Wahl in Österreich "Lass es endlich vorbei sein"
Erst Brexit. Dann Trump. Jetzt Österreich? Mit bangem Blick schaut Europa auf die Präsidentenwahl am Sonntag. Und die Österreicher? Sie seien angeekelt vom Dauerwahlkampf, berichtet ARD-Korrespondent Ralf Borchard. Ein Interview über Emotionen, Hasspostings und den Trump-Effekt.
tagesschau.de: "Wilde verbale Keilerei", "Hauen und Stechen", "Blutgrätsche", so wird das letzte TV-Duell zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen in den Medien beschrieben. Wie polarisiert ist Österreich vor der Bundespräsidentenwahl am Sonntag?
Ralf Borchard: Es ist eine Richtungswahl. Der Frust in der Gesellschaft sitzt tief, sie ist gespalten. Das zeigt sich auch in der Analyse der Stichwahl vom Mai: Die Mehrheit auf dem Land hat eher für Hofer gestimmt, während die Stadtbevölkerung Van der Bellen ihre Stimme gegeben hat. Diese Trennlinie vollzieht sich auch zwischen Männern und Frauen. Und die Sozialen Netzwerke haben zur Polarisierung beigetragen - der Umfang von Hasspostings war enorm. Viele Menschen sind inzwischen so angeekelt, die hoffen nur noch: Lass es endlich vorbei sein.
Erfolgreiches Merkel-Bashing
tagesschau.de: Zeigt sich die Spaltung auch im Alltag?
Borchard: Ja, ich habe es persönlich beim Heurigen, den traditionellen Weinlokalen, erlebt. Die Diskussionen zur Wahl haben eine wahnsinnige Emotionalität. Und in meinem Fall wird das Gespräch, sobald klar ist, dass ich Deutscher bin, auf Merkel gelenkt. Die Kanzlerin wird als Ursache für die Flüchtlingsproblematik gesehen. Die FPÖ hat "Merkel-Bashing" erfolgreich etabliert.
tagesschau.de: Was hat sich seit der Stichwahl im Mai verändert, aus der Van der Bellen mit knapper Mehrheit als Sieger hervorgegangen ist?
Borchard: Zwei Ereignisse sind wichtig: Das Brexit-Votum in Großbritannien hat Van der Bellen Aufwind gegeben. Zwar sind die Österreicher traditionell Europa-kritisch, eine Spaltung Europas wollen sie dennoch nicht. Das hat auch die FPÖ realisiert und daraufhin ihren anti-europäischen Wahlkampf zurückgefahren. Der zweite entscheidende Punkt war das Ergebnis der US-Wahl.
Frust über Große Koalition sitzt tief
tagesschau.de: Wem hilft der Trump-Sieg?
Borchard: In Österreich kommt Trump als Person nicht gut an. Das könnte Van der Bellen zu Gute kommen. Andererseits steht der Ausgang der US-Wahl auch für einen Sieg des Anti-Establishments und das wiederum spielt der Protest-Partei FPÖ und ihrem Kandidaten Hofer zu. Der Frust gegen die Große Koalition und das Bisherige sitzt tief in Österreich. Die Niederlage Clintons wird da als Zeichen des Aufwinds gewertet. Nun muss sich zeigen, welches Lager seine Anhänger am Sonntag besser mobilisieren kann.
tagesschau.de: Hofer hatte das Ergebnis angefochten, dennoch haftet ihm nicht das Image des schlechten Verlierers an. Woher rührt seine Popularität?
Borchard: Die Wahlkampfstrategie der FPÖ ist aufgegangen. Parteichef Heinz-Christian Strache war für die Abteilung "Attacke" zuständig. Er hat die schärfe in die Diskussionen gebracht, den Gegner angefeindet. Hofer hingegen konnte sich als der Sanfte präsentieren. Damit ist die Partei gut gefahren. Dazu ist Hofer rhetorisch geschickt und kann den nachdenklichen, sehr langsam sprechenden Van der Bellen leicht an die Wand spielen. Das verstärkt den Eindruck, dass Hofer der jüngere, etwas frischere Kandidat ist.
