größten Niederländischen Arbeitgeberverbandes: "Für unsere Position im Ausland, für unser Image als offenes, international orientiertes Land war das ein düsterer Tag."
Niederlande verspielen ihren Ruf
Als Mitbegründer der Europäischen Union seien die Niederlande gerade dabei, ihren guten Ruf als verlässlicher Partner in Europa zu verspielen. Denn natürlich, so de Boer, frage man sich jetzt nicht nur in Brüssel: "Was ist die Unterschrift eines niederländischen Ministers oder eines Kabinetts überhaupt noch wert? So wirst du ganz schnell zu einer Art Bananenrepublik, die keiner mehr ernst nimmt." Und das koste den Niederlanden Arbeitsplätze und Geld, und das sei schade.
De Boer verweist auf Zeitungskommentare im Ausland. In französischen Medien werden die Niederlande schon als Spielverderber bezeichnet. Und die britische Wochenzeitung "The Economist" schreibt sinngemäß: Während die Ukrainer im Elend versinken, machen die Niederländer Mätzchen. Eignet sich ein so komplexes Thema wie das Assoziierungsabkommen überhaupt für eine Volksabstimmung? Darüber wird nun auch in den Niederlanden kontrovers diskutiert.
"Bürger und Politiker müssen mit dem neuen Instrument umgehen lernen"
Jan Leppink hat sich nicht an dem Referendum beteiligt. Der Ingenieur aus Delft zählt damit zu den fast 70 Prozent der Stimmberechtigten, die zu Hause geblieben sind. Es sei nicht seine Aufgabe, so Leppink, über ein 300-seitiges Vertragswerk zu urteilen, das sich mit Handel, Zöllen und Visafragen beschäftige. "Ich gehe alle vier Jahre zur Wahl und stimme für eine Partei, der ich in vielen Dingen, mit denen ich mich auskenne, vertraue. Und ich gehe davon aus, dass diese Partei auch in Dingen, von denen ich keine Ahnung habe, meine Interessen vertritt."
Hat sich die Politik mit dem seit neun Monaten geltenden Referendumsgesetz also ein Ei ins Nest gelegt? Weil die Themen viele Menschen inhaltlich überfordern oder von bestimmten Gruppierungen für ihre Zwecke missbraucht werden? Nein, sagt der niederländische Sozialminister und Vize-Premier Lodewijk Asscher. Allerdings müssten Bürger und Politiker noch lernen, mit diesem neuen Instrument umzugehen. In diesem Fall sei vorab zu wenig diskutiert und zu stark polarisiert worden. Doch an sich hält der Sozialdemokrat Volksabstimmungen für eine gute Sache. "Man sieht, dass in Ländern, die häufiger von Referenden Gebrauch machen, solche Abstimmungen zu guten Diskussionen führen. Dann ist so ein Referendum eine Bereicherung für die Demokratie. Und dann ist es etwas Gutes."