Flucht aus Nordkorea "Dein Glück, wenn du durchkommst"
Etwa 1000 Nordkoreaner pro Jahr schaffen es, aus ihrem Land zu fliehen. Die wenigsten sind bereit, sich mit Journalisten zu treffen, weil sie Angst vor Agenten des Regimes in Pjöngjang haben. Zwei von ihnen haben sich getraut, über ihre Flucht zu sprechen.
Der Weg von Nord- nach Südkorea ist weit und gefährlich. Weit, weil es ein mühseliger Umweg ist, der meist über China, Laos und Thailand führt. Erst in Bangkok können sich die Flüchtlinge sicher fühlen, wenn sie die Botschaft Südkoreas erreicht haben.
Gefährlich ist die Reise aber vor allem zu Beginn, erzählt Lee: "Es war sehr gefährlich. Vor allem in China, wo es viele Polizeikontrollen gibt. In Laos mussten wir uns immer vor dem Militär in acht nehmen." China und Laos schicken Flüchtlinge nach Nordkorea zurück, wenn sie sie aufgreifen.
Fahnenflucht wird mit Erschießen geahndet
Davor hatte auch Kim Angst, die gemeinsam mit Lee in den Räumen einer Hilfsorganisation im südkoreanischen Gwangju sitzt. "In China habe ich mich fast vier Jahre lang versteckt. Am Anfang habe ich gar nicht geredet, denn ich konnte ja kein Chinesisch. Ich war sehr vorsichtig, um nicht entdeckt zu werden." Und Lee erzählt: "Es gibt in China Mittelsmänner, die sich darum kümmern. Aber sie übernehmen keine Verantwortung. Wenn du durchkommst, ist es dein Glück. Wenn nicht, laufen sie weg und überlassen dich deinem Schicksal."
Chinesische Polizisten in Shenyang hindern eine Nordkoreanerin am Betreten des japanischen Konsulats. (Archivbild 2002)
In seinem Fall wäre es allerdings tödlich gewesen. Denn der 30-jährige Lee war Elitesoldat, auf zwölf Jahre der Armee verpflichtet. Fahnenflucht wird mit Erschießen geahndet. Trotzdem ist er das Risiko eingegangen, damit die Familie zusammenbleibt: "Meine Mutter und meine Schwester waren ja schon hier im Süden. Ich selber hatte kein Geld, aber sie haben für mich gesammelt. Soweit ich weiß, haben sie dem Schlepper 10.000 Dollar gegeben."
Nordkoreanerinnen in China Freiwild
Frauen gelingt die Flucht oft leichter, weil sie als Landarbeiterinnen verkleidet nicht so auffallen, wenn sie die Grenze zu China überqueren. Außerdem gelten sie als "nicht so wichtig" für den Staat. Wenn sie erwischt werden, werden sie meist nicht exekutiert, sondern ins Arbeitslager gesteckt. Doch auch wenn die Flucht gelingt, drohen Gefahren, erzählt Kim: "Meine große Schwester ist schon vier Jahre vor mir nach China geflohen und hat sehr gelitten."
Das ist eine schamhafte Umschreibung für Vergewaltigung. In China sind nordkoreanische Frauen Freiwild - ohne Recht, ohne Schutz. Und sie müssen mit der Belastung fertig werden, ihre Familien im Stich gelassen zu haben. Um ihre Eltern zu schützen, sagt Kim, habe sie nichts von ihren Fluchtplänen erzählt, sondern ist - wie schon ihre Schwester zuvor - einfach bei Nacht und Nebel verschwunden. "Unsere Eltern waren sehr traurig. Aber ich wollte mein eigenes Leben leben, und ich habe gemerkt, dass ich das in Nordkorea nicht kann."
Bis dir ein Fehler unterläuft ...
In Nordkorea gebe es ja nur Gemeinschaftsaktivitäten. "Es ging nie um meine Wünsche, alles war gesteuert. Dann habe ich mit Freunden heimlich südkoreanische Fernsehserien gesehen. Da habe ich gemerkt: Es gibt noch eine ganz andere Welt da draußen. Ich wollte unbedingt raus."
Das gilt nicht für Lee. Innerhalb des Systems könne man ja auch leben, erzählt er: "Als guter Soldat konnte ich zur Militär-Universität gehen, und ich muss sagen, ich hab mich dort ganz wohl gefühlt." Die meisten Leute fänden das Regime gut. "Und wenn man dir dann immer sagt, dies ist das beste Land der Welt und wir sind die glücklichsten Menschen, dann bist du der Regierung dankbar, dass sie sich so um dich kümmert." Solange man keine Fehler mache, solange man sich an das halte, was die Regierung sagt, könne man ganz gut leben.
"Die meisten Leute finden das Regime gut": Bei einer Massenkundgebung in Pjöngjang bekunden tausende Nordkoreaner ihre Unterstützung für Machthaber Kim Jong Un.
Dasselbe Nordkorea, und doch so unterschiedlich
An dieser Stelle protestiert Kim: "Lee und ich kommen zwar aus demselben Nordkorea, aber ich glaube, wir haben das Land sehr unterschiedlich erlebt. Lee sagt, man könne gut leben, wenn man kein Verbrechen begeht. Aber was in Nordkorea als Verbrechen gilt, hat nichts mit Verbrechen zu tun."
Lee bereut seine Flucht. Im Norden gehörte er zur Elite, hier ist er einfacher Arbeiter. Und Kim? Die 25-jährige Studentin steckt voller Optimismus: "Ich würde es auf jeden Fall wieder probieren", lacht sie.