Kanzler FPÖ-Mann Strache?
tagesschau.de: Sie sagten, die Große Koalition sei so unbeliebt. Wie wahrscheinlich ist es, dass im Frühjahr nach der Präsidentenwahl gleich die nächste Neuwahl ansteht?
Borchard: Das ist sehr wahrscheinlich. Hinter den Regierungskulissen werden schon Termine im Frühjahr 2017 oder Sommer gehandelt. Der positive Effekt nach der Kanzler-Wahl von Christian Kern ist verpufft, die Großkoalitionäre von SPÖ und der christlich-konservativen ÖVP behaken sich. Vor allem, wenn Hofer gewinnt, muss die Regierung wahrscheinlich aufgelöst werden. Für den Fall prophezeien Politikwissenschaftler der FPÖ einen Doppelcoup: Strache könnte Kanzler werden.
Österreich steht unter Beobachtung
tagesschau.de: Das europäische Ausland schaut gespannt und vielerorts auch mit bangem Blick nach Österreich - und ob sich der Rechtsruck fortsetzt. Ist von dem Druck zu spüren?
Borchard: Im Vordergrund steht erst einmal die innenpolitische Entscheidung für die Wähler. Soziale Abstiegsängste, Migration oder die Globalisierung bestimmen die Entscheidung. Aber daneben spielt auch die Frage eine Rolle: Wie wollen wir uns im Ausland präsentieren? Beim Kandidaten Van der Bellen war genau das auch Thema seines Wahlkampfes: Er hat eine Kontinuität und Diplomatie versprochen, während Hofer für Konfrontation in der EU und eine Neuausrichtung beispielsweise im Umgang mit Russland steht.
tagesschau.de: Die Wahl wird oftmals mit der in den USA in Verbindung gebracht. Welche Parallelen gibt es?
Borchard: Das Unerbittliche in der Debatte hat Ähnlichkeit und die Polarisierung zwischen traditionell linkem und rechtem Lager. Auch die Emotionalität statt einer zielorientierten Diskussion kennen wir eher aus den USA. Zudem ist in den Sozialen Medien eine Parallelwelt entstanden. In diesem Wahlkampf waren Aussagen möglich, die früher undenkbar schienen. Direkte Vergleiche zwischen Trump und Hofer halte ich jedoch für falsch: Hofer hat sich als sanft und freundlich präsentiert - im Gegensatz zu Trump. Und während der US-Unternehmer auf Konfrontation mit seiner Partei gegangen ist, kann sich Hofer der Unterstützung durch die FPÖ sicher sein.
Das Interview führte Judith Pape, tagesschau.de
Bei der Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl am Sonntag könnte in der Alpenrepublik erstmals ein Rechtspopulist zum Staatsoberhaupt gewählt werden. Gemeint ist der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer, der in Umfragen gleichauf mit dem grünen Kandidaten Alexander Van der Bellen liegt. Nach einem elfmonatigen, von Pannen, Pleiten und üblen Schlammschlachten geprägten Wahlkampf ist der Ausgang des Urnengangs völlig offen.
In der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl im April hatte der 45-jährige Hofer die Kandidaten der Parteien aus dem Rennen geworfen, die die österreichische Politik seit Jahrzehnten dominierten. Die Bewerber der sozialdemokratischen SPÖ und der konservativen ÖVP schieden mit mageren elf Prozent aus. Stattdessen kam der meist höflich und lächelnd auftretende FPÖ-Vize mit rund 35 Prozent unerwartet auf den ersten Platz.
Die Stichwahl im Mai gewann zwar der 72-jährige Van der Bellen zunächst mit einem hauchdünnen Vorsprung von 31.000 Stimmen, doch die rechtsgerichtete FPÖ zog wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahl vor Gericht - und bekam Recht. Fassungslos nahmen die österreichischen Wähler und der Rest Europas dann die nächste Panne zur Kenntnis: Die geplante Wiederholung der Stichwahl Anfang Oktober musste wegen eines nicht haftenden Klebers auf den Briefwahlumschlägen verschoben werden.