Interview zu Machthaber Kim Jong Un Wird er Nordkoreas Gorbatschow?
Machthaber Kim Jong Un ist wieder da. Er soll nur unter Unwohlsein gelitten haben, melden staatliche Medien. Das sei glaubhaft, sagt der Nordkorea-Experte Rüdiger Frank gegenüber tagesschau.de. Kim agiere offener - und könnte Nordkoreas Gorbatschow werden.
tagesschau.de: Kim Jong Un soll sich wieder in der Öffentlichkeit gezeigt haben. Wie bewerten Sie das?
Rüdiger Frank: Die ganze Geschichte sollte nicht überbewertet werden. Die nordkoreanischen Medien haben uns die Wahrheit gesagt - was öfter vorkommt, als man denkt. Kim Jong Un habe ein kleines "Unwohlsein" gehabt und nun sei er eben wieder da. Und tatsächlich war es wohl so, dass er nur eine Beinverletzung hatte.
tagesschau.de: Sie sagen, die nordkoreanischen Medien seien glaubhafter als man gemeinhin annehme?
Frank: Die PR-Politik unter Kim Jong Un ist deutlich offener als die seines Vorgängers. Das "Unwohlsein" wurde nicht einfach totgeschwiegen und er war einfach so sechs Wochen weg, sondern es wurde angekündigt und Kim wird nun mit einem Gehstock gezeigt. Es wird also offen damit umgegangen, dass der große Führer ein Mensch ist. Dazu kommt die propagandistische Botschaft, dass er sich für sein Volk abschuftet - ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit.
tagesschau.de: Doch während der jüngsten Feierlichkeiten wurde noch nicht so offen darüber berichtet, was mit Kim Jong Un ist.
Frank: Das war lediglich ein unrunder Jahrestag der Parteigründung. In Nordkorea gibt es alle paar Wochen mal einen Jahrestag. Das sollte man nicht überbewerten.
tagesschau.de: Ist es denn ein Zeichen von Schwäche, wenn sich Kim wie jetzt präsentiert, gestützt auf einen Stock?
Frank: Nein. Er sitzt offenbar so fest im Sattel, dass er meint, sich solche Bilder leisten zu können. Und in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit war er äußerst präsent. Inzwischen hat er seine Macht wohl so sehr gefestigt, dass er nicht mehr bei jedem Jahrestag persönlich dabei sein muss. Da schickt er dann mal jemand anderes hin. Das zeigt, dass Kim Jong Un auf Arbeitsteilung setzt - und das ist für mich ein Zeichen von Stärke. Allerdings achtet auch Kim Jong Un darauf, dass sich niemand dauerhaft festsetzt als Nummer Zwei.
Die erste First Lady Nordkoreas
tagesschau.de: Woran machen Sie es noch fest, dass es einen neuen Führungsstil unter ihm gibt?
Frank: Es fing damit an, dass sich Kim Jong Un nach seinem Amtsantritt 2011 sehr schnell in der Öffentlichkeit gezeigt hat - ganz im Gegensatz zu seinem Vater und Vorgänger, der drei Jahre gewartet hatte. Kim Jong Un hat auch schnell damit begonnen, Ansprachen an das Volk zu halten. Er hat im April 2012 zugegeben, dass ein Raketenstart fehlgeschlagen war - eine ungewohnte Offenheit. Ebenfalls 2012 stellte er seine Ehefrau vor, damit hat Nordkorea eine amtierende First Lady. Das gab es vorher auch nicht.
Kim Jong Un hat sogar öffentlich kritische Töne anklingen lassen und Dinge benannt, die ihm nicht gefallen haben. Das ist ein großer Unterschied in der PR-Politik gegenüber seinem Vorgänger.
tagesschau.de: Ist das denn nur ein Imagewandel oder gibt es auch einen inhaltlichen Kurswechsel?
Frank: Es ist beides. Wir reden immer noch von einer Diktatur. Aber für Kim Jong Un gibt es eine Notwendigkeit, anders aufzutreten. Seine Legitimation zur Herrschaft ist eine ganz andere als die seines Vorgängers. Sein Vater Kim Jong Il war nicht nur der älteste Sohn des Staatsgründers, sondern auch über Jahrzehnte hinweg dessen rechte Hand.
Kim Jong Un ist hingegen "nur" der Enkel. Daher setzt er auf einen pragmatischen Stil, um die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern und so zu beweisen, dass er der richtige Führer ist. Da er sich über diesen Pragmatismus als Herrscher legitimieren will, muss er natürlich auch ganz anders auftreten. Da kann er sich nicht als geheimnisvolle Figur im Hintergrund inszenieren, sondern eher als hemdsärmeliger Manager, der sein Volk liebt und mit anpackt. Ich glaube übrigens, das ist auch seine Selbstsicht.
tagesschau.de: Aber eine grundlegende Veränderung ist nicht zu erwarten?
Frank: Eine grundlegende Veränderung ist dann zu erwarten, wenn Kim Jong Un erkennt, dass die bestehenden Verhältnisse im Rahmen des existierenden Systems nicht dauerhaft zu verbessern sind. Zunächst versucht er, das System zu perfektionieren. Er glaubt, das System sei eigentlich gut, auch wenn es Probleme gibt, es müsse nur besser umgesetzt werden. Der Tag wird kommen, an dem Kim Jong Un erkennen wird, dass der eigentliche Fehler das System an sich ist. Meiner Einschätzung nach wird das noch drei bis fünf Jahre dauern. Dann wird er sich entscheiden müssen zwischen echten Reformen mit wirtschaftlichen Privatisierungen, oder versuchen sich weiter durchzuwursteln, so wie es seine Vorgänger getan haben.
Ich meine, Kim Jong Un ist eher bereit, das Risiko einzugehen und den Weg der Reformen zu gehen. Wie das dann ausgeht, weiß niemand. Wird er zum Gorbatschow Nordkoreas, der sein Land reformiert aber die eigene politische Macht ruiniert? Oder wird er zu Deng Xiaoping, der die Wirtschaft reformiert und gleichzeitig das Machtmonopol der kommunistischen Partei aufrecht erhält?
Kritisieren, aber nicht isolieren
tagesschau.de: Was heißt das für die internationale Gemeinschaft im Umgang mit Nordkorea?
Frank: Die internationale Gemeinschaft sollte sehr konsequent Kritik an Nordkorea äußern, was beispielsweise die Menschenrechte oder Atomwaffen angehen. Es bringt gar nichts, das zu verschweigen. Es ist unser Recht und auch unsere Pflicht, dies auf die Tagesordnung zu setzen. Gleichzeitig muss man aber auch bereit sein, pragmatische Schritte zu unterstützen.
Es gibt im Nordosten von Nordkorea eine Sonderwirtschaftszone. Dort haben die Nordkoreaner ein bemerkenswertes Investitionsklima geschaffen, das vom Westen aber weitestgehend ignoriert wird. Das ist schade. Denn wirtschaftliche Kooperation und Handel sind sehr wichtig, denn dann hat Nordkorea auch ein viel größeres Interesse daran, was wir über sie denken.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de