Nachbarschaftspolitik der EU Wo endet Europa?

Stand: 07.05.2009 20:34 Uhr

Sie sind politisch instabil und haben massive Demokratiedefizite: Dennoch will die EU heute in Prag mit sechs Ex-Sowjetrepubliken eine "östliche Partnerschaft" besiegeln. Dabei hat sich die EU-Nachbarschaftspolitik bisher als wenig ertragreich erwiesen. Eine Analyse von tagesschau.de.

Sie sind politisch instabil und weisen massive Demokratiedefizite auf: Dennoch besiegelte die EU in Prag mit sechs Ex-Sowjetrepubliken eine "östliche Partnerschaft". Dabei hat sich die EU-Nachbarschaftspolitik bisher als wenig ertragreich erwiesen. Die Gründe dafür sind vielfältig.  

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Als Rumänien und Bulgarien in die EU eintraten, war das Maß zunächst einmal voll. Um 27 Staaten mit fast 500 Millionen Einwohnern auf Dauer koordinieren zu können, müsse die EU erst einmal zur Ruhe kommen und die eigenen Strukturen straffen, so die weit verbreitete Meinung Anfang 2007.

Doch weitere Länder klopfen an die Pforten der EU. Die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien sollen bis Jahresende abgeschlossen sein. Andere Balkanstaaten stehen auf der Warteliste, und auch einige Ex-Sowjetrepubliken setzen auf die EU. Sie erhoffen sich wirtschaftlichen Aufschwung, weniger strenge Visa-Regeln und Schutz vor Russland. Die EU hat wiederum Interessen in Osteuropa: an neuen Märkten, Stabilität an den Außengrenzen und einem Korridor für Energieimporte - auch an Russland vorbei. 

Demokratiedefizit ist nur ein Problem

So band die EU die Nachbarn in Projekte wie die Schwarzmeersynergie oder die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) ein, der auch die Mittelmeerstaaten angehören. Um der ENP eine "spezifische östliche Dimension" zu geben, kommt nun die "östliche Partnerschaft" hinzu. Sie richtet sich an die sechs Ex-Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Ukraine, Moldawien und Weißrussland. Dass diese Länder Demokratiedefizite aufweisen und einige innenpolitisch instabil sind, ist nur ein Problem. 

Andere Schwierigkeiten betreffen die EU-Strategie gegenüber diesen Nachbarn. So meidet die Union klare Aussagen über ihre eigenen Ziele ebenso wie über die Erweiterungsgrenzen: Für ENP-Länder ist eine EU-Mitgliedschaft nicht vorgesehen. Für die Partner in der "östlichen Nachbarschaft" ist dies prinzipiell möglich.

"Wir müssen ehrlicher und offener sein. Wir müssen diesen Ländern sagen: In den nächsten Jahren gibt es keine Erweiterung, aber die EU bietet Kooperation und Unterstützung an", sagt der Vizechef der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Johannes Swoboda. Damit sich diese Länder endlich ernst genommen fühlten, solle aus der Partnerschaft eine Gemeinschaft mit einem institutionellen Rahmen werden, fordert der österreichische EU-Politiker. Der fehlt beispielsweise bei der Schwarzmeersynergie.

Moskaus sensible Zone

Wird die EU stärker im postsowjetischen Raum aktiv, stößt sie an Russlands Grenzen. Bisher hat Moskau die Nachbarschaftspolitik hingenommen. Nun wirft Außenminister Sergej Lawrow der EU vor, ihre Einfluss-Sphäre erweitern zu wollen. Die eigene Nachbarschaft beansprucht Russland als "Zone privilegierter Interessen", in der Moskau jedoch zusehends an Einfluss verliert. Dass die EU nun Weißrussland in die "östliche Partnerschaft" einbezieht, akzeptiert die russische Regierung. Äußerst verärgert schaute sie aber zu, wie die EU im März mit der Ukraine die Modernisierung des Gasleitungsnetzes vereinbarte.  

Kommt es zu solchen Streitfällen, drohen EU und Russland regelmäßig, die Verhandlungen über das gemeinsame Partnerschaftsabkommen auszusetzen. Wohl auch, um sich nicht ernsthaft mit Russland anlegen zu müssen, hält sich die EU aus den Konfliktregionen vor der Haustür des Kreml heraus.

"Nicht an der Nase herumführen lassen"

So verfolgte sie bezüglich Abchasien und Südossetien die Strategie, lediglich im Umfeld der Konflikte mit Hilfsprojekten aktiv zu werden - bis im August 2008 der Krieg ausbrach und die EU eine Waffenstillstandsvereinbarung vermittelte. Nicht nur, was den Krieg in Georgien angeht, stellt der EU-Politiker Johannes Swoboda eins klar: Die EU müsse klare Forderungen an die annäherungswilligen Länder stellen und dürfe sich nicht an der Nase herumführen lassen. 

Wie schwer sich dies umsetzen lässt, zeigt sich an Aserbaidschan. Das Land am Kaspischen Meer ist wegen der dortigen Gasreserven ein wichtiger Partner. Doch mit dem Nachbar Armenien verbindet Aserbaidschan nur ein brüchiger Waffenstillstand. Grund ist der Konflikt um die Region Berg-Karabach. Beide Länder an einen Tisch zu bekommen, ist ein schwieriges Unterfangen. Wie es ist, wenn die Konflikte in die EU getragen werden, zeigt sich am Beitrittsverfahren für Kroatien. Das EU-Land Slowenien blockiert es, um einen Grenzstreit mit Kroatien zu seinen Gunsten zu entscheiden.  

Schiedsverfahren schon im Vorfeld

Der Sozialdemokrat Swoboda fordert deshalb, dass sich Staaten mit Konflikten noch vor Beitrittsgesprächen auf eine Schlichtungsprozedur einigen müssen. Dabei müsse es noch nicht um die Konfliktlösung selbst gehen. Aber beide Seiten müssten sich bereit erklären, einen Schiedsspruch zu akzeptieren.

Der EU-Parlamentarier Elmar Brok nennt weitere Beitrittsbedingungen. So könne Bosnien-Herzegowina nicht Mitglied werden, solange dort internationale Truppen stationiert seien. Das Kosovo müsse erst seine komplette Staatlichkeit erlangen. Die Teilnehmer der "östlichen Partnerschaft" könnten nach Broks Meinung allerdings eine Aufnahmeperspektive erhalten, wenn sie sich demokratisch entwickelten.

Swoboda geht davon aus, dass es in den kommenden zehn Jahren über die Balkan-Länder hinaus keine EU-Erweiterung geben wird. Dann müsse man neu entscheiden. "Europa ist ein fließender Begriff", sagt er auf die Frage, wo Europa eigentlich endet.