Anschlag in Orlando "Trump will Kapital aus der Tragödie schlagen"
Der Anschlag in Orlando trifft die USA mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Im Gespräch mit tagesschau.de erklärt der amerikanische Journalist Erik Kirschbaum die Terror-Angst der Amerikaner und was die Tragödie für den Wahlkampf bedeutet.
tagesschau.de: Welche Auswirkungen wird die Tragödie von Orlando auf den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf haben?
Erik Kirschbaum: Das kann man derzeit noch schwer absehen. Donald Trump hat ungewöhnlich schnell versucht, Kapital aus der Tragödie zu schlagen. Aber ob sich das langfristig auszahlt, ist schwer einzuschätzen. Es ist jedoch klar, dass die amerikanische Politik und die amerikanischen Medien den Anschlag jetzt über die nächsten Tage, Wochen und Monate diskutieren werden. Deshalb ist es nicht zu vermeiden, dass das Thema sich mit dem Wahlkampf vermischen wird.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt das Thema Terrorismus in diesem Wahlkampf?
Kirschbaum: Die Angst vor einem Terroranschlag ist in den USA ungebrochen hoch. Das spürt man überall. Der Anschlag etwa von San Bernardino im Dezember ist den Menschen noch sehr präsent. Auch der Terrorismus in Brüssel und Paris war großes Thema.
Auf der anderen Seite wird das alltägliche Morden in den Städten der USA kaum wahrgenommen. In Chicago sind in diesem Jahr bereits 500 Menschen durch Schusswaffen ums Leben gekommen. Im ganzen Land liegt die Zahl schon bei 5000. Davon wird kaum Notiz genommen. Der Fokus liegt auf der Gefahr durch den Terrorismus.
tagesschau.de: Das heißt: Es macht es für den Wahlkampf einen Unterschied, ob es sich bei dem Attentäter um einen Einzeltäter handelt oder ob er Verbindungen zur Terrororganisation "Islamischer Staat" hatte?
Kirschbaum: Für die Amerikaner ist es von enormer Bedeutung, ob es eine Verbindung zum "IS" gibt oder nicht. Für den Wahlkampf spielt es allerdings nicht die größte Rolle.
tagesschau.de: Donald Trump setzt schon länger auf eine islamfeindliche Stimmung und brachte etwa ein Einreiseverbot für Muslime ins Spiel. Hat diese Strategie Aussicht auf Erfolg?
Kirschbaum: Bei Trumps Wählern kommen solche einfachen Parolen gut an und steigern seine Popularität. Die meisten anderen werden jedoch schnell merken, dass seine Forderungen ins Leere laufen. Der Attentäter von Orlando wurde vor 29 Jahren in New York geboren. Mit Trumps Vorschlägen hätte man ihn nicht aufhalten können.
tagesschau.de: Trump forderte Präsident Barack Obama sogar zum Rücktritt auf, sollte dieser den Anschlag nicht explizit als "islamischen Terrorismus" bezeichnen. Trifft er damit die Stimmung in der Bevölkerung?
Kirschbaum: Für einige Wähler aus dem konservativen Spektrum ist "radikaler islamischer Terrorismus" ein wichtiger Begriff. Ich finde es allerdings merkwürdig, dass so schnell nach einer Tragödie wie dieser eine Debatte über benutzte Wörter ausbricht. Die Opfer sind gerade einmal einen Tag tot und schon wird darüber diskutiert, welche Begriffe Trump, Clinton und Obama benutzen. Das verwundert mich sehr.
tagesschau.de: Hillary Clinton fordert angesichts des Attentats schärfere Waffengesetze. Hat dieser Vorstoß Aussicht auf Erfolg?
Kirschbaum: Es gibt in Amerika jedes Jahr hunderte Massenschießereien, trotzdem führen die Forderungen nach schärferen Waffengesetzen zu keinen Ergebnissen. Die amerikanische Waffenlobby NRA behindert so gut wie alle Initiativen, um die Verbreitung von Schusswaffen einzudämmen. Der zweite Verfassungszusatz, der den Amerikanern das Recht gibt, Waffen zu besitzen, ist heilig. Heute gibt es in den USA mehr als 200 Millionen Waffen in Privatbesitz. Das ist beängstigend.
tagesschau.de: Clinton lag in den jüngsten Umfragen wieder leicht vor Trump. Wer profitiert von dem Anschlag in Orlando?
Kirschbaum: Bundesweite Umfragen sind für die Wahl nicht so wichtig. Aufgrund des Wahlsystems werden in den USA 50 Wahlkämpfe geführt - einer in jedem Bundesstaat. Florida ist ein sehr wichtiger Staat, da er eine große Bevölkerung hat und mal von Demokraten und mal von Republikanern gewonnen wird.
Normalerweise profitieren die Republikaner stärker von der Angst vor Terrorismus. Das könnte auch diesmal der Fall sein, denn der schreckliche Anschlag lenkt von Fehlern ab, die Trump in der vergangenen Woche gemacht hat. Auf der anderen Seite könnte auch sein, dass sich die Wähler in dieser bedrohlichen Situation eine erfahrene Managerin an der Spitze wünschen, die bei ihrer Reaktion nicht übertreibt. Die Lage bietet beiden, Clinton und Trump, Möglichkeiten, aber auch Gefahren. Es wird vor allem darauf ankommen, wer in den nächsten Tagen und Wochen mehr wie ein Präsident klingt.