Interview

Debatte um Sarrazin und Steinbach "Es gibt Platz für eine rechte Sammlungspartei"

Stand: 10.09.2010 16:42 Uhr

Die Sarrazin-Debatte und der Steinbach-Rückzug aus der CDU-Spitze haben eine Diskussion um eine neue Rechtspartei entfacht. Ein Ex-CDU-Abgeordneter kündigte nun ein entsprechendes Projekt an. Im Interview mit tagesschau.de sagt der Politikwissenschaftler Häusler, es gebe Platz für eine neue rechtspopulistische Partei.

tagesschau.de: Drei Tage nach seinem Ausschluss aus der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat der Parlamentarier René Stadtkewitz die Gründung einer eigenen Partei angekündigt. Er begründete diesen Schritt auch mit der "Hetzjagd" auf Thilo Sarrazin. Die neue Partei "Die Freiheit" solle vor allem frustrierten Nichtwähler ansprechen. Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem eine neue rechte Partei bundesweit Erfolg haben könnte?

Alexander Häusler: Das ist noch nicht ausgemacht, weil noch unklar ist, welche Köpfe mit ins Rennen gehen. Der Erfolg einer solchen Partei hängt davon ab, ob sie unterschiedliche Ängste und Wählerschichten bedienen kann und ob sie auch charismatische Führungspersönlichkeit hervorbringt.

Zur Person
Alexander Häusler ist Sozialwissenschaftler. Er arbeitet bei der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf. Er befasst sich vor allem mit rechtspopulistischen Organisationen.

tagesschau.de: Gibt es generell einen politischen Raum für eine solche Partei?

Häusler: Ganz eindeutig. Es gibt einen Platz für eine neue Sammlungspartei von Rechtsaußen. Diese könnte einen politischen Ort besetzen - nämlich den zwischen der konservativen und der extremen Rechten. Das ist in anderen europäischen Ländern bereits geschehen.

tagesschau.de: Laut Umfragen könnte eine Sarrazin-Partei aus dem Stand bis zu 18 Prozent kommen. Wie bewerten Sie solche Zahlen?

Häusler: Da muss deutlich zwischen Einstellungen wie Nationalismus oder Rassismus und Wahlverhalten unterschieden werden. Alle wissenschaftlichen Studien haben gezeigt, dass es ein Potenzial um diese 20 Prozent gibt, welches ein solches Einstellungsverhalten hat. Dieses Potenzial kann bei Wahlen aber zumeist von den großen Parteien integriert werden. Wie gesagt: Es hängt nun von den Führungspersönlichkeiten einer neuen Partei ab.

Zentrales Thema: antimuslimischer Kulturrassismus

tagesschau.de: Welche gemeinsamen Ziele - und vor allem Feindbilder - verbindet dieses Spektrum?

Häusler: Das inhaltlich Ticket ist ganz eindeutig der antimuslimische Kulturrassismus. Das ist das mehrheitsfähige Feindbild, das bedient werden kann.

tagesschau.de: Reicht denn Angst als Thema für langfristigen Erfolg?

Häusler: Die temporären Erfolge der Schill-Partei in Hamburg haben gezeigt: Dies ist für eine populistische Rechte erst einmal ausreichend, dafür bedarf es keiner Fähigkeit zur Realpolitik. Es kann aber auch weitergehen, wie das Beispiel Geert Wilders in den Niederlanden zeigt. Er spielt fast ausschließlich auf der Klaviatur der Feindbilder - und hat damit das gesamte politische Gefüge verschoben - nach rechts.

"Schill-Partei"
Die "Partei Rechtsstaatliche Offensive", gegründet vom damaligen Amtsrichter Roland Schill aus Hamburg, existierte von 2000 bis 2007. Bei der Bürgerschaftswahl im Jahr 2001 holte sie 19,4 Prozent der Stimmen - und koalierte mit der CDU. Im Folgenden prägten Skandale das öffentliche Bild, bis sich die Partei schließlich selbst auflöste.

tagesschau.de: Könnte Thilo Sarrazin der deutsche Wilders sein?

Häusler: Sarrazin und seine gut gemachte PR-Maschinerie haben die Funktion eines Durchlauferhitzers. Das ist der klassische Rechtspopulismus, der in Krisensituationen immer wieder auftaucht. Wenn es soziale Ängste in verschiedenen Schichten gibt, dann versuchen rechte Populisten klare Sündenböcke zu bieten: In den 1980igern die "Asylantenflut", in den 1990igern der Ansturm der Armen, die aus anderen Ländern kommen - und aktuell erleben wir einen Kulturrassismus gegen Muslime gerichtet.

tagesschau.de: Sollte es eine neue Rechtspartei geben, wäre insbesondere die Union betroffen. Wie könnte sie die rechten Kräfte binden?

Häusler: Der nationalkonservative Rand fühlt sich in der Union allein gelassen. Was nun passiert, ist offen: Kann die Union als Volkspartei den großen Spannungsbogen von nationalkonservativ bis zur Mitte hinbekommen? Oder rebelliert der rechte Rand und bricht weg? Wenn man sich die aktuelle Entwicklung so anschaut, könnte es zum Erosionsprozess kommen. Wir erleben eine Krise der Demokratie beziehungsweise der Parteien. Entweder etabliert sich eine neue Kraft von Rechtsaußen - oder aus dem politischen Gefüge heraus ergibt sich eine Akzentverschiebung nach rechts. Ein Kulturrassismus in der Mitte - der sich in der aktuellen Politik niederschlägt.

tagesschau.de: Was bedeutet das konkret?

Häusler: Es könnte einen Rückfall geben in der Integrationsdebatte - wieder zurück dahin, dass wir kein Einwanderungsland sind. Und dass Integration ausschließlich eine Anpassungsaufgabe ist. Daher ist die Debatte um die roten Linien, die beispielsweise SPD-Chef Sigmar Gabriel angemahnt hat, so wichtig.

tagesschau.de: Welche Linien sind das?

Häusler: Das sind ganz zentrale Fragen: Wie stellen wir uns Gesellschaft vor? Wie wollen wir mit Konflikten umgehen? Was verstehen wir unter Integration? Wie wollen wir soziale Probleme und Ängste bewältigen? Da muss eine klare Entscheidung her zwischen zwei Polen: Sind wir für Kulturkampf, für Abgrenzung, für Klassenkampf von oben? Sind wir eine Gesellschaft, die eugenische Vorstellungen für diskussionswürdig erachtet? Oder wollen wir hier gleichberechtigt und sozial abgesichert miteinander klarkommen? Innerhalb dieser Gegensätze muss die politische Auseinandersetzung geführt werden - und da muss auch Kante gezeigt werden.

tagesschau.de: In aktuellen Debatten tauchen immer wieder Vorwürfe auf, wonach es Denk- und Sprechverbote sowie eine linke Meinungsführerschaft gebe. Gleichzeitig kann Sarrazin seine Thesen flächendeckend medial verbreiten. Wie passt das zusammen?

Häusler: Der Diskurs bewirkt eine Achsenverschiebung, die wir nun auch in der Debattenkultur erleben. Während die linke Seite auf ein Gesellschaftskonzept setzt, welches auf Toleranz und auf soziale Gleichheit ausgerichtet ist, wird diese Vorstellung von rechts angegriffen. Daher die Attacke auf eine angebliche Meinungsführerschaft von links. Das ist eine Strategie von Rechtsaußen, um die Begriffe von Integration und Gesellschaft umzudeuten.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de